Editorial

Besser ohne Popper

Archiv: Schöne Biologie

Ralf Neumann


Schöne Biologie

Mit der Wissenschaftstheorie ist es so eine Sache. Klassisch frönte man einem sogenannten positivistisch-induktivistischen Ansatz, nach dem man genügend viele Beobachtungen irgendwann zu einer verallgemeinernden Theorie zusammenfassen konnte.

Doch dann kam Karl Popper. Um die Mitte des letzten Jahrhunderts setzte der österreichisch-britische Philosoph diesem Ansatz sein empirisches Falsifikationsprinzip entgegegen. Nach diesem seien wissenschaftliche Theorien immer unsichere Spekulationen, die die empirische Forschung mit der stetigen Suche nach widersprechenden Beobachtungen umzustoßen versucht.

Was daraus folgt, ist, dass eine wissenschaftliche Theorie niemals zu einer Gewissheit werden kann. Ein plattes Beispiel dazu: Da wir nur gestreifte Zebras beobachten, gilt für uns als Tatsache, dass Zebras gestreift sind. Für Popperianer bleiben gestreifte Zebras aber auf ewig eine Theorie. Schließlich ist es ja weiterhin möglich, dass irgendwann jemand ein ungestreiftes Zebra aufspürt – womit die Theorie, dass Zebras gestreift sind, widerlegt wäre.

(Nebenbei dürfte hiermit deutlich werden, dass der Begriff „Theorie“ in der Wissenschaft etwas viel, viel Sichereres bedeutet als für den Laien so manche Tatsache. Genau deshalb scheitern die Evolutionsgegner auch ganz kläglich mit ihrem vielfach bemühten Satz, die Evolutionstheorie sei eben nur eine Theorie – und keine Tatsache.)

Aber zurück zu Popper. Sein Falsifikationsprinzip fand unter den Physikern viele Anhänger. In der Biologie dagegen nur ganz vereinzelt – und das ist auch gut so. Denn wie würde biologische Forschung ablaufen, wenn Poppers Prinzip das einzig wirklich erkenntnisbringende in der Forschung wäre?

Nehmen wir als Beispiel die Augenentwicklung. 1995 zeigte der kürzlich verstorbene Basler Entwicklungsgenetiker Walter Gehring mit seinem Team, dass das Homöobox-Gen Pax6 als Master-Regulator die Entwicklung der Drosophila-Facettenaugen anwirft und steuert. Aber nicht nur das. Gehring und einige andere Kollegen stellten weiterhin fest, dass Pax6-Gene offenbar überall vorkommen, wo Augen gebildet werden. Und schließlich zeigten sie, dass das Pax6-Gen der Maus, das dort die Entwicklung des Augentyps „Linsenauge“ steuert, in der Fliege tatsächlich die Bildung des anderen Augentyps „Facettenauge“ dirigieren kann – und umgekehrt, dass das „Facettenaugen“-Pax6 aus der Fliege auch Froschaugen, also Linsenaugen, induzieren kann.

„Postivistisch-induktivistisch“ formulierten Gehring und Co. daraus natürlich die Theorie, dass sämtliche Augen aller Organismen ein und denselben evolutionären Ursprung haben – was sich in dem beliebig austauschbaren Master-Regulator Pax6 eindrucksvoll manifestiert.

Nach Popper müsste man nun verstärkt nach Augen suchen, deren Bildung nicht durch Pax6 gesteuert wird, um die Theorie zu prüfen. Das wurde zwar auch getan – 2014 wurde etwa die Pax6-Steuerung im Tintenfisch beschrieben (Sci. Reports 4: 4256) und kürzlich auch für alle acht Spinnenaugen bestätigt (EvoDevo 6:15). Allerdings werden die Kollegen dafür heute allenfalls ein beiläufiges Abnicken übrig haben – frei nach dem Motto „Gut, dass es jemand gemacht hat“.

Ob Poppers Falsifikationsprinzip für den biologischen Erkenntnisgewinn nun tatsächlich etwas bringt oder nicht – zur Erlangung wissenschaftlichen Ruhms taugt es offenbar nur wenig. Was natürlich auch viel darüber aussagt, wie es die Biologen mit Popper halten.



Letzte Änderungen: 02.06.2015