Wo sind die „Doktorväter“?

(10.09.2021) Sind nur die Begriffe 'Doktorvater' und 'Doktormutter' veraltet? Oder gibt es sie in der modernen Forschung tatsächlich nicht mehr?
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Editorial

„Doktorvater“ oder „Doktormutter“ – wer sagt das heute eigentlich noch? Sicher, „Doktormutter“ wurde schon immer eher selten in den Mund genommen – und wurde daher auch nie zu einem derart gängigen Begriff wie „Doktorvater“. Weshalb wir uns im Folgenden auch exemplarisch auf letzteren konzentrieren wollen …

Warum also ist inzwischen auch der „Doktorvater“ zur seltenen Wort-Spezies geworden? Liegt das am etwas altbackenen Klang? Hat unsere dynamische, sich ständig modernisierende Sprache den „Doktorvater“ deswegen über den Tellerrand gekippt, sodass er jetzt im nebeligen Sumpf süßlich-verklärter Nostalgie dümpelt? Verdrängt durch das pragmatisch-schnodderige „mein Prof“ oder die Allerweltsfloskel „mein Chef“?

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Kaum Platz für innige Beziehungen

Oder steht „Doktorvater“ heute auf der Liste der gefährdeten Wörter, weil diejenigen, die der Begriff bezeichnen soll, heute gleichsam nahezu ausgestorben sind? Die gelehrten Persönlichkeiten, die ihren Schülern tatsächlich noch Vorbild sind – fachlich sowieso, aber auch als Mensch und Charakter; aus deren reichen Erfahrungsschatz man sich zum Wohle der eigenen Erkenntnis bedienen kann; die einen aber auch zu Konflikten zwingen wie mit dem leiblichen Vater; an denen man das eigene Profil durch ständige Reibung schärft; und von denen man sich, wenn der rechte Zeitpunkt gekommen ist, sauber abnabelt. 

Es scheint, als ließe der moderne Forschungsbetrieb, je mehr er sich an den Leitsätzen von Wirtschaft und Management orientiert und je stärker er von der kreativen Spielwiese auf eine reine Ergebnis-Produktionsstätte reduziert wird, solch innige Beziehungen kaum noch zu.

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Lassen wir ihn entschlummern

Wo aber kalte Effizienz und reiner Pragmatismus das Klima beherrschen, da klingt der immer auch ein wenig liebevoll gemeinte „Doktorvater“ tatsächlich seltsam unpassend. Also lassen wir ihn lieber friedlich entschlummern – bevor er als hohles Etikett für allzu viele mit ihm völlig Fehlbenannte noch unverdient gequält und arg entwertet wird.

Ralf Neumann

 

P.S.: Einen völlig anderen Blick auf den „Doktorvater“ bietet indes die Glosse „Ich bin kein Doktor-‚Vater'“ aus dem Jahr 2005, in dem der Autor sich von den Anforderungen des Doktorvaterseins eher erdrückt fühlt.

 

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Letzte Änderungen: 09.09.2021