Manche mögen‘s heiß

(09.09.2019) Zum Beispiel Thermus aquaticus. Vor 50 Jahren entdeckten zwei Mikrobiologen den berühmten PCR-Prokaryonten in einer Thermalquelle im Yellowstone-Nationalpark.
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Editorial

Wir schreiben das Jahr 1964, Urlaubszeit. Thomas Brock sitzt in seinem Auto. Seit Stunden ist der Mikrobio-Prof bereits unterwegs – Zeit, sich mal die Füße zu vertreten. Am nächsten Verkehrsschild biegt er ab. “Yellowstone-Nationalpark“ – ein guter Ort für eine kleine Pause, denkt sich Brock. Er stellt das Auto ab, und kurz nachdem er die ersten, noch recht wackeligen Schritte gemacht hat, hört er aus der Ferne die Stimme eines Rangers. Was dieser den Touristen auf der Führung wohl erzählt? Der Prof beschließt sich der Gruppe anzuschließen und erfährt so, dass die beeindruckende Färbung der lokalen Thermalquellen auch von Cyanobakterien herrührt. Brock ist sofort fasziniert.

Denn damals in den 60ern war nämlich nicht klar, wie viel Hitze Organismen vertragen. Für mitteleuro­päische Menschen sind schon 40 Grad Celsius Umgebungs­temperatur fast unerträglich (wie man diesen Sommer mehrfach feststellen konnte). Für thermophile Bakterien war man bisher davon ausgegangen, dass sie eine Temperatur unter 55 Grad Celsius bevorzugen würden. Denn wie jeder Biotechnologe wusste: Enzyme denaturieren bei zu großer Hitze. Doch Brock hatte bei seinem Zufalls-Ausflug ja eindrücklich beobachten können, dass die heißen Quellen nur so vor Leben sprudeln. Wenn dort Cyanobakterien existieren können, dann gab es vielleicht auch andere Bakterien. Und überhaupt, gibt es ein Temperatur­limit für Leben und wenn ja, wo liegt es? Die Thermalquellen des Yellowstone-Nationalparks sind ein perfekter Ort, um all diese Fragen zu beantworten, denn sie sind warm, sehr warm sogar. Viele sind um die 60 bis 70 Grad heiß, manche erreichen sogar 90 Grad Celsius. 

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Zurück in wissenschaftlicher Mission

Von wissenschaftlicher Neugier getrieben, kehrte der Mikrobiologe in sein Labor an der Indiana University, rund 2.500 km östlich des Yellowstone-Nationalparks (eine ca. 24-stündige Autofahrt) zurück und begann, sich einen Forschungsplan zurechtzulegen. Im August 1966 war es soweit. Zusammen mit seinem Studenten Hudson Freeze besuchte er den Nationalpark – diesmal mit voller wissenschaftlicher Absicht. Das Duo hatte Proben­gefäße dabei und sich sogar eine kleine Hütte in der Nähe angemietet. Aus verschiedenen Thermalquellen des Lower Geyser Basins schöpften sie Wasserproben ab, um sie dann im heimischen Labor auf bakterielles Leben hin zu untersuchen.

Genau das war nun die Aufgabe von Student Freeze, der die Proben kultivieren, isolieren und charakterisieren sollte. Und eben dies erwies sich zunächst als nicht ganz so einfach, hatte man es doch mit völlig unbekannten Spezies zu tun. Nach mehreren Kulti­vierungs­versuchen war Freeze kurz vor dem Aufgeben, immer nur sah er diese „weißen Kristalle“ am Boden der Kulturröhrchen. Ein letzter Versuch sollte Klarheit bringen.

Mehrere Tage inkubierte er die Röhrchen im heißen Wasserbad, nur um festzustellen, dass sich noch mehr weiße Kristalle gebildet hatten. Frustriert legte er die vermeintlichen Präzipitate unters Mikroskop und blickte völlig verdutzt auf „lange Fäden von Bakterien“. Freeze war überwältigt von seiner Entdeckung, denn er war der allererste Mensch, der diese kleinen Lebewesen mit eigenen Augen gesehen hatte. Er isolierte das Bakterium, bestimmte seine Wachstums­bedingungen und gemeinsam mit Brock tauften sie es auf den Namen: Thermus aquaticus – die griechischen beziehungs­weise lateinischen Begriffe für „heiß“ und „Wasser“. 1969 erschien die Erstbeschreibung des wärmeliebenden Wasserbewohners im Journal of Bacteriology

