Stressspuren im Kot

(04.05.2020) Glucocorticoide kann man durch ihre Abbau­produkte indirekt über den Kot nachweisen. So muss man Tiere nicht dem Stress einer Blutabnahme aussetzen.
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Editorial

Rupert Palme haben wir als einen der meist­zitierten Verhaltens­biologen in unserer Publikations­analyse zur Verhaltens­forschung ermittelt. An der Veterinär­medizinischen Universität Wien ist Palme dem Stress bei Labor-, Nutz- und Wildtieren auf der Spur und etabliert Tests zum Nachweis von Steroiden. Nun wäre aber eine Blut­entnahme ebenfalls Stress für die Tiere. Deshalb sucht Palme woanders nach Spuren der Stress­hormone.

Laborjournal: In einer Ihrer Powerpoint-Folien weisen Sie augen­zwinkernd darauf hin, dass Sie in Ihrer Forscher­laufbahn „viel (aus) Mist gemacht“ hätten.
Rupert Palme: Ja. Glucocorticoide und gewisse andere Hormone zirkulieren im Blut und werden anschließend von der Leber metabolisiert. Die Abbau­produkte gelangen dann über die Galle in den Darm und finden sich später im Kot wieder. Wir haben Methoden entwickelt, um über den Kot auf die Hormone rückzu­schließen. Stress hinterlässt also Spuren im Kot. Das ist kurz auf den Punkt gebracht der Mist, mit dem ich mich beschäftige.

Wie gut kann man über den Kot nachvoll­ziehen, wann ein Tier gestresst war? Wie ist die zeitliche Auflösung?
Palme: Da ist die Frequenz des Kotabsatzes ein entscheidender Faktor. Wiederkäuer setzen so zwanzigmal pro Tag Kot ab, da haben wir eine sehr hohe zeitliche Auflösung. Andere Tiere wie Pferd oder Schwein koten vielleicht nur einmal am Tag. Also bekommen wir dann einen sehr gepoolten Wert. Das ist per se weder gut noch schlecht, sondern man muss das einfach wissen. Ein sehr kurzzeitiges und schwaches Stress­ereignis werde ich im Kot nicht finden. Aber wenn das kurzzeitige Ereignis sehr massiv ist oder ein nicht so massives Ereignis längere Zeit anhält, dann schlägt sich das sehr wohl im Kot nieder.

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Gibt es dazu ein konkretes Beispiel?
Palme: Wir haben Untersuchungen mit Schneehasen gemacht und verschiedene Lebensräume verglichen. So lebte eine Population im Schweizer Nationalpark, wo man im Winter nur mit Sonder­genehmigung rein darf. Und eine andere Population haben wir in einem Gebiet mit starkem Tourismus untersucht, wo Skilifte fahren und viele Menschen unterwegs sind (J Appl Ecol, 51(1): 6-12). Da sehen wir eindeutig, dass das Niveau dieser Ausschei­dungsmeta­boliten im Schweizer Nationalpark signifikant niedriger ist.

Hasen schütten dort also weniger Gluco­corticoide aus. Doch heißt das zwangsläufig, dass sie auch weniger gestresst sind?
Palme: Es gibt keine allgemein anerkannte Definition für Stress, aber ich mag die von Bruce McEwen: „Man kann Stress definieren als eine reale oder interpretierte Bedrohung der physiolo­gischen oder psycho­logischen Integrität eines Individuums, die physio­logische oder verhaltens­mäßige Reaktionen nach sich zieht.“ Diese Definition inkludiert eben auch die Aspekte „real“ und „interpretiert“. In gewissem Maß ist das natürlich auch bei Tieren ein Problem, weil es immer darauf ankommt, wie ein Individuum eine bestimmte Situation erlebt. Die Stressreaktion über die Schiene mit den Glucocor­ticoiden ist eine von mehreren Möglichkeiten, wie ein Organismus auf Stress reagieren kann. Deshalb ist es nie gut, nur einen einzigen Parameter zu messen. Wir sollten Glucocor­ticoide also nicht gleich Stress setzen, zumal es auch viele andere Situationen gibt, in denen Gluco­corticoide variieren. Sie haben wichtige Funktionen als metabolische Hormone für Energie­haushalt und Homöostase. In der Tages­rhythmik gibt es zum Beispiel beim Menschen einen ausgeprägten Peak morgens kurz vor dem Aufstehen. Noch ein Beispiel, das ich meinen Studenten gern erkläre: Der Zuchthengst hat beim Sprung während der Besamung auch einen erhöhten Spiegel von Gluco­corticoiden. Aber man würde es ihm doch nicht verbieten, oder?

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Natürlich nicht! Sie haben Gluco­corticoid-Metaboliten im Kot schon bei verschiedenen Säugetieren bis hin zu Beuteltieren, aber auch bei Vögeln und Reptilien untersucht. Wie validieren Sie denn die Kotanalyse bei einer Tierart, mit der Sie zuvor noch nicht gearbeitet haben?
Palme: Die Steroidhormone sind eine Hormon­gruppe, die eigentlich bei allen Tieren und auch beim Menschen gleich ist. Es gibt ganz kleine Unterschiede: Cortisol ist zum Beispiel bei uns Menschen und den meisten anderen Säugetieren das Haupt-Gluco­corticoid. Bei Mäusen, Ratten, Kaninchen und bei Vögeln ist es Cortico­steron. Fische haben wieder Cortisol. Aber biologisch sind die Hormone sehr ähnlich in ihrer Wirkung. Man kann die alle auch sehr einfach im Blut messen – das geht beim Feldhasen genauso wie beim Hamster, beim Pferd oder bei uns Menschen. Im Kot ist das aber nicht mehr so simpel, auch wenn manche Firmen hierzu eigene Produkte anpreisen. Im Kot kann man fast immer etwas messen. Nur soll dieses Mess­ergebnis ja auch die Aktivität der Neben­nierenrinde widerspiegeln – also dem Ort, wo die Gluco­corticoide ausgeschüttet werden. Im Blut ist das Hormon immer dasselbe, aber im Kot ist bei fast jeder Tierart ein anderes Muster von Meta­boliten vorhanden. Da muss man die Messmethode zunächst sauber validieren.

