Nachwuchs in Not

(29.06.2021) Die Pandemie hat Labore und die Karriere von jungen Forschern lahmgelegt. Ausgerechnet mit EU-Förderung kann man in eine Klemme geraten.
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Editorial

Das Coronavirus SARS-CoV-2 hat ganze Wirtschafts­zweige vorübergehend auf Eis gelegt – und wer am Ende finanziell wieder auf die Beine kommt, ist ungewiss. Auch junge Forscher sind von Zukunfts­ängsten und ganz konkret von finanziellen Nöten geplagt. Insbesondere bei Förderungen auf EU-Ebene scheint die Bürokratie ein gewaltiger Bremsklotz für die Nachwuchs­wissenschaftler zu sein.

Antonia Weberling etwa berichtet uns, wie sie 2020 als Marie-Curie-Stipendiatin vom Lockdown getroffen wurde. Weberling absolvierte 2017 ihren Master in Biochemie an der Freien Universität Berlin und spezialisierte sich dabei auf Entwicklungs­biologie. Anschließend bewarb sie sich erfolgreich für ein Doktoranden-Stipendium des Image-in-Life-Konsortiums im Rahmen der Marie-Sklodowska-Curie-Maßnahmen (MSCA).

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Acht Monate verloren

MSCA-Stipendiaten wählen ein Institut innerhalb der EU, aber außerhalb ihres Heimatlandes für ihre Arbeit. Mithilfe des Stipendiums begann Weberling Ende 2018 ihre Promotion an der Universität Cambridge. „Hier arbeite ich an der frühen Embryonal­entwicklung von Mensch und Maus“, erklärt sie. Der Lockdown im März 2020 unterbrach nicht einfach nur ihre Arbeit, sondern warf sie um Monate zurück. „Biologische Labore können ja nicht einfach für ein paar Wochen abgeschlossen werden, und dann macht man weiter wie zuvor“, erklärt sie. „Ich arbeite mit Mäusen – und die mussten fast alle getötet werden, weil auch die Tierhäuser geschlossen waren. Nur für die Zucht durften in sehr begrenztem Umfang Tiere versorgt werden.“

Kompliziert sei das, wenn man mit seltenen Linien arbeitet, die sonst vielleicht nur einmal auf der Welt existieren, fährt Weberling fort. „In meinem Fall konnten wir ein Zucht­männchen halten, das zum Glück gedeckt hat. Das waren dann aber nach drei Monaten Lockdown noch mal weitere fünf Monate, bis ich weiterarbeiten konnte.“

Ein MSCA-Stipendium kann für maximal drei Jahre gewährt werden. In der biologischen Forschung sind drei Jahre bisweilen jedoch knapp bemessen, um ein Projekt zu Ende zu bringen. Das sei machbar, wenn man zuvor sehr gut plane, meint Weberling. Nur konnte niemand eine weltweite Pandemie voraussehen. Jetzt galt es, eine Lücke von acht Monaten zu füllen, in der Weberlings Promotion quasi stillstand.

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Drei ernüchternde Vorschläge

Weberling erzählt, dass zunächst verständ­licherweise alle überrumpelt waren von der Pandemie und dem Lockdown. Der für sie zuständige Projekt-Koordinator sei aber zuversichtlich gewesen, irgendeine Lösung zu finden – und trat dann auch an die Europäische Kommission heran, um zu hören, was man tun könne. Schließlich lief es darauf hinaus, dass Weberling und anderen Stipendiaten drei ernüchternde Vorschläge unterbreitet wurden. „Wir könnten entweder unbezahlten Urlaub für die Zeit der Unterbrechung nehmen oder auch nach Ablauf der drei Jahre unbezahlt an dem Projekt weiterarbeiten“, fasst Weberling zusammen. Die dritte Alternative wäre gewesen, das Stipendium auslaufen zu lassen, ohne das Projekt zu beenden.

„Das sind drei Optionen, die vollkommen unangemessen sind“, findet Weberling. „Wie soll man als Student oder Postdoc unbezahlten Urlaub nehmen, wenn man keine Rücklagen hat?“ Erschwerend komme hinzu, dass ein Marie-Curie-Stipendium ja eine Tätigkeit im Ausland zwingend vorschreibt. Und dort kann man nicht einfach Arbeits­losengeld bekommen, ohne vorher dort gearbeitet zu haben. „Trotzdem muss man dort seine Miete und sein Essen weiter zahlen“, fügt Weberling hinzu.

Ebenso ärgerlich findet sie den Vorschlag, ein Forschungs­projekt einfach abzubrechen. „Wir möchten am Ende auch Ergebnisse präsentieren, und außerdem sind das ja zum Teil auch medizinisch relevante Fragen. Ich forsche am Zeitpunkt der Einnistung des Embryos in den Mutterleib, und die Einnistung schlägt in dreißig Prozent der menschlichen Schwanger­schaften fehl.“ Weiter erinnert Weberling daran, dass die Karriere­chancen ja maßgeblich an Publikationen gemessen werden. „Dann steht man nach drei Jahren vor dem Nichts!“ Das passe überhaupt nicht in das Bild, das die EU mit den Marie-Curie-Stipendien verbreiten wolle. „Diese Stipendien gelten ja als Elite­förderung Europas. Es gibt sehr viele Auflagen, und es ist schwer, dort überhaupt reinzukommen.“

Kein politischer Wille?

Weberling erwähnt, dass sie sehr wohl von Stipendiaten wisse, deren Forschung als „wichtig“ erachtet und verlängert wurde, weil sie für die aktuelle Coronakrise relevant sei. „Gleichzeitig bekommen wir die Rückmeldung, man könne keine Projekte verlängern, weil man alle gleich behandeln möchte – was an sich ja schon absurd ist.“ Weberling betont, dass sie und andere Betroffene von mehreren EU-Abgeordneten unterstützt werden. „Auch deren Briefe an die Kommission werden stets mit ähnlichen Floskeln beantwortet.“ Eine rechtliche Grundlage zu mehr Unterstützung gebe es nach Einschätzung dieser Abgeordneten sehr wohl. „Also fehlt wohl einfach der politische Wille, etwas zu tun“, folgert die Nachwuchsforscherin.

Inzwischen hat sie sich mit anderen Stipendiaten von EU-Förderungen zusammen­getan und engagiert sich, individuelle Lösungen zu finden. Auf der Webseite rescue-horizon-europe.org setzen sie und ihre Mitstreiter sich außerdem dafür ein, dass EU-Förderungen für die Forschung nicht weiter gekürzt werden. Mehr hierzu schreibt Antonia Weberling selbst in unserer kommenden LJ-Sommeressay-Ausgabe 7-8/2021.

Mario Rembold

Dieser gekürzte Artikel erschien zuerst in ausführlicher Form in Laborjournal 6/2021.

Bild: Juliet Merz
(Mehr Illustrationen von Juliet gibt es auf ihrer Behance-Seite.)


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