Kein Platz für Opportunisten und Narzissten

(16.09.2021) Machtgefälle und Fehlanreize sind der Nährboden für unethisches Verhalten in der Wissenschaft. Vier Psychologen sagen: „Genug ist genug!“
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Editorial

Die Psychologen Daniel Leising (TU Dresden), Maja Dshemuchadse (Hochschule Zittau/Görlitz), Felix Schönbrodt (LMU München) und Stefan Scherbaum (TU Dresden) haben in einem mutigen Positionspapier Gründe erarbeitet, wieso es zu wissen­schaftlichem Fehlverhalten und Schikanen am Arbeitsplatz in der Scientific Community kommt und wie diese Probleme angegangen werden könnten. Den Anstoß dazu gab die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs).

Die Forscher nennen als Ursachen für Verstöße gegen die wissen­schaftliche Integrität die eklatante Ungleich­verteilung von Macht und Fehlanreize durch Bevorzugung quantitativer Leistungs­indizes wie die Zahl der Koautor­schaften und eingeworbene Drittmittel. Auch das weitgehende Fehlen ernstzu­nehmender Kontrollen und Sanktionen spiele eine Rolle.

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Antiquierte Abhängigkeitsverhältnisse

Eine kürzliche Befragung des Ombuds­gremiums der DGPs von 1.339 ihrer Mitglieder ergab, dass 61 % in ihrem Berufsleben bereits wissen­schaftliches Fehlverhalten oder Schikanen am Arbeitsplatz beobachtet haben und 46 % bereits selbst in solche Vorgänge involviert waren. Die Mehrheit der Betroffenen hat Fehlverhalten in einem frühen Karriere­stadium erlebt. „Glücklicherweise ist die Aufmerksamkeit für wissen­schaftliches Fehlverhalten größer geworden. Auch die Kultur in der Wissenschaft hat sich geändert. Man traut sich jetzt eher, Verstöße gegen die wissen­schaftliche Integrität zu hinterfragen“, erklärt Leising.

Als Lösungsansätze schlagen die Wissenschaftler in ihrem Positionspapier vor, Machtgefälle drastisch zu reduzieren, Korrekturen am Anreizsystem vorzunehmen sowie stärkere und externe Kontroll­mechanismen zu etablieren. Wissenschaftliche Arbeiten sollten nicht von denjenigen begutachtet werden, die an ihrer Entstehung beteiligt waren. Anstelle von viel solle gute Forschung belohnt werden, und klar herausgestellt werden, wer welchen Beitrag zu einem Projekt geleistet habe. Eine unabhängige steuer­finanzierte Agentur könnte Zertifi­zierungen bezüglich der Einhaltung wissenschaftlicher und anderer ethischer Standards anbieten. „Bei diesen Punkten ist der Handlungsbedarf am größten. Wir möchten im wissenschaftlichen Diskurs ein freies Spiel der Argumente zwischen allen Beteiligten, unbeeinflusst von Hierarchien“, erklärt Leising. „Wissenschaft ist in der Regel ein kooperatives Unterfangen. Für das derzeit noch existierende, enorme Machtgefälle gibt es keine rationale Begründung.“

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Trügerische Qualitätsmaßstäbe

„Die verwendeten quantitativen Indizes zur Bewertung von Wissenschaft sind zwar leicht messbar, aber kein gutes Maß für Qualität der erbrachten wissen­schaftlichen Leistungen. Das System führt zum Aufbau einer Exzellenz­fassade durch die Universitäten. Die Replika­tionskrise zeigt ja, dass die Belastbarkeit der Literatur nicht so gut ist wie wir es uns wünschen würden“, kommentiert Schönbrodt.

„Die gemessenen Indizes wären dann adäquat, wenn sie regelmäßig durch solide wissens­chaftliche Beiträge zustande kämen. Das ist aber zu häufig nicht der Fall. Das System ist relativ leicht korrumpierbar, zum Beispiel durch ungerecht­fertigte Gastautor­schaften“, ergänzt Leising.

„Das System ist auch korrumpierend“, fügt Scherbaum hinzu, „da solche Verstöße gegen die wissen­schaftliche Integrität – solange sie unbemerkt bleiben – auch noch in Form von Gehalts­zuschlägen, Festanstellung und Projekt­mitteln belohnt werden. So gesehen ist es umso bemerkenswerter, dass trotzdem der Großteil derjenigen, die in der Wissenschaft arbeiten, dies in ethisch adäquater Weise tut“.

Fehlverhalten im Graubereich

„Es gibt krasse Formen von Fehlverhalten, gegen die es Kontroll- und Korrektur­mechanismen geben muss. Daneben gibt es Fehlverhalten in einem Graubereich, das aber ebenfalls der Wissenschaft schadet, zum Beispiel durch die Veröffentlichung nicht reproduzierbarer Ergebnisse“, so Dshemuchadse. „Bisher gibt es nur wenig Anreize, wissen­schaftliche Arbeiten kritisch zu begutachten. Wir wollen eine Änderung der Wissenschafts­kultur erreichen, indem wir die Anreize ändern“, fügt sie hinzu.