Also muss man erst schauen, ob das, was man an Metaboliten im Kot findet, auch mit den Gluco­corticoiden im Blut korreliert?
Palme: Die international anerkannte Standard­methode dafür ist ein Stimula­tionstest, der genau diese Achse Hypo­thalamus-Hypophyse-Neben­niere anspricht. Dazu spritzt man ein Hormon dieser Achse, meist ACTH, also Adreno­cortico­tropes Hormon. Hierdurch wird die Neben­nierenrinde stimuliert, die nun Gluco­corticoide ins Blut freisetzt. Der Gluco­corticoid-Spiegel steigt also an und sinkt nach kurzer Zeit wieder ab. Nun müssen wir gar nicht unbedingt Blutproben nehmen. Das Wichtigste ist, dass man nach diesem Stimula­tionstest wirklich alle Kotproben sammelt, die das Tier absetzt. Dazu beobachtet man sechs bis zehn Tiere, bestenfalls beiderlei Geschlechts. Findet man diesen Peak zuverlässig im Kot, dann kann man behaupten, dass die Methode funktioniert.

Und wenn man keinen Peak im Kot findet?
Palme: Einen Peak im Kot sollte es immer geben, nachdem das Hormon im Blut ansteigt. Cortisol hat eine Halbwertzeit von zwanzig Minuten und wird dann ja ausgeschieden. Es kann aber sein, dass eine Messmethode nicht in der Lage ist, die richtigen Metaboliten nachzuweisen, die bei dieser Tierart gebildet werden. Daher haben wir Tests etabliert, die gezielt auf Gruppen dieser Metaboliten abgestimmt sind. Häufig gibt es ohnehin schon einen Verdacht, bei welcher Tierart welcher Assay klappen könnte. Sonst muss man einfach weiter­suchen, bis man den Test findet, der den höchsten Anstieg liefert – dieser Test ist dann der biologisch sensitivste. Hierzu habe ich vor kurzem einen umfang­reichen Übersichts­artikel verfasst (Physiol Behav, 199:229-43).

Stress wird ja auch im Zusammen­hang mit seelischen Erkrankungen wie Depression diskutiert; es gibt dazu sogar Mausmodelle. Inwiefern helfen denn die Gluco­corticoide beim Verständnis solcher Erkrankungen? Denn zum einen müsste Stress ja zu einer verstärkten Gluco­corticoid-Ausschüttung führen; auf der anderen Seite kennt man bei einigen Menschen mit seelischen Erkrankungen aber den sogenannten ‚Hypocorti­solismus’, wo eben kaum noch Cortisol im Rahmen einer Stressreaktion ausgeschüttet wird. Was sagt ein Tiermodell dann überhaupt aus?
Palme: Natürlich ist es immer schwierig, vom Tiermodell auf den Menschen zu schließen. Chadi Touma, ein Kollege aus Osnabrück, hat solch ein Mausmodell für die Depression entworfen. An der Publikation damals war ich als Koautor beteiligt (Psychoneuroendocrinology, 33(6): 839-62). Chadi Touma hat gezielt eine Mauslinie gezüchtet, die eine über­schießende Cortico­steron-Ausschüttung beim Stimula­tionstest zeigt; und eine zweite Linie, wo die Tiere nur sehr schwach reagieren. Außerdem gab es die Mäuse, die in der Mitte lagen und sozusagen den Normalfall repräsentieren. Was man sieht: Beide Extreme zeigen interessan­terweise Verhaltens­muster, die wir auch beim Menschen mit Depression in Verbindung bringen würden. Sicher, man kann Depression nicht eins zu eins im Tiermodell abbilden. Aber wir glauben ohnehin, dass es nicht die eine Depression gibt, aber dass eben ganz oft eine Dysregulation dieser Stressachse mit auftritt. Und diese Dysregulation kann anscheinend in beide Richtungen gehen. Hier sehen wir den Vorteil der Kotproben: Die können wir über längere Zeit im Abstand von zwei bis vier Stunden sammeln und so auch die Tages­rhythmik der Mäuse abbilden. Das ist mit Blutproben unmöglich – schon allein, weil eine Maus gar nicht so viel Blut hat. Für solch eine Frage­stellung glaube ich daher, dass unsere Methode große Vorteile bietet. Und dieser Vorteil von Kotproben erklärt auch den sprunghaften Anstieg bei Kooperationen mit deutschen Forschungs­einrichtungen, um den Schweregrad von Tierversuchen zu erheben.

‚Animal Welfare’, so hatten Sie im Vorfeld unseres Gesprächs erwähnt, ist ein weiteres Gebiet, auf dem Sie sehr aktiv sind. Das heißt, Ihre Methoden zur Analyse der Kotproben werden auch aufgegriffen, um tierschonender zu forschen?
Palme: In Deutschland mehr als in Österreich. Da weiß ich sogar aus einigen Bundesländern, dass die Behörden den Kollegen nahegelegt haben, mit mir in Kontakt zu treten, bevor sie neue Tierversuche durchführen. Das hat mich natürlich gefreut.

Die Fragen stellte Mario Rembold

Foto: R. Palme