Durchs Nadelöhr

(25.02.2021) Noch sind mRNA-Impfstoffe ein knappes Gut. Das liegt auch an den benötigten Lipidnano­partikeln, die nur wenige Firmen herstellen können.
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Editorial

Ein Tropfen Wasser, eine Messerspitze Salz, dazu Zucker, vier verschiedene Fette, je ein Löffelchen Kaliumchlorid und Kaliumphosphat, noch etwas Natrium­phosphat und zum Schluss eine Prise Erbsubstanz. So in etwa lautet das Rezept des Biontech-Impfstoffs BNT162b2.

Ganz so leicht anzurühren, wie manche denken, ist die Mixtur aber nicht, da braucht es schon ein paar Profiköche. Denn obwohl die Würze (mRNA) ausreichend vorhanden ist, hängt der Wohl­geschmack eines Gerichts auch von seiner Konsistenz ab. Und dafür sorgt in diesem Fall die Lipidnano­partikelhülle, die die mRNA umgibt und sie vor der Zerlegung durch extrazelluläre RNAsen schützt und den Zelleintritt sichert.

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Zwei alt, zwei neu

Die Fetthülle von BNT162b2 besteht aus vier synthetischen Lipiden: Cholesterol und Colfosceril­stearat – die schon lange bekannt sind – und zwei speziell hergestellten Fetten namens ALC-0315 oder für die Lipid-Liebhaber ((4-Hydroxy­butyl)azanediyl)­bis(hexan-6,1-diyl)­bis(2-hexyl­decanoat) sowie ALC-0159 oder 2-[(Polyethylen­glycol)-2000]-N,N-ditetra­decylacetamid.

Während ALC-0159, ein PEGyliertes Lipid, neben Cholesterol und Colfosceril­stearat hauptsächlich die Nanopar­tikelhülle stabilisiert, kommt ALC-0315 eine besondere Rolle zu. Denn normaler- und damit natürlicher­weise sind sowohl Lipide als auch mRNAs negativ geladen, sie stoßen einander ab und vereiteln so die Hüllen­bildung. Bei ALC-0315 handelt es sich jedoch um ein funktionell kationische Lipid. Bei pH 7 wird die Ladung des Lipids durch Protonierung positiv und es kann zur elektro­statischen Interaktion zwischen negativer mRNA und nun positivem Lipid und somit zur Nanopar­tikelbildung kommen.

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Sehr ähnlich

Die Ähnlichkeit dieser synthetischen Lipide mit ihren natürlichen Pendants ist so enorm, dass sie als „biologisch abbaubar“ gelten. „Es ist davon auszugehen, dass sie im Körper ähnlich wie Nahrungs­lipide enzymatisch abgebaut werden und weitgehend in den körper­eigenen Fettstoff­wechsel eingehen“, schreibt das Paul-Ehrlich-Institut auf seiner Webseite.

Lipidnanopartikel als „Drogenkuriere“ sind übrigens erst in den 1990er-Jahren entwickelt worden. Und erst seit 2018 ist ein solches Medikament auf dem Markt. Das RNAi-Thera­peutikum Onpattro enthält eine fettverpackte siRNA und wird zur Behandlung der erblichen ATTR-Amyloidose eingesetzt.

Und genau da liegt momentan auch das Problem. Da die Technologie noch recht jung ist, gibt es nicht viele Anbieter auf dem Markt, die sich zum Beispiel auf die Produktion der synthetischen Lipide spezialisiert haben. Und diese auch in hohen Mengen und in guter Qualität zur Verfügung stellen können.

Von heute auf morgen schnellte im letzten Jahr die Nachfrage nach Lipiden in ungeahnte Höhen. Was auch Biontechs Finanz­vorstand Sierk Poetting vor eine ungewöhnliche Heraus­forderung stellte. Der Austria Presse Agentur (APA) sagte er, dass das Unter­nehmen bereits im vergangenen Frühjahr alles an Spezial-Lipiden aufgekauft habe, was verfügbar war. „Gerade wird noch alles, was reinkommt, sofort am nächsten Tag verarbeitet.“

Hilfe von Merck und Co.

Entspannung sei aber in Sicht, denn einige Anbieter konnten ihre Produk­tionsmengen bereits hochfahren. So etwa Merck, die Anfang Februar bekanntgaben, dass die Lipid-Lieferungen an Biontech beschleunigt und weiter ausgebaut werden sollen. Auch der deutsche Spezialchemie-Riese Evonik investiert in den Ausbau seiner Lipid-Produktion. Allerdings ist hier frühestens ab Sommer mit größeren Mengen zu rechnen.

Auch Moderna hatte mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der amerikanische Impfstoff-Hersteller bezieht seine Lipide von CordenPharma aus Plankstadt bei Karlsruhe. „Wir haben schon hoch­gefahren“, berichtet Matthieu Giraud, Leiter der „Global Peptides, Lipids & Carbo­hydrates Platform“ bei CordenPharma, dem Magazin Chemical & Engineering News. „Wir haben fast die Maximal­auslastung erreicht, die wir brauchen und, in der Theorie, können wir fast die dreifache oder vierfache Menge decken, die Moderna angefragt hat“. Giraud betont im Interview ebenfalls, dass die Lipid­herstellung keine triviale Sache ist, sondern eine Menge Erfahrung und Knowhow benötigt.

Viel zu tun

Knowhow, das es auch im öster­reichischen Klosterneuburg bei Polymun gibt. „Bis vor einem Jahr war das noch eine Idee im Labor und auf einmal wartet die Welt auf Millionen Dosen“, sagt Polymun-Chef Dietmar Katinger der APA. Mit seinen 90 Mitarbeitern hat er zurzeit alle Hände voll zu tun. Denn nicht nur Biontech gehört zu seinen Kunden, auch Curevac lässt bei ihm Lipidnano­partikel-Formul­ierungen herstellen. „Es ist eine neue Technologie, mit der noch nicht viele Leute in Berührung gekommen sind“, erklärt Katinger dem Wall Street Journal. Wohl auch deshalb teilt das mittel­ständische Familien­unternehmen aus Niederösterreich sein Wissen nun mit dem Pharma­giganten Pfizer. Eine ebenfalls nicht ganz so leichte Aufgabe. „Es ist wie wenn man einen Metall­arbeiter auf Holzarbeiter umschult – das Prinzip ist ähnlich, aber es braucht seine Zeit“.

Was es auch braucht, sind die passenden Gerät­schaften. Auch da steigt eine weitere deutsche Firma ins Geschäft mit den Fettver­packungen ein. Anfang Dezember verkündete der Berliner Labor­messgeräte-Hersteller Knauer, dass er nun auch Anlagen für die Produktion von pharmazeutischen Lipid-Nanopartikeln im Programm hat. „Hochdruck­dosierpumpen und Ventile für Flüssig­keiten sind seit Jahrzehnten eine der Kernkom­petenzen von Knauer“, erläutert der zuständige Produktmanager für LNP-Systeme auf der Firmen­webseite. „Alle Produkte werden in Berlin entwickelt, getestet und hergestellt. Deshalb gewährleisten wir eine belastbare und zuverlässige Lieferkette.“ Dann ist es hoffentlich mit der Impfstoff-Knappheit bald vorbei.

Kathleen Gransalke

Bild: Pixabay/Myriams-Fotos

 

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Letzte Änderungen: 25.02.2021