Heute schon gestaunt?

Archiv: Schöne Biologie

Ralf Neumann


Editorial

Schöne Biologie

Hat sich schon mal jemand gefragt, warum wir diese Kolumne überhaupt eingerichtet haben? Im Rückblick ist das nicht mehr so leicht zu entschlüsseln, denn die ursprüngliche Intention wurde durch das wachsende Sammelsurium der Beiträge doch immer wieder verschleiert. Allzu oft entwickelten die Themen beim Schreiben ihre ganz eigene Dynamik – und landeten am Ende ganz woanders als anfangs gedacht. In all diesen Fällen: Hat sich dann niemand gewundert, wie das überhaupt noch zum Titel „Schöne Biologie“ passt?

Dieser Titel – und jetzt lösen wir die Eingangsfrage langsam auf – war damals wirklich im Wortsinn gemeint: Ursprünglich sollte diese Kolumne immer wieder aktuelle Erkenntnisse aus der biologischen Forschung vorstellen, die explizit die „Schönheit“ dieser Disziplin illustrieren. Warum? Weil wir damals der Meinung waren, dass die Biologie durch eine stark zunehmende Fokussierung und Einengung auf biomedizinische Themen genau dies zu verlieren drohte: das immer wieder neue Staunen darüber, was die Natur mit ihrem „Chef-Gestalter Evolution“ an raffinierten, ausgefuchsten und damit eben irgendwie „schönen“ Phänomenen hervorbringt.

Editorial

Man mag darüber streiten, aber neben dem „Staunen“ kam uns diese Kategorie an Erkenntnissen meist auch intellektuell ansprechender vor als so vieles, was sich rein pragmatisch um die Entschlüsselung der unterschiedlichen Mechanismen von Gesund und Krank drehte. Wobei dies natürlich nichts, aber auch rein gar nichts darüber aussagt, welche Art von Bio-Forschung samt ihrer potentiellen Erkenntnisse wir womöglich eher brauchen...

Warum diese Erklärung? Weil uns all dies bei dem folgenden Beispiel wieder allzu bewusst wurde. Zu „schön“ illustriert es, was genau einstmals die „Ur-Intention“ dieser Kolumne war...

Boxer-Krabben der Spezies Lybia leptochelis sorgten für diese Rückbesinnung – oder besser gesagt das, was israelische Forscher über ihre Symbiose mit Anemonen der Gattung Alicia herausfanden.

Skurril genug schon, dass Boxer-Krabben zeitlebens und obligat in beiden Scheren je eine Anemone halten. Der Nutzen für die Krabben ist klar: Die Anemonen wehren Feinde ab und helfen bei der Nahrungsaufnahme. Die Anemonen dagegen verfügen mit den Krabben zwar über ein Transportvehikel, das sie zu ansonsten unerreichbaren Futterquellen bringen könnte. Im Fall von Lybia leptochelis bringt das den Alicia-Anemonen allerdings nur wenig: Streng wacht die Krabbe über deren Futteraufnahme, damit sie am Ende nicht vollends von ihr überwuchert wird.

Doch das war es nicht, was die Israelis vor allem interessierte. Vielmehr entfernten sie die Anemone aus einer Schere – und schauten, was Lybia machte: Umgehend zerteilte diese die verbliebene Anemone, und bald darauf hatten sich in beiden Scheren wieder „vollständige“ Individuen regeneriert. Prinzipiell das Gleiche geschah, wenn die Israelis einer Krabbe beide Anemonen klauten: Diese entriss daraufhin einem Artgenossen eine Anemone, oder wenigstens ein Fragment davon – und am Ende hatten beide wieder komplett regenerierte Anemonen in jeder Schere.

Die starke genetische Homogenität innerhalb der Alicia-Anemonen brachte die Israelis am Ende zu dem Schluss, dass sie sich überhaupt nur durch dieses „Zerpflücktwerden“ vermehren. Woraufhin sie verkündeten, dass dies wohl das erste Beispiel überhaupt sei, wonach eine Spezies die asexuelle Vermehrung einer anderen induziere.

Schon zum Staunen, dieser neuerliche Kniff der Evolution – oder?



Letzte Änderungen: 06.03.2017