Kein Problem!

(10.09.2020) Beim unabhängigen Biomed X Institute hat man den Spieß umgedreht. Man fragt Pharmafirmen direkt nach ihren Problemen – und löst sie. Auf ganz eigene Art.
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Biomed X-Team im Jahr 2015

Editorial

Spannende Forschung und vielver­sprechende Ergebnisse gibt es genügend in den Lebens­wissenschaften, nur finden diese allzu selten den Weg in ein Pharma-Unter­nehmen. Denn zwischen diesen beiden Welten klafft sehr oft eine große Lücke. Genau diese Lücke will Christian Tidona mit seinem BioMed X Institute schließen. Seit 2013 ist er erfolgreich damit beschäftigt, großartige Forschung und kommer­zielle Ziele miteinander zu verbinden.

Der Molekular­biologe und Virologe hat gleich nach seiner Promotion in den 1990er-Jahren angefangen, Start-ups zu gründen und Netzwerke zu leiten, die die Kooperation von akademischer Forschung und Industrie fördern. Bei Gesprächen mit Industrie­vertretern hat er dann festgestellt, was eigentlich fehlt: „Wir brauchen etwas, womit wir nicht die Fehler machen, die Biotech-Start-ups normaler­weise machen“, erzählt er. Über 80 % neuge­gründeter Biotech-Firmen scheitern nämlich und zwar nicht an der Techno­logie, sondern am Übergang in die Groß­industrie. Die hat nämlich ganz andere Anfor­derungen an Skalier­barkeit, Vali­dierung und vor allem an den Preis. „Wir haben das mit BioMed X ein bisschen umgedreht: Wir sprechen zuerst mit Pharma und fragen, was ihre größten Probleme in der frühen Forschung sind. Und welches Budget dafür bereit­steht“, erklärt Tidona. „Zweitens geht unser Ansatz darauf zurück, dass Talent auf der Welt eigentlich gleich verteilt ist. Man muss es nur an einem Ort bündeln, also rekrutieren“, sagt der Gründer.

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Problemlösung in 3 Phasen

Ganz praktisch funktioniert BioMed X also so: In Phase 1 identifiziert man zusammen mit dem Industrie­partner das nächste zu lösende Problem. Dieses wird dann weltweit an den besten Universitäten ausge­schrieben. „Darauf bewerben sich Postdocs aus der akade­mischen Wissen­schaft mit einem sehr originellen Projekt­vorschlag. Normaler­weise bekommen wir 200–600 Projekt­vorschläge aus bis zu 80 Ländern“, sagt Tidona stolz. Über die Projekt­vorschläge entscheidet ein Komitee und sucht die besten 15 Kandidaten aus, welche eingeflogen werden.

Hier beginnt Phase 2 – ein fünftägiges Inno­vations-Bootcamp in Heidelberg. „Die ausgewählten Kandi­daten sehen sich dort zum ersten Mal und wir helfen ihnen, sich in fünf Gruppen zu finden, die im Wettbewerb stehen. Diese Gruppen arbeiten parallel in fünf Tagen und vier Nächten an einem wirklich heraus­ragenden Projekt­vorschlag“. Hier entstehen dann die wirklich brillanten Lösungen, meint Tidona. Am letzten Tag entscheidet eine Jury, in der das Senior-Management des Pharma-Partners sitzt, welcher Vorschlag der vielver­sprechendste ist. Der Gewinner darf seine eigene Forschungs­gruppe am BioMed X Institute gründen, meistens sucht er sich noch 1–2 Postdocs aus seinen Bootcamp-Kollegen aus.

Dann kommt Phase 3, wie Tidona beschreibt: „Der Kandidat oder die Kandidatin wird mitsamt Familie nach Heidelberg umgesiedelt. Jobs für Ehepartner, Kinder­gartenplätze, Wohnungen usw. wird von BioMed X organisiert. Dann leben und arbeiten sie bis zu fünf Jahre an unserem Institut.“ Laboranten und Doktoranden werden später ganz normal hinzu rekrutiert.

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Eine besondere Atmosphäre

BioMed X ist zwar offiziell als GmbH geführt, die Christian Tidona zum größten Teil gehört, verhält sich aber mehr wie ein Forschungs­institut. So liegt es mitten im Techno­logiepark Neuenheimer Feld der Uni Heidelberg und hat Rahmen­verträge mit Forschungs­einrichtungen vor Ort. Die Wissen­schaftler können also alle Geräte und Einrich­tungen nutzen. Selbst wenn es darum geht, eine Maus- oder Zelllinie von anderen Instituten auszu­probieren, bekommen sie meist eine nicht-kommerzielle Nutzungs­vereinbarung.

