Geschätzter Service

(28.08.2020) Aus unserer Reihe „Anekdoten aus dem Forscherleben“: Forschern aus der „zweiten Reihe“ gebührt oft mehr Wertschätzung als ihnen gemeinhin zuteil wird.
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Editorial

Es ist noch nicht lange her, da schaute der Autor dieser Zeilen noch relativ spontan bei einem alten Studienkollegen vorbei, der inzwischen eine ansehnliche Karriere im Forschungsbetrieb gemacht hatte. Der Zufall wollte es, dass er mit seinem Besuch mitten in eine kleine Feier der Instituts-Mitarbeiter hineinplatzte. Erfreut bat ihn sein alter Kumpel hinzu zu kommen – und nachdem er ihn seinen Mitarbeitern vorgestellt hatte, entwickelte sich folgender Dialog zwischen den beiden:

„Was feiert ihr hier eigentlich?“

„Oh, Genetics hat gerade ein Paper angenommen.“

„Gratuliere! Und schön, dass ihr das so üppig gefeiert. Allerdings erscheint doch das meiste, was du publizierst, in höherrangigen Zeitschriften. Wie feiert ihr denn da erst?“

„Ja, das stimmt glücklicherweise. Nichtsdestotrotz ist diese spezielle Arbeit etwas Besonderes. Und nebenbei bemerkt, ich selbst stehe gar drauf.“

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Methodenorientierte Forschung verdient mehr Anerkennung

„Okay,  jetzt bin ich neugierig. Das musst du mir genauer erzählen.“

„Nun, das Paper beschreibt die entscheidende Verbesserung einer Technik, mit der man das gezielte Ausschalten von Genen wesentlich einfacher, billiger und zuverlässiger hinkriegt.“

„Eine rein methodische Veröffentlichung also?"

„Ja. Aber ich hoffe, du meinst das jetzt nicht abschätzig. Denn es gibt durchaus viele, die offenbar nicht begreifen, dass die meisten Durchbrüche in der Wissenschaft erst dann erzielt werden konnten, wenn die Methodik entsprechend ausgereift war. Und Letztere zu entwickeln, war oftmals harte und sehr kreative Arbeit. Daher nervt es mich ehrlich gesagt, wenn solcherart rein methodenorientierte Forschung häufig viel geringere Anerkennung erfährt als sie tatsächlich verdient.“

„Okay, okay – ich glaube, ich habe verstanden. Und wen feiert ihr damit jetzt konkret?“

„Den Typ da drüben. Er ist der Leiter unserer Service-Einheit für alles, was mit DNA zu tun hat – also Sequenzierung, Synthese und so weiter. Das Paper hat er ganz alleine geschrieben.“

„Und das ganze Institut kommt zusammen, um ihn zu feiern. Nett!“

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Weniger Karriere, weniger Druck

„Ja. Wir alle gönnen ihm das Paper wirklich von ganzem Herzen. Nicht nur, weil er exzellente Service-Arbeit leistet, sondern weil er irgendwie auch den Prototyp des genügsamen, unaufdringlichen und zuverlässigen Forschers alter Mittelbau-Schule verkörpert, ohne den auch heute so mancher Strom der Wissenschaft schnell versiegen würde. Du weißt, welchen Typ ich meine: All die gut ausgebildeten und erfahrenen „Arbeitspferde“, die meist mit ihren Service-Einheiten tief im Schatten der großen Profs stehen. Oft sind sie es, die den ganzen Karren beharrlich immer weiter nach vorne ziehen – aber dennoch erhalten sie nur wenig Anerkennung und werden auch nicht gerade üppig bezahlt.“

„Ja, aber wenn euer Service-Mann tatsächlich so gut ist, warum ist er dann auf der Karriereleiter nicht weiter nach oben geklettert?“

„Ach, du weißt doch, dafür kann es viele Gründe geben. Krankheit oder andere Sorgen zur falschen Zeit, ein Artefakt wird nicht erkannt, schlechte Kollegen oder blöde Mentoren – alles Mögliche eben, was letztlich verhindert, dass man eine ausreichende Anzahl von Publikationen zusammenbekommt. Und eines schönen Tages merkt man dann, dass die Karawane ohne einen weitergezogen ist.“ 