„Die Menge an Publikationen ist so stark gestiegen, dass wir mit dem Reviewen nicht mehr hinterher­kommen. Es gibt keinen Anreiz, in die Tiefe zu gehen“, berichtet auch Schönbrodt. „Wir wissen inzwischen empirisch, dass Peer Review nicht das leistet, was wir von ihm erwarten. Wichtig wäre Transparenz, sodass die Leser sich die Gutachter-Kommentare anschauen und diskutieren können.“

„Replizierbarkeit, Präregistrierung von Studien, offene Daten und Analyse­skripte sind wesentliche Kriterien für qualitativ hochwertige Publikationen. Bei konsequenter Anwendung solcher Qualitäts­kriterien würde auch die Zahl der zu begutach­tenden Manuskripte deutlich sinken“, fügt Leising hinzu.

Mangelnde Fehlerkultur

„Wissenschaft hat ja ein quasi religions­ähnliches Image, da sie die wichtigen Fragen der Menschheit lösen soll. Der Professo­rentitel verleiht eine Reputation von Integrität, sodass solchen Personen kaum unethisches Verhalten zugetraut wird. Die interne Kontrolle versagt nach unseren Recherchen aber viel zu häufig. Die Ansprech­partner bei Konflikten und Verdachts­fällen sind manchmal eher Beschwich­tigungsexperten statt Problemlöser“, berichtet Leising. „Das macht es dann natürlich schwierig, mit den wirklich krassen Fällen auch adäquat umzugehen.”

“Wenn sie Fälle von Fehlverhalten aufdecken, schädigen sich die Universitäten sogar selbst. Daher ist es besser für ihren Ruf, ein gutes Krisen­management statt eine gute Fehlerkultur zu haben“, erklärt Dshemuchadse. Es fehle den Ombudsleuten auch an Zeit, Autorität und den Mitteln, Fehlverhalten zu verfolgen.

Stattdessen werde Fehlverhalten individualisiert, erläutert Scherbaum. Die meisten Fälle von Fehlverhalten werden nie bei den zuständigen Stellen angezeigt. „Für diejenigen, die sich dennoch trauen, auf wissen­schaftliches Fehlverhalten aufmerksam zu machen, ist der Ausgang eines solchen Verfahrens oft eher negativ. Whistleblower werden häufig aus der Wissenschaft hinaus­getrieben“, berichtet Schönbrodt. „Die Konsequenz ist, dass alle den Mund halten“, kommentiert Leising.

Positive Resonanz auf Kritik

Bisher haben die Wissenschaftler Zuspruch für ihr Positionspapier bekommen, auch aus anderen Fachbereichen. „Es hat uns Mut gekostet, uns auf diese Weise zu äußern“, so Leising. „Von Nachwuchs­wissenschaftlern habe ich die Rückmeldung erhalten: ‘Schön dass es endlich mal jemand sagt‘“, berichtet Scherbaum.

“Unser Anliegen ist, den Diskussions­prozess zu starten“, erläutert Dshemuchadse. „Es geht uns darum, die Spitzen des Fehlverhaltens abzuschneiden, diese schlimmen Fälle angemessen aufzuklären und gleichzeitig in der Breite die wissen­schaftlichen Standards anzuheben.“ Scherbaum ergänzt, „wir müssen sowohl die Strukturen der Aufklärung professio­nalisieren als auch die Vorgehensweisen der individuellen Forschenden“.

„Wir sind überzeugt, dass die große Mehrheit der Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftler sich bemüht, integer zu arbeiten“ betont Leising. „Aber Menschen, die andere Prioritäten haben als integer zu forschen, können in diesem System bisher sehr weit kommen und vordergründig sehr erfolgreich sein – das reicht von Opportunisten und Narzissten bis hin zu echten Psychopathen. Wir müssen das System so verändern, dass solche Menschen ihr Glück in Zukunft anderswo versuchen müssen“, so Leising.

Wissenschaftlerinnen und Wissen­schaftler aus der Psychologie können sich auch an das Ombuds­gremium wenden, wenn sie mit wissen­schaftlichem oder anderem Fehlverhalten am Arbeits- oder Studienplatz konfrontiert werden. Die DGPs bittet zudem um Kommentare aus der Scientific Community zu diesem Thema. Zum Wintersemester soll dann eine Task Force oder Arbeitsgruppe berufen werden, die sich vertieft mit der Thematik von Macht­missbrauch und Fehlverhalten in der Wissenschaft beschäftigt.

Bettina Dupont

Bild: AdobeStock/master1305


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Letzte Änderungen: 16.09.2021