Falsch abgeschrieben

(22.05.2020) Aus unserer Reihe 'Anekdoten aus dem Forscherleben': Wie einem durch simple Typos zur falschen Zeit am falschen Ort viele Zitierungen entgehen können...
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Editorial

Leicht saß in der Bibliothek, las den Artikel – und spürte wie ihm immer heißer wurde. Eigentlich stand darin nichts großartig Aufregendes; es wurde lediglich eine Umfrage beschrieben, ob Forscher diejenigen Paper, die sie in den Referenzlisten ihrer Artikel auflisten, auch wirklich lesen. Das Ergebnis war ein wenig betrüblich: Viele der zitierten Paper hatten die Autoren gar nicht oder kaum gelesen – und nicht wenige davon kamen nur in die Referenzliste, weil andere diese zuvor in gleichem Zusammenhang zitiert hatten.

„Einfach abschreiben, also – na, hoffentlich schreiben die wenigstens richtig ab“, grummelte Leicht vor sich hin und wurde noch ein klein wenig röter im Gesicht. Er dachte eigentlich, er hätte seinen Frieden mit der Sache von damals gemacht. Doch jetzt wusste er es besser: Ein harmloser Bericht konnte alles wieder zum Brodeln bringen. „Na und“, gab er sich geschlagen. „Wer kann es mir verdenken? War ja schließlich auch extrem blöd, die Geschichte damals.“

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Sogar besser als erwartet

Weiß Gott, das war sie wirklich. Leicht war Biochemiker, arbeitete an Membranproteinen. Und mit Membranproteinen hat man vor allem ein großes Problem: Wie bekomme ich sie in Lösung, ohne Struktur und Aktivität zu zerstören? Sicher, es gab jede Menge Detergenzien, mit denen man das eine oder andere Protein schadlos aus seiner jeweiligen Membran herauslösen konnte. Aber alles in allem war es doch jedes Mal ein endloses Herumprobieren, welche Detergenzien in welchen Mengen und Kombinationen unter welchen Bedingungen den Job taten.

Leicht setzte sich mit einem Physiker und einem Chemiker zusammen, und sie machten sich Gedanken und Notizen. Danach ging er mit dem Chemiker ins Labor und synthetisierte ziemlich aufwendig ein neues Designer-Detergenz, dem sie das etwas alberne Kürzel "KLOPS" verpassten.

Im Test jedoch übertraf KLOPS sogar Leichts kühnste Erwartungen: Acht von zehn Membranproteinen brachte es problemlos in Lösung, darunter auch einige der "hydrophobsten Brocken". Sicher, es war keine Riesen-Entdeckung, aber immerhin brachte das Journal of Biological Chemistry seinen Artikel. Und gleich mehrere Laborchemikalien-Anbieter nahmen KLOPS sofort ins Sortiment.

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Aus Leicht wird Licht

Einige Monate später kam in den Annual Reviews of Biochemistry ein großer Review heraus – ein wahrer Rundumschlag über die funktionelle Solubilisierung von Membranproteinen. Die nächsten zehn Jahre sollte dieser der „Standard-Review“ für jeden sein, der Proteine solubilisierte.

Leichts KLOPS bekam darin ein ganzes Kapitel, und das war auch sorgfältig geschrieben. Wesentlich sorgfältiger jedenfalls als die Referenzliste. Denn da hatten die Autoren bei seinem Paper aus für ihn unerfindlichen Gründen gleich zwei Böcke geschossen: aus "Leicht R." machten sie "Licht R.", und bei "J Biol Chem" vergaßen sie das "J".

Die Folgen der Nachlässigkeit waren fatal: Nahezu alle, die mit KLOPS solubilisierten, schauten lediglich in dem Review nach, welches Paper dieser dafür zitierte – und übertrugen ohne weiteres Nachlesen "Licht R. et al.Biol Chem 233, S. 567" in ihre Reference Manager und Artikel.

Ein Paper, das es nicht gibt

Auf diese Weise kam ein Paper, das es so gar nicht gibt, auf 634 Zitierungen bis heute. Für "Leicht R" listen die Datenbanken insgesamt gerade mal 287 Zitierungen auf – 76 davon für Leichts echtes KLOPS-Paper.

Doch das schaute Leicht schon lange nicht mehr nach.

Ralf Neumann

Foto: Joe La Pombe

 

(Die einzelnen Geschichten dieser Kolumne sind uns in aller Regel nicht genau so, aber doch sehr ähnlich referiert worden.)