Gutachten immer und überall

(14.01.2022) In der Forschung wird jeder Schritt begutachtet oder evaluiert. Damit muss die Forscherseele erstmal zurechtkommen.
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Editorial

Wohl kaum eine andere Berufsgruppe wird derart oft und ausgiebig evaluiert wie die Zunft der Forscher.

Master-, Diplom- und Doktorarbeit, Bewerbungsgespräche und Berufungskommissionen – geschenkt, das gibt‘s woanders auch. Dann aber jedes einzelne Manuskript und jeder Förderantrag – das macht bisweilen Dutzende von kritischen bis kleinkarierten Gutachten im Jahr, die man erst mal schlucken muss.

Dazu noch die jährlichen Reports an Förderorganisationen, Institutsverwaltung, Fakultätsleitung oder Trägergesellschaft – alles ebenfalls durchaus existentiell hinsichtlich Finanzierung, Gehalt, Verteilung von (Service-)Pflichten, Gewährung von Rechten, und anderem mehr.

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Im Dauerfeuer

Und wer dann noch lehrender Forscher ist, der muss sich auch noch der Bewertung seiner Lehrleistung durch Studenten und Institutskollegen stellen.

Das macht zusammen eine Evaluationslast, über die eine US-Kollegin einmal schrieb:

„Nimmt man die Menge und Intensität all dieser Evaluationen, steht zwangsläufig die Frage im Raum, ob man ein solches Evaluations-Dauerfeuer ohne titanisches Ego überhaupt überleben kann. Es sei jedoch gesagt: Die meisten können!“

Natürlich wird man bei dieser schieren Menge an Gutachten und Evaluationen auch immer wieder mit ungerechten, schlampigen, rüden und manchmal auch schlichtweg dummen Antworten konfrontiert. Das kann einen dann – je nach Naturell – auch mal richtig wütend oder niedergeschlagen werden lassen.

Wer jedoch in der Forschung arbeiten will, muss irgendwann ganz grundsätzlich akzeptieren, dass Gutachten von ihrer reinen Intention her kritisch sein sollen. Schlussendlich soll diese Kritik die Arbeit der Forscherinnen und Forscher ganz generell verbessern helfen – jedenfalls in einer idealen Welt mit perfekt funktionierendem System.

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Schmerzhafter Lernprozess

Gerade die Egos vieler Jungforscherinnen und Jungforscher müssen dies jedoch erst schmerzhaft lernen und begreifen – vor allem den Unterschied zwischen einem schonungslos kritischen, aber konstruktiven Gutachten einerseits und rein bösartiger Review-Willkür andererseits.

Die oben erwähnte US-Kollegin dokumentierte das sehr nett in folgender kleinen Anekdote:

„Immer wieder kam ein Mitarbeiter völlig zerknirscht wegen eines vermeintlich absolut grausamen Gutachtens zu mir. Und fast genauso oft habe ich dann nach eigenem Durchlesen gedacht: ‚Gutes Gutachten! Mit richtig hilfreichen Kommentaren!‘“

Ralf Neumann

(Illustr.: AdobeStock / Aeko)

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