Fröhlicher Frontenwechsel

(08.05.2020) Aus unserer Reihe 'Anekdoten aus dem Forscherleben': Wie man zur Ko-Autorin eines Papers wird, das man zuvor selbst begutachtet hatte.
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Editorial

Am Ende war es eine ganz schöne Menge Daten, die Wölk und seine Mitarbeiter in den Artikel packen mussten. Entsprechend komplex war die statistische Analyse gewesen – ehrlich gesagt, hatten sie sich an einigen Stellen ganz schön die Zähne ausgebissen. Wie auch immer, jetzt war das Manuskript seit Wochen eingereicht – und Wölk et al. warteten schon gespannt auf das Urteil der Reviewer.

Als der Bescheid vom Journal kam, wurde ihre Befürchtung jedoch Tatsache: Beide Reviewer bemängelten eine „unzureichende Statistik“. Einer der beiden hatte sich mit dem Gutachten allerdings enorme Mühe gemacht und darin sehr detailliert vorgeschlagen, wie man die statistische Analyse konkret Schritt für Schritt durchziehen müsse, um aus dem Datenwust wirklich robuste Ergebnisse zu extrahieren. Und äußerte die Hoffnung, dass mit einer solchen neuerlichen Analyse ohne weiteren experimentellen Aufwand ein sehr interessantes Paper entstehen könnte.

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Ochs’ vorm Berg

Das las Wölk natürlich gerne, allerdings stand er angesichts der praktischen Vorschläge erstmal wie der sprichwörtliche Ochs’ vorm Berg. „Aber okay“, dachte er, „es hilft ja nichts – nach der großen Konferenz kommende Woche werde ich mich da mal richtig reinknien.“

Auf besagter Konferenz besuchte Wölk schließlich den Vortrag einer jungen Medizinforscherin namens Scharf. Auch wenn dessen Titel durchaus Querverbindungen zu seiner eigenen Forschung aufwies, kannte er sie nicht. Es war sein Kumpel Binder, der Wölk überredete, mit ihm zusammen in Frau Scharfs Vortrag zu gehen. „Komm doch mit, die ist richtig gut“, pries er sie an.

Und das war sie wirklich. Mehrere Datensätze fügte sie mit messerscharfen Auswertungen völlig stringent zu einem beeindruckenden Big Picture zusammen. Und immer wieder hörte Wölk dabei das eine oder andere Stichwort aus dem ausführlichen Gutachten zu seinem Manuskript. Aus einem anfänglichen Impuls wurde schließlich ein Plan: Er musste sie ansprechen...

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Überraschendes Geständnis

Schon in der nächsten Konferenz-Pause war es so weit. Wölk kam ziemlich schnell zur Sache und erzählte seiner Kollegin von dem Gutachten. Doch je mehr Details er daraus referierte – sofern er sie verstanden hatte –, umso stiller wurde diese. Und als er sie einmal derart fragend anschaute, dass sie etwas sagen musste, ließ sie die Katze aus dem Sack:

„Herr Wölk, ich glaube ich muss Ihnen an dieser Stelle etwas gestehen: Das Gutachten ist von mir!“

Jetzt war Wölk sprachlos. Sein Unterkiefer klappte ein klein wenig auf.

„Aber es ist, wie ich schrieb“, fuhr Scharf fort. „Ich glaube, wenn man die Daten etwas anders auswerten würde, würde man ein noch interessanteres generelles Muster erhalten. Und mit den vielen Daten würde das Ganze am Ende sehr wahrscheinlich auf äußerst robusten Füßen stehen. Kommen Sie mal mit...“

Und so suchten die beiden sich einen leeren Seminarraum, wo Kollegin Scharf Wölk im Detail erklärte, wie sie die Daten prinzipiell auswerten würde und worauf das ihrer Meinung nach hinauslief.

Wölk war begeistert. So begeistert, dass er ihr spontan einen Vorschlag machte: „Warum nehmen wir uns die Daten nicht tatsächlich noch mal zusammen vor? Natürlich kommen Sie dann als Koautorin mit aufs Paper. Sie wären mir eine große Hilfe. Mehr noch: Ich würde mich sehr darüber freuen.“

„Ich glaube, das könnte großen Spaß machen“, willigte Kollegin Scharf ziemlich schnell ein...

Ein angefressener Editor

Das Paper wurde am Ende tatsächlich „richtig gut“. Alle Erwartungen, die „Gutachterin“ Scharf in die ausgefuchstere statistische Analyse der Daten gesteckt hatte, wurden erfüllt. Und unter dem Strich stand schließlich ein deutlich umfassenderer Erkenntniswert, als Wölk ihn in den Daten überhaupt vermutet hatte.

Allerdings mussten Wölk, Scharf et al. das Manuskript letztlich in einem anderen Journal veröffentlichen. Denn als sie dem Editor des ursprünglich angepeilten Journals mitteilten, dass sie beabsichtigten, das Paper jetzt gemeinsam zu veröffentlichten, wurde der etwas sauer. Formal sei dies ein klarer Verstoß gegen die vorgeschriebene Vertraulichkeit des Gutachtens, teilte er mit – und schob nach, dass überdies auch ein bedenklicher Interessenkonflikt auf Seiten von Frau Scharf entstanden wäre, indem sie von der Gutachterin zur Koautorin mutiert sei.

Fast hätte der Editor noch weiteren Ärger gemacht. Doch vorher einigten sich alle Beteiligten darauf, dass man die erste Einreichung vergessen wolle und das Paper unter den neuen Bedingungen bei einer anderen Zeitschrift komplett neu eingereicht werden solle. Was für die beiden ja letztlich kein wirkliches Problem darstellte...

Ein anderes Szenario

Bleibt zum Schluss noch die Frage, was Wölk wohl gemacht hätte, wenn er mit dem vorläufigen Ablehnungsbescheid auch die Identitäten der Gutachter erfahren hätte? Falls das Journal also einen transparenten Peer Review beherzigt hätte, wie ihn viele fordern? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es dann niemals ein gemeinsames Paper von Scharf und Wölk gegeben hätte – und demnach wohl auch dessen klare Qualitätssteigerung ausgeblieben wäre.

Aber taugt dieses Beispiel daher gar für ein generelles Argument gegen transparenten Peer Review? Wohl kaum, denn mehr als eine nette Kuriosität ist es auf keinen Fall. Eher schon zeigt es die Vorteile eines Peer Review vor Publikation auf. Denn die Verbesserung, die der Artikel hier auf diese Art erfahren hat, wäre durch Post-Publication-Peer-Review in dem Ausmaß nur schwer vorstellbar.

Ralf Neumann

Illustr.: Andrii Symonenko / AdobeStock

 



Letzte Änderungen: 07.05.2020