Forschungsanträge à la Sisyphos

(24.09.2021) In einigen Förderprogrammen liegen die Bewilligungsquoten für Projektanträge im einstelligen Prozentbereich. Aufwand und Effekt stehen damit in einem absurd ineffizienten Missverhältnis.
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Editorial

„In der ersten Runde gingen 400, in der zweiten Runde 270 Anträge ein, von denen sich 24 beziehungsweise 22 durchsetzen konnten – also durchschnittlich sieben Prozent.“

So beschreibt Ralf Schreck in unserem aktuellen Heft (S. 86-88) die „Erfolgsbilanz“ der Initiative „1.000-Ideen-Programm“ des österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF).

Bereits Anfang des Jahres hielt er an gleicher Stelle zur Fördermaßnahme „Experiment!“ der VolkswagenStiftung fest (LJ 1-2/2021: 72-74):

„Überraschend für die VolkswagenStiftung war die hohe Resonanz auf die erste ‚Experiment!‘-Ausschreibung. Hier gingen 704 Anträge ein, von denen 13 Anträge, also knapp zwei Prozent, erfolgreich waren.“

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Über 98 Prozent Ablehnungsquote

Zwei Prozent! Bereits zur Erfolgsquote von sieben Prozent Antrags-Bewilligungen im „1.000-Ideen-Programm“ lautet Schrecks ernüchternder Kommentar in unserem aktuellen Heft:

„Auch wenn sich der Antragsaufwand in Grenzen gehalten hat, ist die geringe Förderquote für viele Antragsteller sicherlich eine Enttäuschung und motiviert nur wenig, sich an weiteren Ausschreibungen zu beteiligen.“

So ist es! Mindestens ebenso verstörend ist jedoch die Ineffizienz, die das gesamte Förderprinzip von Antrag und Begutachtung gerade angesichts solch niedriger Bewilligungsquoten offenbart. Bereits vor fünf Jahren hatten wir dies an einem Fall aufgezeigt, der die Absurdität dieses „Antrags-Wahnsinns“ besonders krass illustrierte (LJ 1-2/2016: 8). Zur Verdeutlichung des Problems sei er im Folgenden nochmals wiedergegeben:

„Wenn es um das Antragswesen wissenschaftlicher Projektförderung geht, scheint Effizienz oftmals kein hervorstechendes Merkmal zu sein. Zumindest bestärken einzelne Beispiele immer wieder diesen Eindruck.

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Ein Riesenhaufen produktiver Zeit und Geld

Nehmen wir etwa den folgenden Fall, den der belgische Linguist Jan Blommaert in seinem Blog Ctrl+Alt+Dem beschrieb. Demnach ging er so richtig in die Vollen, als vor Monaten im EU-Rahmenprogramm „Horizon 2020“ ein bestimmtes Projektthema ausgeschrieben wurde. Umgehend stürzte er sich zusammen mit seinem Leuten in umfangreiche inhaltliche Vorarbeiten und heuerte überdies europaweit geeignete Partner für das geforderte „Internationale Konsortium“ an.

Logisch, dass für die notwendigen Meetings schnell mal Hunderte von Arbeitsstunden und mehrere Tausend Flugkilometer draufgingen. Ein Mitarbeiter aus Blommaerts Team kümmerte sich etwa monatelang quasi hauptamtlich um Koordination, Vorbereitung und schlussendliche Realisierung des Antrags. Dazu erhielt er umfassende Hilfe von zwei Leuten aus der Uni-Verwaltung: einem professionellen „Grant Writer“ und einem eigens angestellten Fachmann für EU-Angelegenheiten.

Dies alles und noch viel mehr summierte sich am Ende zu einem Riesenhaufen produktiver Zeit und Geld, die mit höchster Wahrscheinlichkeit völlig umsonst investiert – und damit verschwendet – waren. Denn eine Woche, nachdem sie den Antrag fix und fertig abgeschickt hatten, erhielten Blommaerts und Co. aus Brüssel die Nachricht, dass insgesamt 147 Anträge eingegangen seien, wovon jetzt ganze 2 – ZWEI! – bewilligt würden.

Eine verheerende Bilanz

Man braucht keine allzu komplizierte Mathematik, um die hirnlose Ineffizienz dieses gesamten Manövers aufzuzeigen. Man multipliziere nur grob die ausschließlich mit Steuergeldern bezahlte Arbeitszeit samt übriger Kosten von Blommaert und Co. mit der Zahl der insgesamt 145 abgelehnten Anträge, addiere dazu die Brüsseler Kosten für Verwaltung und Begutachtung – und setze diese für nahezu Nix investierte Summe wiederum in Beziehung zu den 6 Millionen Euro Gesamt-Fördervolumen. Eine verheerende Bilanz, oder?

Und jetzt haben wir noch gar nicht darüber gesprochen, welches Signal eine Ablehnungsquote von 98,7 Prozent für die Forscher generell bedeutet…“

Sicher, in den beiden oben geschilderten Förderprogrammen ist der Antragsaufwand deutlich kleiner als hier. Und klar, die DFG bewilligt von den vielen Anträgen, die bei ihr reinkommen, immerhin durchschnittlich rund dreißig Prozent. Aber dennoch wird man den Eindruck nicht los, dass mit dieser Art des Antragswesens inzwischen enorm viel Geld und Arbeitszeit für letztlich null Ertrag hinausgeblasen werden.

Ralf Neumann

(Illustr.: medium.com)

 

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Letzte Änderungen: 21.09.2021