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Heiße Temperaturen bevorzugt

Wie Brock und Freeze herausgefunden hatten, bevorzugte Thermus aquaticus oder kurz Taq eine Umgebung von 70 Grad Celsius, es hält aber auch bis zu 79 Grad Celsius aus. Auch mit 40 Grad kommt es noch zurecht. Das Bakterium ist gramnegativ und stäbchenförmig, es bildet keine Endosporen, gehört zur Deinococcus-Thermus-Gruppe, wird etwa 5-10 Mikro­meter groß, bildet ein gelbes Pigment und lange Filamente außerhalb seines Temperatur-Optimums. Außerdem ist es obligat aerob. Wie es sich gehört, hinterlegte Brock eine Thermus-aquaticus-Kultur in der American Type Culture Collection, die Mikroorga­nismen, Zelllinien und andere Materialien zu Forschungs­zwecken aufbewahrt und Forschern bei Bedarf zur Verfügung stellt.

Hier nun endet Brocks Geschichte, die von Thermus aquaticus hat aber gerade erst begonnen. Denn das Interesse an Enzymen, die aus wärmeliebenden Mikroorga­nismen stammen, war und ist groß. So verspricht ein thermostabiles Enzym großen Nutzen zum Beispiel in der Wasch­mittel­industrie, aber auch in der Grund­lagen­forschung. Bereits Mitte der 70er Jahre isolierte daher ein Forscher-Team der Uni Cincinnati erstmals eine DNA-Polymerase aus Thermus aquaticus. Die Vorzüge dieser Polymerase gegenüber denjenigen aus E. coli: sie verträgt hohe Temperaturen, ist klein und hat keine Nuklease-Aktivität.

Mit E.-coli-Polymerasen hatte zu jener Zeit auch ein gewisser Kary Mullis, damals in Diensten der Cetus Corporation, zu tun. Ebenfalls mit dem Auto unterwegs – auf dem California Highway von Berkeley in das 200 km entfernte Anderson Valley – zu seinem Wochenend­häuschen, erfand er im Jahr 1983 so ganz nebenbei die Polymerase-Kettenreaktion, besser bekannt als PCR. Sein System zur Verviel­fältigung von DNA funktionierte. Man brauchte nicht mehr als ein Testgefäß, ein paar einfache Reagenzien und etwas zum Erhitzen.

Das Prozedere war allerdings wahnsinnig aufwendig, denn nach jedem Zyklus musste neues Enzym hinzugegeben werden – die verwendete E.-coli-Polymerase hielt der Hitze, die für den Amplifikations-Prozess benötigt wird, einfach nicht stand. Mullis suchte nach Alternativen und wurde in der American Type Culture Collection fündig. Eine hitzestabile Polymerase von Thermus aquaticus müsste doch weitaus besser geeignet sein für die PCR, vermutete Mullis. Cetus besorgte sich eine Thermus-Kultur und isolierte das verheißungsvolle Enzym, die Taq-Polymerase. Der Rest ist, wie es so schön heißt, Geschichte.

Wer war zuerst?

1988 erschien das entsprechende Paper in Science und ab diesem Moment stand dem Siegeszug der PCR nicht mehr viel im Weg. Außer einiger Patent-Streitigkeiten darüber, wer denn nun die Polymerase zuerst purifiziert hat. Waren es in den 70er Jahren die Wissen­schaftler der Uni Cincinnati oder hatten vielmehr erst in den 1980ern Cetus-Wissen­schaftler eine PCR-taugliche Polymerase purifiziert? Gehört die Polymerase somit zum Gesamtpatent des PCR-Prozesses? Das im übrigen bereits in den 90ern von Cetus an Hoffman-La Roche (jetzt Roche) verkauft wurde, im Jahr 2006 aber abgelaufen ist.

Diese Frage bleibt ungeklärt. Klar jedoch ist, dass der Mikrobiologe Brock und der Biochemiker Mullis die Molekularbiologie einen Riesenschritt vorangebracht haben. Urlaub kann also doch hin und wieder die Wissenschaft verändern.

Kathleen Gransalke

P.S. Kary Mullis starb am 7. August an den Folgen einer Lungenentzündung. Er wurde 74 Jahre alt.