Von Interdisziplinarität und Pionieren

(03.10.2020) Bieten interdisziplinäre Teams den Königsweg zu wissenschaftlichen Pioniertaten? Oder braucht es doch eher „antedisziplinäre“ Köpfe?
editorial_bild

Editorial

Zugegeben, es gehört ein wenig Augenzwinkern dazu, aber dennoch könnte man die Entschlüsselung der DNA-Struktur durch Watson und Crick durchaus als eine der ersten interdisziplinären Meisterleistungen der Wissenschaftsgeschichte werten: Ein Ornithologe und ein Physiker werteten Bilder von Kristallographen aus — und begründeten die Molekularbiologie.

Freilich hat das seinerzeit niemand so gesehen. Und gerade im Rückblick auf die damaligen Pioniertage würde heute wohl jeder Watson und Crick rundheraus als Molekularbiologen bezeichnen.

Interessanterweise drängten jedoch gerade in dieser Zeit des molekularbiologischen Aufbruchs überhaupt viele „Fachfremde“ in die Biologie — Physiker, Chemiker, Mathematiker,… Dennoch nahm damals kaum jemand das Wort „Interdisziplinarität“ in den Mund. Offenbar war nicht so wichtig, wo einen die jeweilige Ausbildung abgesetzt hatte — vielmehr zählte, wo einen die konkreten Fragen hintragen würden.

Editorial

Keine zwingende Logik

Und so erschlossen damals nicht nur Watson und Crick neue Felder. Dies vor allem auch deshalb, gerade weil die Protagonisten als interdisziplinäre Köpfe in der Lage waren, ihre alten Disziplinen hinter sich zu lassen, um sich neuen Wegen zu öffnen — und sie dann auch tatsächlich zu begehen.

Nur logisch daher, dass man deren neue Erkenntnisse samt der damit eröffneten Felder dann auch ganz für sich selbst bewertete — und eben nicht nach der disziplinären Herkunft derer, denen man sie verdankte. Wie gesagt, ist die DNA-Struktur doch vor allem eine molekularbiologische Entdeckung, und nicht zwingend-logisches Resultat einer interdisziplinären Kooperation aus Physik, Ornithologie und Kristallographie.

Nicht zuletzt wegen solcher Beispiele schrieb der US-Biologe Sean Eddy schon vor einiger Zeit in einem Essay mit dem Titel “Antedisciplinary” Science, dass neue Felder weniger durch inter-disziplinäre Teambildung entstünden, als vielmehr durch das Wirken „ante-disziplinärer“ Pioniere. Siehe Watson und Crick.

Editorial

Zurück in die Zukunft?

Sicher, interdisziplinäre Team-Projekte sind wichtig — dies allerdings vor allem dort, wo Antworten auf bisher unlösbare Fragen durch die Anwendung neu etablierter Techniken aus anderen Disziplinen realisierbar werden. Interdisziplinäre Projekte deshalb aber gleich zum Forschungsmodus Nummer eins zu erklären, wie dies Wissenschaftspolitiker heute allzu gerne tun, hieße jedoch, Vergangenes über die Zukunft zu stellen — und die Herkunft der Leute höher zu bewerten als ihre angepeilten Ziele und Visionen.

Und das klingt nun wahrlich nicht nach einem Rezept für echte Pioniertaten.

Ralf Neumann

(Illustr.: Freepik / macrovector)

 

Weitere Artikel zum Thema:

 

- Biowissenschaften – Potenzial ohne Zukunft?

Interdisziplinarität soll die Biowissenschaften vorantreiben. Doch die Idee verkommt nur allzu oft zur Rangelei um Stellen, Fördergelder und Renommee…

- Exzellenzrechnereien

Alle wollen mehr Exzellenz in der Wissenschaft. Und der einfachste Weg dahin scheint, dass man schlichtweg mehr Dinge „Exzellenz“ nennt

- Karge Zimmer oder quirlige Glastempel?

Forscher gehen mit der Zeit. Und so dürfte ein Klischee wohl langsam out sein: Dass der Forscher im Allgemeinen ein verschrobener Eigenbrötler ist