Wenn Zellen eine Reise machen

(25.06.2020) Das Kieler Startup Cellbox Solutions schafft mit seinem transpor­tablen Zell­inkubator traumhafte Reise­bedingungen für sensible Zellen.
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Editorial

Kathrin Adlkofer, Chief Operating Officer (COO), Molekular­biologin und Professorin für Entre­preneurship in Lübeck sowie Biologe Wolfgang Kintzel, Biotech-erfahren und seit März frischer Cellbox Solutions-Geschäfts­führer, erklären die Vorzüge der Cellbox.

Frau Adlkofer, Sie haben 2016 Cellbox Solutions aus dem EMB heraus gegründet, der Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotech­nologie und Zell­technologie. Wie kam es dazu?
Kathrin Adlkofer: Ich hatte am EMB die Abteilungs­leitung für industrielle Zelltechnik übernommen, dort war auch die Cellbox angesiedelt. Das EMB hatte sie damals für den internen Gebrauch entwickelt, weil sich der Transport von primären Zellkulturen problematisch gestaltete. Ich fand die Idee überzeugend, denn der Markt entwickelt sich dahin, dass Zellen immer fragiler und komplizierter werden. Selbst während meiner Doktor­arbeit hatte ich schon Schwierig­keiten, Zellen ohne Qualitäts- und Quantitäts­verlust zu transportieren. Ich konnte das Fraunhofer-Institut dann überzeugen, die Cellbox zu kommer­zialisieren und Cellbox Solutions zu gründen.

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Was ist an herkömmlichen Versand­methoden problematisch?
Adlkofer: Wenn man Zellen über längere Zeit oder Strecken transportieren möchte, friert man sie in der Regel ein. Dafür fügt man eine Art Frost­schutzmittel hinzu, damit die Zellen nicht platzen. Trotzdem ist der Prozess Stress für die Zellen. Robuste Zelllinien stecken das gut weg und ausreichend Zellen überleben. Aber nehmen Sie Primär- oder Stammzellen, die eh schon sehr fragil sind. Die lassen sich meist nicht einfrieren. Oder adhärent wachsende neuronale Netzwerke, die nach dem Auftauen nicht mehr so verbunden sind, wie sie es vorher waren. Oder Organoide: Die bestehen aus mehreren Zelltypen, die in dem Zell­kügelchen alle ihren festen Platz haben. Wenn Sie die einfrieren und wieder auftauen, fallen sie einfach auseinander.

Deshalb muss man solche Kulturen bei optimalen Bedingungen transportieren?
Adlkofer: Ja, und unsere Technologie kann Temperatur und CO2-Gehalt konstant halten, auch über einen längeren Zeitraum. So können Sie Zellen ohne Stress von A nach B transportieren.
Wolfgang Kintzel: Die Cellbox ist quasi ein mobiler Zell­inkubator. Über ein Datenlogging können Sie mit einer App jederzeit auslesen, welchen Bedingungen die Zellen während des gesamtes Transports ausgesetzt waren.

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Wie lange hält die Box denn Temperatur und CO2?
Kintzel: Das kommt darauf an. Wir bieten zwei Versionen der Cellbox an, Ground CD und Flight CDI. Die Batterie­kapazität der Ground-Box ist theoretisch nicht limitierend, denn über Ladegeräte in Auto oder LKW kann ständig geladen werden. Die CO2-Kartusche reicht für etwa 72 Stunden, kann aber zwischen­durch etwa vom Logistik­unternehmen gewechselt werden. Im Flugzeug gibt es Einschrän­kungen: Erstens darf man nur eine gewisse Batterie­kapazität mitnehmen, zweitens dürfen keine Druckgefäße mitgeführt werden. Für die Energie­versorgung sind deshalb vier Batterien in der Flight-Box, die nacheinander angeschaltet werden, um die Maximal­kapazität nicht zu überschreiten. Außerdem hat die Box statt einer CO2 -Kartusche Trockeneis in einem Spezial­behälter, das den CO2-Gehalt über Sensoren und Pumpen aufrechterhält. Das reicht für etwa 24 Stunden reine Flugzeit. Damit kommen wir in alle Ecken der Welt. Am Zielflughafen angekommen kann Trockeneis nachgefüllt und die Batterien erneut geladen werden.

Temperatur und CO2 sind also gesichert. Wie sieht es mit Scherkräften während des Transports aus, wenn Flüssigkeit hin- und herschwappt?
Adlkofer: Das ist kein Problem, denn die meisten Zellen werden in Mikro­titerplatten transportiert, zum Beispiel 96-Well-Platten. Aber auch 12-Well-Platten lassen sich gut händeln. Die Wells werden relativ hoch mit Flüssigkeit befüllt und dann mit einer Folie verklebt. In Tests mit sensiblen adhärenten neuronalen Zellen gab es weder Ablösung oder Zelltod. Auch Flaschen werden einfach sehr voll gemacht, damit die Flüssigkeit sich nicht zu sehr bewegt. Super funktionieren aber auch Tubes oder Beutel. Bei großen Platten, wie etwa Petri­schalen mit 10 cm Durch­messer, gibt es die Möglichkeit, das Medium zu einer Art Gel anzudicken. Auch das funktioniert. Aber wir verschicken kaum so große Kulturschalen.

Was verschicken Sie denn wohin? Wer sind Ihre Kunden?
Kintzel: Wir sind ja erst seit ein paar Monaten am Markt und haben noch vor Corona einen erfolg­reichen Launch der Cellbox hingelegt. Und auch jetzt verkaufen wir Boxen, etwa für den Transport von B-Zellen. Aus denen werden zum Beispiel Informationen für Antikörper gegen SARS-CoV-2 gewonnen. Ansonsten haben wir einen sehr breiten Kundenstamm. Das können Forschungs­partner in akade­mischen Einrich­tungen sein, die ihre Zellen über den Campus transportieren oder biologische Materialien verschicken. Wir haben Kunden in der Biotech­nologie, im Bereich In-vitro-Fertilisation und der regene­rativen Medizin. Nicht zu vergessen pharma­zeutische Unternehmen, die an Gentherapien arbeiten. Also, eigentlich die gesamte Life-Science-Palette.

Bei Ihrem Unternehmen ist die Namens­findung recht naheliegend. Dennoch frage ich auch Sie: Warum heißt Ihre Firma Cellbox Solutions?
Adlkofer: Die Cellbox hieß bereits Cellbox, bevor wir die Firma gegründet haben. Wir haben uns dann überlegt: Ist es schlau, die Firma nach dem einen Produkt zu benennen? Aber wir haben ja nicht nur ein Produkt, wir haben die Flight-Box und die Ground-Box. Und wir entwickeln weitere, etwa ein Beautycase, also ein kleineres, leichteres Modell. Wir werden sicherlich auch noch einen Rolls Royce produzieren und wir werden Disposables anbieten. Cellbox ist eine komplette Lösung [Solutions] und nicht nur die eine Box. Deshalb haben wir die Firma so genannt.

Die Fragen stellte Sigrid März

Steckbrief Cellbox Solutions
Gründung: 2016
Sitz: Kiel
Mitarbeiter: 10
Produkt: Mobiler Zellinkubator zum Transport sensibler Zellen

Foto: Cellbox Solutions (Box) & Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik, Paul Anastasiadis, Elke Weiß; CC-BY-SA-3.0 (HeLa-Zellen)