Editorial

Schattenparker

Archiv: Schöne Biologie

Ralf Neumann


Schöne Biologie

Oft sind es neue Tools und Methoden, die der Forschung auf die Sprünge helfen. Wie laut jubelten etwa viele an den Laborbänken, als Chemiefirmen auf die Idee kamen, fertige Kits für molekularbiologische und später auch andere Standardanwendungen kommerziell zu vertreiben. Endlich nicht mehr alle Bestandteile für jeden einzelnen Schritt des Prozederes selber abwiegen müssen, sondern fertig gelöst, gemischt und eingestellt als Kit kaufen können...

Die Folge war Beschleunigung: Das Versuchshandwerk ging mit den Kits leichter von der Hand, die Resultate purzelten schneller – und die Paper ebenso. Ein Segen für alle Beteiligten, oder?

Nicht ganz. Denn nicht alle Anwendungen versprachen den Firmen genug Profit, um dafür Kits – oder auch andere spezifische Tools, wie etwa Antikörper oder Antagonisten – herzustellen. Da die Forscher diesen Service inzwischen jedoch sehr zu schätzen gelernt hatten, blieb im Schatten von Kits und Co. am Ende einiges brachliegen. Denn wo keine bequemen Tools dieser Art zur Verfügung standen, da wurde auch nicht mehr gerne geforscht. (Bereits vor einem Jahr hatten wir dieses Phänomen im Zusammenhang mit der Proteinkinasen-Forschung genauer thematisiert – siehe LJ 4/2016: 8.)

Doch nicht nur die bequemen Firmen-Tools werfen einen Schatten, in dem so mancher Schatz für lange Zeiten unentdeckt im Dunkeln verborgen bleibt. Das gleiche Prinzip trifft offenbar für weithin etablierte Standardmethoden zu. Beispielsweise hätte man das ganze Arsenal der kleinen regulatorischen RNAs womöglich schon viel früher entdeckt, wären aufgrund der Erkenntnisse aus mRNA-, tRNA und rRNA-Forschung die entsprechenden RNA-Gele nicht seit jeher für die Trennung größerer RNA-Moleküle optimiert und standardisiert worden.

Oder nehmen wir ein Beispiel aus den frühen Tagen der Zellbiologie. Damals kannte man Mitochondrien lediglich als Bestandteile weniger einzelner Zelltypen, in denen man sie besonders groß sehen konnte. Bis klar wurde, dass sie tatsächlich in allen Zellen vorkommen, mussten Jahrzehnte vergehen. Der Grund: Die damalige Standardfixierung von Zellmaterial für mikroskopische Untersuchungen mit Alkohol-Essig­säure zerstörte die meisten Mitochondrien.

Offenbar scheint es unausweichlich, dass bei jeder Etablierung einer allgemeinen Standardmethode ein paar wenige spezielle „Opfer“ in den Schatten geboxt werden – und dort schließlich ungewöhnlich lange auf ihre Entdeckung warten müssen.

Dieses Fazit zogen jetzt auch Forscher des Kölner Max-Planck-Instituts für Biologie des Alterns. Diese untersuchten, ob und wie Zellen die Reparatur von DNA-Schäden über gezielte posttranslationale Modifikationen der beteiligten Proteine steuern. Dazu mussten sie unter anderem Histone isolieren, um sie anschließend massenspektrometrisch analysieren zu können. Als Problem an der ganzen Sache stellte sich heraus, dass die Standardprotokolle zum tryptischen Verdau der Histone Peptidfragmente lieferten, die schlichtweg zu kurz waren, um in der anschließenden massenspektrometrischen Analyse komplexere Modifikationen identifizieren zu können. Erst als die Kölner die Standardmethode verwarfen und ein eigenes Fragmentier- und Sequenzierverfahren entwickelten, sahen sie, dass die Histone im Zuge der DNA-Schadensantwort vielfach an Serinresten ADP-ribosyliert werden (Nature Comm. 12(12): 998-1000).

Folglich wieder mal eine Erkenntnis, die erst aus dem Schatten der Standardmethoden ans Licht geholt werden musste.




Letzte Änderungen: 29.03.2017