Dennoch herrscht eine besondere Atmo­sphäre am Institut, was Tidona als Ökosystem beschreibt: „Ganz wichtig ist die Zusammen­arbeit zwischen den Forscher­gruppen, gegen­seitige Hilfe und reger Austausch“ sagt er. Die besten Ideen würden in den „Friday-Meetings“ aufkommen oder wenn die Leute zusammen essen oder feiern, und sich über Gruppen hinweg über neue Techno­logien oder Probleme unterhalten. Dazu braucht man die richtigen Leute, die vollkommen verinner­licht haben, dass man dadurch wächst, wenn man anderen hilft. Konkurrenz­denken sei fehl am Platz, betont Tidona. Der Unternehmer weiß aber auch, dass seine wissen­schaftlichen Überflieger oft sehr selbst­bewusst sein können und nicht gut im Team zusammen­arbeiten. „Das ist auch der Grund dafür, warum wir sie im Bootcamp auf Herz und Nieren prüfen. Bei uns haben nur Kandidaten eine Chance, die sich neben ihren heraus­ragenden wissen­schaftlichen Kompetenzen auch in Stress-Situationen gegenseitig unter­stützen. Einzel­kämpfer haben bei uns keine Chance“, sagt er strikt.

Zurzeit beherbergt das BioMed X Institute sieben Forscher­gruppen – zum Beispiel zu RNA-Splicing bei Krebs (gesponsert von Merck) und zur Rolle von Glia-Zellen bei der Entstehung psychischer Störungen (gesponsert von Boehringer Ingelheim). Die Projekte  werden von Mentoren begleitet und jeden Monat wird neu entschieden, wie es weitergeht – ob sich beispiels­weise eine große Erfindung anbahnt, die patentiert werden sollte.

Patente bleiben vor Ort

Apropos Geistiges Eigentum. Die Forschungs­ergebnisse und daraus resultie­rende Patente gehören zunächst BioMed X, die Pharma-Partner können diese jedoch nach Ablauf der Projekt­laufzeit erwerben. Tidona erklärt: „Wenn die Firmen eine festgelegte Einmal­summe am Ende zahlen, bekommen sie alle Ergebnisse und Rechte aus dem Projekt. Wenn sie das nicht leisten, bleibt alles bei BioMed X und wir können es mit jemand anderem versuchen. Seither haben wir sieben Projekte abgeschlossen und sechs an den Pharma-Partner übertragen.“ Im Projekt­verlauf zahlt der Pharma-Partner zudem für die Forschung einschließlich Overhead, ähnlich einer akademischen Kooperation.

Zu den Erfolgs­geschichten gehört auch ein Projekt zur Alzheimer-Forschung zusammen mit AbbVie in Ludwigshafen. Deren Problem: Alzheimer-Forschung in der Petrischale zu modellieren, ist sehr schwierig. Die öster­reichische Forscherin Dagmar Ehrnhöfer kam von der University of British Columbia und hatte die Idee, sich auf das Tau-Protein zu konzentrieren. Dieses hat nämlich sehr komplexe post-translationale Modifi­kationen, die je nach Krankheits­stadium variieren. Mit ihrer Forscher­gruppe bei BioMed X hat Ehrnhöfer heraus­gefunden, wie man diese Modifi­kationen als Surrogat nehmen kann, um den Krankheits­verlauf sehr schnell zu diag­nostizieren. Außerdem entwickelte sie In-vitro-Tests für neue Arznei­mittel gegen die Aggregat­bildung dieser toxischen Tau-Spezies. Nach vier Jahren wurde nicht nur ihre Arbeit von AbbVie übernommen, sondern sie und ein Teil ihrer Forscher­gruppe gleich mit.

Christian Tidona hat auch eine langfristige Vision. Er will etwas schaffen, das auch in 50 oder 100 Jahren noch besteht. Daher schöpft er Über­schüsse nicht ab, sondern investiert in neue Geräte oder zukünftig einmal in neue Standorte. Für seine Heran­gehensweise ist er kürzlich sogar vom Business Worldwide Magazine zum „Biotech­nology CEO Of The Year – Europe“ gekürt worden.

Karin Lauschke

Foto: Biomed X