Der ewige Ursprung

Archiv: Schöne Biologie

Ralf Neumann


Editorial

Schöne Biologie

Viele meinen, dass die Blütezeit der Bioforschung vorbei wäre. Einfach, weil es kaum noch wirklich große Fragen zu lösen gebe. Sicher, die Meinungen darüber mögen auseinander gehen – unter anderem auch, weil sich bei dieser Diskussion schnell ein subjektiver Faktor einschleicht. Was der eine mit leuchtenden Augen als „große Frage“ proklamiert, entlockt dem nächsten womöglich nur ein müdes Lächeln.

Bei einer Frage allerdings sind sich wohl alle einig, dass sie zu den ganz großen gehört: Der Ursprung des Lebens! Oder tatsächlich als Frage formuliert: Wie entwickelte sich auf unserem Planeten aus unbelebter Materie Leben in seiner einfachsten Form? Und das Schöne an dieser Frage: Trotz allen Forschens und Denkens auf der Suche nach Erkenntnissen wird sie uns erhalten bleiben! Eine abschließende Antwort darauf ist nicht möglich – es sei denn, wir können irgendwann Zeitreisen machen.

Editorial

Wie kommt das? Fragen wir zunächst, was die Naturwissenschaften generell bei offenen Fragen machen. Klar, Hypothesen aufstellen aus den Indizien, die man hat. Wobei Hypothesen hier nur dann wirklich nützen, wenn sie konkret testbar sind. Und genau damit rutscht die Origin-of-Life-Forschung in ein besonderes Dilemma.

Nehmen wir zwei aktuelle Beispiele, um dieses Dilemma zu verdeutlichen:

Gerade beschrieben japanische Chemiker, wie sich unter sauren Bedingungen Thio-Versionen von Aminosäuren (also plus Schwefelatom) zu kurzen Peptidketten verbanden (Biochemistry 58(12): 1672-78). Da nun die Bildung und Verlängerung von Peptidketten aus regulären Aminosäuren als eine Schlüssel-Voraussetzung für die Entstehung des Lebens gilt, war die Folgerung der Japaner klar: Die Aminothiosäuren könnten mit ihrer Neigung, spontan Peptidbindungen einzugehen, vor Milliarden Jahren als Vorläufer gedient haben, um nachfolgend die komplexe Chemie der Proteinbildung zu ermöglichen, wie wir sie heute kennen. Womit wir eine Hypothese hätten. Und tatsächlich konnten die Japaner weiterhin zeigen, dass ihre Aminothiosäure-Ketten auch dann entstanden, wenn sie in der Reaktionslösung eine Reihe von Parametern so einstellten, wie sie auf unserer Erde vor der Entstehung des Lebens mutmaßlich vorlagen.

Auch das zweite Beispiel handelt von chemischer Evolution, wie sie der biologischen Evolution vorausgegangen sein muss. Münchner Chemiker haben im Labor einen vergleichsweise einfachen Weg gefunden, wie DNA-Bausteine entstehen können (Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 58(29): 9944-7): In alkalischer Lösung und bei 40 bis 70 Grad Celsius wurde die Desoxyribose aus einfachen Molekülen wie Acetaldehyd oder Glycerinaldehyd sowie gewissen Zuckervorläufern direkt an die vier Nukleobasen angebaut – völlig ohne enzymatische Hilfe. Kein Wunder, vermuten die Autoren auch hier, dass auf diese Weise DNA-Moleküle in der präbiotischen Welt womöglich früher entstanden sein könnten als bisher angenommen – und zwar nicht nach, sondern parallel zur RNA. Was gemerkt? – Hypothese!

Und nun kommt endlich das angekündigte Dilemma: Beide Hypothesen entwer­fen Szenarien, die wir zwar falsifizieren können, indem wir etwa herausfinden, dass zwingend notwendige Rahmenbedingungen auf der präbiotischen Erde eben nicht vorgeherrscht haben. Ansonsten prüfen wir damit aber lediglich immer weiter auf immer höhere Plausibilität des jeweiligen Szenarios. Wir können diese nicht direkt und abschließend testen, wie man etwa ermitteln kann, ob in menschlichen Zellen Faktor X das Phänomen Y beeinflusst. Das ginge tatsächlich nur, wenn wir zur präbiotischen Erde zurückreisen könnten.

Die große Frage nach dem Ursprung des Lebens wird der Bioforschung also vorerst nicht abhanden kommen.

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Letzte Änderungen: 10.09.2019