Durchstarter oder Biotech-Zombie

(27.08.2020) Wie viele der in den vergan­genen Jahren gegründeten Biotech-Start-ups sind überhaupt noch aktiv? Wir haben mal nachgeforscht.
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Editorial

Eine Studie offenbarte Anfang 2020 ein grund­sätzliches Manko US-amerika­nischer Biotech-Start-ups, genauer sogenannter ULS (University-Licensed Start-ups). Das sind Firmen, die zwecks Kommer­zialisierung einer an der Universität entwickelten Technologie gegründet wurden. Die US-Amerikaner Paul Godfrey, Gove Allen und David Benson werteten über acht Jahre hinweg Unternehmens­daten von 1980 bis 2013 aus und fassten die Erkenntnisse in Nature Biotechnology unter dem Titel „The biotech living and the walking dead“ zusammen (38: 132-41). Fazit: Verdammt viel heiße Luft!

Bis zu vierzig Prozent der Firmen – je nach beobach­tetem Zeitraum und Stichprobe – fielen in die Kategorien Non- oder False Starters. Diese Ausgrün­dungen existierten zwar auf dem Papier, waren aber nie gewachsen und hatten nie Arbeits­plätze geschaffen. Viele der Start-ups hatten nicht einmal eine eigene Adresse, führten die Technologie-Transfer­stelle als Firmensitz und deren Direktor als Firmen­vertreter auf. Der älteste dieser Biotech-„Zombies“ dümpelte seit immerhin 21 Jahren auf dem Markt vor sich hin.

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Da wir keine acht Jahre Zeit haben, um die Biotech-Landschaft akribisch zu durch­forsten, haben wir uns – absolut unrepräsentativ – die seit 2007 in der Print-Ausgabe von Laborjournal vorgestellten Unternehmen angeschaut.

Von den 151 Firmen sind 107, also 71 Prozent, aktiv. Das bedeutet: Es lassen sich geschäft­liche Aktivitäten nachweisen, sei es in Form von Unternehmens- und Presse­meldungen, Meldungen auf Biotech-News-Seiten sowie aktive Webseiten und/oder LinkedIn-Profilen. Zusammen­genommen ergibt sich so für jede Firma ein mehr oder weniger umfassendes Bild.

Beispiel gefällig? Abberior Instruments erblickte mit seinem Geschäfts­modell „Hoch­auflösende Mikroskopie“ 2012 in Göttingen und Heidelberg das Licht der Welt und wurde nur zwei Jahre später von LJ porträtiert (09/2014). Im gleichen Jahr erhielt Abberior-Mitgründer und STED-Erfinder Stefan Hell den Nobelpreis in Chemie für die super­auflösende Mikroskopie (gemeinsam mit Eric Betzig und William Moerner). Bei North Data finden sich Eintragungen zu diversen Förderungen, aktuellen Patenten und Marken. Auf der Webseite verrät ein Teamfoto, dass inzwischen wohl mehr als die sieben Mann starke Grün­dungsriege in der Göttinger Firma beschäftigt ist. Aktuell wird ein Patentmanager gesucht.

Und sonst?

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Für 18 Firmen (12 Prozent) fanden wir Nachweise für deren (bevor­stehendes) Ende. Die Firma Imvision aus Hannover zum Beispiel wurde 2005 gegründet und mit ihrer Hypo­sensibilisie­rungstherapie gegen Allergien in der LJ-Ausgabe 09/2009 vorgestellt. Nach vier Jahren Betrieb forschten fünf Beschäftigte mit immerhin insgesamt 8,5 Millionen Euro Startkapital – aber ohne Umsatz oder Gewinn. Das allerdings ist in der entwicklungs­intensiven Biotech-Branche nicht ungewöhnlich. Dennoch wurde Imvision im Jahr 2012 liquidiert und 2015 aus dem Unter­nehmens­register gelöscht. Horst Rose, Mitgründer und Ex-Geschäfts­führer von Imvision, arbeitet seit 2013 bei Boehringer Ingelheim.

14 weitere Firmen (9,3 Prozent) wurden geschluckt oder verschmolzen zu neuen Unternehmen (Akqui­sitionen/Merger). Die Kölner Stamm­zellexperten von Axiogenesis trauten sich 2001 in die freie Wirtschaft. Immerhin 35 Mitarbeiter zählte das Unternehmen beim LJ-Gespräch (11/2015) sowie einen Umsatz von 1,5 Millionen Euro. 2018 fusionierte Axiogenesis mit Pluriomics (Niederlande) zu Ncardia, die aber bereits Anfang 2019 einen Insolvenz­antrag stellen musste. Wenige Monate später kaufte der Hamburger Wirkstoff­entwickler Evotec Teile von Ncardia und übernahm das gesamte Kölner Team.

Bei acht Firmen (5,2 Prozent) ist unklar, was genau sie aktuell machen. Darunter könnten einige „Zombies“ sein, die nur noch vor sich hindümpeln. Es fehlen aktuelle Informa­tionen auf den Webseiten oder sie sind laut North Data in Liquidation.

Bleiben noch vier Unternehmen (knapp drei Prozent) für die Kategorien Non- oder False Starters, also Firmen, die nach der Gründung keinerlei Aktivität zeigten oder zumindest sehr, sehr still sind. Beispiele sind Mellitouch aus Berlin (vorgestellt 09/2008), die 2003 mit ihrem Diabetes-Dokumen­tationssystem den fünften Platz beim Science4Life-Wettbewerb ergatterten, dann aber nie aktiv wurden.

Oder Explosys aus Leinfelden-Echter­dingen: Einzelkämpfer Markus Schwehm verkauft Pandemie-Vorhersagen. 2005 taucht die Firma im Handels­register auf, alles deutet darauf hin, dass der Mathematiker der einzige Angestellte ist. Seit 2012 finden sich keine Aktuali­sierungen mehr im Unter­nehmensregister, die Webseite wurde offenbar 2016 zuletzt aktualisiert, eine E-Mail-Anfrage blieb unbeantwortet. Am Ende des LJ-Interviews (04/2009) sagte Schwehm noch: „Ich blicke optimistisch in die Zukunft.“ Explosys erlebte diese Zukunft vermutlich nicht.

Sigrid März

Dieser Artikel-Auszug ist eine Online-Vorab-Veröffent­lichung aus dem demnächst erschei­nenden Laborjournal-Heft, Ausgabe 9-2020.

Bild: Pixabay/EriktheGreat