Natur des Jahres

(14.01.2020) Ein nützlicher Gräber, ein sechsbeiniger Giftmischer sowie ein kommunikativer Jäger – all diese Lebewesen erfahren in diesem Jahr besondere Aufmerksamkeit.
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Zwei männliche Exemplare des Schwarzblauen Ölkäfers

Editorial

Seit 2016 wählt die Deutsche Wildtier-Stiftung das „Wildtier des Jahres“. In diesem Jahr fiel die Wahl auf den unter Naturschutz stehenden und besonders geschützten Europäischen Maulwurf (Talpa europaea): „Der Maulwurf lebt verborgen unter der Erde, nur seine typischen Erdhügel verraten ihn. Als Einzelgänger kommt er in Laub- und Mischwäldern, (Feucht-)Wiesen, Weiden, Gärten und Parks vor. Er bevorzugt humusreiche Böden, in denen viele Regenwürmer leben. Wo der Maulwurf lebt, ist der Boden intakt und von vielen Bodenlebewesen bewohnt. Der kleine Erdwerfer frisst Insektenlarven und verhindert dadurch, dass Larven Pflanzenwurzeln fressen. Zudem sorgt er für eine Durchlüftung und Lockerung des Bodens. Die Maulwurfshügel-Erde ist unkraut- und wurzelfrei und daher zum Gärtnern ideal! Sie kann einfach mit dem Spaten abgetragen werden. Da er kein anderes Tier in seinem Revier duldet, vertreibt er auch Wühlmäuse aus seinem Tunnelsystem.“

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Käfergift als Liebestrank

Thomas Schmitt vom Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut in Müncheberg und Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, kürten den Schwarzblauen Ölkäfer (Meloe proscarabaeus) zum "Insekt des Jahres". „Mit dem Schwarzblauen Ölkäfer haben wir die vierte und eine ganz besondere Käferart zum ‚Insekt des Jahres’ gekürt,“ begründet Thomas Schmitt die Wahl. „Dieser schwarz-blau glänzende Sechsbeiner ist seit 4.000 Jahren Bestandteil unserer Kultur. Das Reizgift Cantharidin im Körper der Käfer wurde gegen eine Fülle von Krankheiten verwendet – bereits 1550 vor Christus wird im altägyptischen Papyrus EBERS das wahrscheinlich älteste Ölkäferpflaster beschrieben, welches wehenerzeugend wirken sollte“. Wie es in der Pressemitteilung ebenfalls heißt, gehörten Ölkäfer in Honig zubereitet zu den bekanntesten „Liebestränken“ zur Steigerung der sexuellen Potenz. Die Einnahme war jedoch nicht gänzlich ungefährlich, denn bereits ein Käfer enthält eine tödliche Dosis Cantharidin für einen Erwachsenen. Im antiken Griechenland wurde das Käfergift daher auch für Hinrichtungen eingesetzt.

„Heute leben mehr als 30 Arten aus der Familie der Ölkäfer in Mitteleuropa – am häufigsten ist dabei der Schwarzblaue Ölkäfer. Dieser übernimmt – gerade aufgrund seiner Giftigkeit – im Ökoystem eine wichtige Schutzfunktion für andere Käfer. Sein Gift wird in geringen Dosen an Larven, Eier und Puppen dieser Arten übertragen und rettet sie so vor Fressfeinden“, ergänzt Beate Jessel.

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Unsichtbar rot

Auch die Kleinsten haben einen Titel verdient. Zum "Einzeller des Jahres" wählte die Deutsche Gesellschaft für Protozoologie den Dinoflagellaten Dinophysis acuta. Dazu heißt es: „Der Einzeller D. acuta ist ein reiner Meerwasserbewohner und im Plankton zu Hause. Zwei unterschiedlich angeordnete Geißeln dienen der für Dinoflagellaten typischen taumelnden Fortbewegung. Der Einzeller saugt Plastiden aus Ciliaten der Art Mesodinium rubrum. Die ‚gestohlenen‘ Plastiden werden genutzt, um selbst Photosynthese zu betreiben, bis sie schließlich verdaut werden. (…) Einzeln sind die Zellen von Dinophysis acuta im Wasser mit bloßem Auge nicht sichtbar, aber lokal kann es zu einer Massenvermehrung kommen. Bekannt auch als ‚Rote Tide‘ verfärbt sich das Wasser durch die zahllosen Zellen rötlich. Dies kann zu massiven ökonomischen und ökologischen Problemen führen, besonders durch die Fähigkeit von D. acuta Gifte wie DSP-Toxine (benannt nach der Erkrankung Diarrhetic Shellfish Poisoning) zu produzieren. DSP-Toxine reichern sich in Meeresorganismen wie beispielsweise Miesmuscheln an und können dadurch für Vögel und auch für Menschen gefährlich werden, wenn sie diese verzehren. Eine Vergiftung mit DSP-Toxin kann zu Übelkeit, Erbrechen und Durchfall führen.“

Faszinierende Koordination

Und noch ein Mikroorganismus wird geehrt. Zur "Mikrobe des Jahres" auserkoren, wurde in diesem Jahr Myxococcus xanthus. Die Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) begründet ihre Wahl folgendermaßen: „Sie rotten sich zu Hunderttausenden zusammen, belagern das Opfer und vernichten es schließlich: Myxococcus xanthus ist ein in der Gruppe aktiver Jäger, der andere Bakterien als Nahrungsquelle nutzt. Dazu müssen die winzigen stäbchenförmigen Bakterien miteinander kommunizieren und ihr Verhalten koordinieren.“ Faszinierend, fand die VAAM.

„Der im Boden lebende Myxococcus xanthus ist ein Musterbeispiel für soziale Koordination unter einzelligen Mikroorganismen. Dafür ist eine präzise Kommunikation zwischen den Zellen notwendig. Verschiedene Signalstoffe und komplexe Empfangssysteme sorgen für eine Abstimmung benachbarter Zellen, wie sie selbst Mikrobiologen von ihren winzigen Forschungsobjekten kaum erwartet hatten.“ Und das beste: „Die aufwändige Lebensweise führt zudem dazu, dass Myxobakterien viele biologisch aktive Stoffe bilden, darunter Antibiotika zum Abtöten ihrer Opfer. (…) Das kürzlich entdeckte Corallopyronin [aus dem Myxobakterium Corallococcus coralloides] könnte ein neues Breitbandantibiotikum werden“.

Eine komplette Liste aller aktuellen „Lebewesen des Jahres“ hat der NABU zusammengetragen. Darunter auch das „Gemüse des Jahres“.

Adaptiert von Pressemitteilungen der entsprechenden Einrichtungen

Foto: Heiko Bellmann/Frank Hecker