„Ich verstehe.“

Viel Zeit, viel Qualität

„Aber was unseren Service-Mann betrifft, so gibt es noch eine andere Erklärung: Er wollte einfach nicht weiter aufsteigen. All der Druck, die Verantwortung, die Last der administrativen Arbeit als Leiter einer größeren Gruppe – diese Aussichten waren schlichtweg ein völliger Horror für ihn.“

„Und darum zog er es lieber vor, seine Fähigkeiten in die Projekte anderer einzubringen? Trotz all seiner Qualitäten?“

„Na ja, eigentlich hat er nicht ‚nur‘ das getan. Sonst wäre er ja auch nicht in der Lage gewesen, ein Genetics-Paper als alleiniger Autor zu schreiben, oder? Tatsächlich hat er ‚nebenbei’ immer ein oder zwei kleine eigene Projekte zusätzlich am Laufen. Und das Schöne dabei: Er hat in seiner Situation nicht den Karrieredruck, den viele andere in der Forschung haben – selbst ich als W3-Professor bin ja alles andere als frei davon. Und deswegen kann er seine Projekte sehr sorgfältig und ohne die üblichen Stressfaktoren zu einem wahrlich wasserdichten Ende führen. Schau dir ruhig mal seine neue Arbeit an, du wirst kaum ein anderes Paper von solcher Robustheit finden. Insgesamt hat er dafür sechs Jahre gebraucht, glaube ich. Ein Postdoc oder Doktorand hätte niemals ein derart vages Projekt angehen können – insbesondere auf die Gefahr hin, dass es so lange dauern kann, bis etwas Publikationsfähiges herauskommen würde… Anyway, unser Mann hat es jetzt also geschafft, und es ist bereits völlig klar, dass seine neue Methode definitiv vielen, vielen Labors helfen wird.“

„Gut, ich fasse also zusammen: Eure Feier dient demnach der besonderen Anerkennung für die außerordentlichen Leistungen eines sehr genügsamen, aber hochgeschätzten Wissenschaftlers, der bei euch quasi ‚in zweiter Reihe’ eine Service-Einheit leitet.“ 

„So ungefähr, ja. Aber ich muss noch einmal betonen, dass wir generell großen Respekt vor dieser Spezies unserer wissenschaftlicher Mitarbeiter haben. Und wir bemühen uns sehr darum, ihnen immer wieder unsere Anerkennung auszusprechen.“

Der Wunsch nach Lehre

„Auf welche Weise zum Beispiel?“

„Nun, letztes Jahr suchte ich ihn beispielsweise kurz vor Weihnachten in seinem Minibüro auf und fragte ihn, auf welche Weise ich ihm denn mal meine Wertschätzung für seine Arbeit ausdrücken könne. Ob er eventuell bezüglich unseres Instituts irgendeinen besonderen Wunsch habe, den ich ihm erfüllen könnte. Ob ich vielleicht versuchen sollte, ihm ein größeres Büro, einen näher gelegenen Parkplatz oder etwas anderes in der Art zu verschaffen? Rate mal, was er antwortete?"

„Woher soll ich das wissen?“

„Alles, worum er bat, war, hin und wieder ein Seminar oder eine Vorlesung von mir übernehmen zu dürfen. Er würde so gerne mal unterrichten. Natürlich sagte ich ihm das nur zu gerne zu, aber dennoch war ich in dem Moment ziemlich platt von seiner Antwort. Sie hat total zu ihm gepasst, aber irgendwie fühlte ich mich in dem Moment doch sehr unwohl in meiner Haut als einflussreicher und ziemlich angesehener Institutsleiter.“

Ralf Neumann

Illustr.: freepik

(Die einzelnen Geschichten dieser Kolumne sind uns in aller Regel nicht genau so, aber doch sehr ähnlich referiert worden.)

 

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Letzte Änderungen: 26.08.2020