Beiträge zur Biochemie seltsamer Lebewesen (4)

Die Aliens

von Siegfried Bär, Zeichnung: Frieder Wiech (Laborjournal-Ausgabe 05, 2005)


Editorial
Sie haben kein Verständnis für gruslige Kinoproduktionen, in denen die Säure tropft und arme Weltraumfahrer dahingemetzelt werden? Sollten Sie aber! Denn unser Autor entdeckte darin verblüffende Einblicke in die soziologische Struktur des Forschungswesens.

Mit Alien sind die raubtierartigen Lebewesen in den vier Folgen der Alien-Serie der Regisseure Ridley Scott, James Cameron, David Fincher und Jean/Pierre Jeunet gemeint. Bekanntlich tritt dieses Wesen in drei Formen auf: Als "Gesichtsklammerer", als reife Form und als Königin. Ich will Sie hier nicht mit der klassischen Biologie der Aliens langweilen, also dem Vermehrungszyklus und der seltsamen ameisenstaatartigen Organisation. Seltsam ist die, weil es sich bei den Aliens offenbar um Wirbeltiere und nicht um Insekten handelt. Auch der noch seltsamere Körperbau - sechs Finger, vier Zehen und ebensoviele Extremitäten, ein Schwanz, aber kein Geschlechtsorgan - bleibt außer Betracht. Hier soll vielmehr ein biochemisches Problem angegangen werden: Zusammensetzung und Zweck der Körpersäfte des Alien.

Wozu die ätzenden Säfte?

Der "Gesichtsklammerer" ist jene Alienform, die aus dem Ei springt, sich am Gesicht festklammert und mittels einer Röhre ein Alien-Ei in das Opfer legt. Schneidet man den Gesichtsklammerer an, spritzt eine gelbe Flüssigkeit heraus, die in kurzer Zeit Metallwände durchfrisst. Die gleiche oder eine ähnliche ätzende Flüssigkeit besitzt auch die reife Form des Alien. Dies wird deutlich sichtbar, wenn das Alien unter heftigem Beschuss auseinanderspritzt (besonders gut erkennbar in James Camerons "Aliens" von 1986).
Editorial

Nach einer Vermutung des Kapitäns der Nostromo, Dallas, die später von dem Forscherrobotor Bishop bestätigt wurde, soll es sich bei der gelben Flüssigkeit um "molecular acid" handeln. Was "molecular acid" ist, entzieht sich meiner Kenntnis, doch erinnert die gelbe Flüssigkeit an konzentrierte Salpetersäure.

"Molecular acid" soll auch das Plexiglas von Raumfahrerhelmen zersetzen. Dies ist beim kritischer Betrachtung nicht zu halten. Zwar kann der Gesichtsklammerer Plexiglas auflösen, doch womit er dies tut, ist nicht klar. Sicher nicht mit Säure, denn Plexiglas (Polymethylmethacrylat) ist beständig gegen verdünnte Säuren. Auch Säuren hoher Konzentration sind nicht imstande, innerhalb einiger Stunden zentimeterdickes Plexiglas durchzuätzen. Zudem liegt ja der Gesichtsklammerer anfänglich mit seinem weichen Unterleib dem Plexiglas auf. Eine Säure, die Plexiglas durchfrisst, würde zuerst den Unterleib des Gesichtsklammerers zersetzen.



Plexiglas-Esterase im Genpool

Wahrscheinlicher ist es, dass der Klammerer eine Esterase ausscheidet, die das Plexiglas zersetzt. Vielleicht gibt er zusätzlich Aceton ab, welches Plexiglas aufweicht. Aus der Existenz von Polymethylmethacrylat-Esterasen in den Ausscheidungen der Aliens könnten wir auf eine weite Verbreitung von Plexiglas in der Raumfahrermonturen unserer Galaxis schließen. Denn warum sonst sollte sich das Gen für diese Esterase im Alien Genpool halten?

Der Zweck der gelben ätzenden Flüssigkeit liegt zweifellos in ihrer Schutzfunktion. Sie dient als Fraßschutz. Das Gelb ist eine Warnfarbe. Ähnliche Techniken verwenden ja auch irdische Lebewesen, etwa Kröten, Pflanzen und nicht zuletzt die Ameisen(!).

Ich schließe daraus, dass die Aliens auf ihrem Heimatplaneten nicht an der Spitze der Nahrungskette standen, sondern selber von noch mächtigeren Raubtieren verfolgt wurde (sonst wäre ja ein Fraßschutz unnötig gewesen). Vermutlich war diese Verfolgung der Grund für die Flucht der Alien ins All.

Dennoch ist bei Laien die Vorstellung verbreitet, dass es sich beim dieser Fraßschutz-Flüssigkeit um das Blut der Aliens handele. Dieser Irrtum ist auf Ellen Ripley, den dritten Offizier der Nostromo zurückzuführen, die an einer Stelle wörtlich sagt: "Sie haben konzentrierte Säure als Blut!"

Ripley hat keine Ahnung!

Nun ist Frau Ripley keine Anatomin, auch wenn sie noch so viele Aliens in ihre Bestandteile zerlegt hat. Ihren Aussagen ist also kein Gewicht beizumessen. Von den Wissenschaftlern der Expeditionen hört man bezeichnenderweise nie, daß es sich bei der gelben Säure um Blut handele. Sie scheinen überhaupt die Aussagen von Frau Ripley mit Mißtrauen zu betrachten.

Säure als Blut - das ist natürlich Quatsch, aber sonst sind Säuren in den Körperhöhlen von Wirbeltieren keineswegs ungewöhnlich. Ihr Magen zum Beispiel enthält Salzsäure (HCl), und Ameisen produzieren Ameisensäure (HCOOH). Die rote Waldameise lagert die Säure in einem Giftsack und verspritzt sie nach Bedarf aus dem spitzen Ende des bauchigen Teils ihres Hinterleibs (des sogenannten "Gasters").

Auch Aliens können ihre Säure gezielt verspritzen. Dies allerdings nicht mit dem Abdomen, sondern durch die Schnauze (siehe Teil vier der Saga: "Resurrection"). Zudem scheinen die Aliens ihr Gift nicht in einem Giftsack zu lagern, sondern in Gefäßen, die sich über die ganze Körperoberfläche ziehen (ein Grund, warum das Aliengift oft mit Blut verwechselt wird).

Dicker Schleim gegen die Säure

Organismen, die Säuren herstellen und lagern, haben ein Problem: Sie müssen verhindern, daß die Säure ihr eigenes Gewebe angreift. In der Regel gelingt ihnen das mit einer Schleimschicht, die die Innenseite der Giftsäcke oder Mägen überzieht. Ist diese Schleimschicht geschädigt, kommt es bekanntlich zu Magengeschwüren. Je konzentrierter die Säure, umso so dicker ist die Schleimschicht und umso schneller wird sie ausgetauscht. Die Alien, die sich vor ihrer agressiven Molekularsäure schützen müssen, zeichnen sich deswegen durch eine Schleimproduktion aus, die selbst diejenige von Ministerialdirigenten des BMBF bei weitem übertrifft. Es trieft nur so, wenn sie den Mund öffnen. Auch hinterlassen sie gelegentlich weißlich durchsichtige Schleimhaufen (die Aliens). Vermutlich kann aber selbst diese Schleimproduktion nicht immer vor Giftgefäßgeschwüren schützen, was die ständige schlechte Laune der Aliens erklärt.

Jede Menge Fragen noch offen

Ich bin nun leider nicht in der Lage, hier alle Rätsel der Alien-Biologie zu lösen. Insbesondere ist mir das fulminante Wachstum der frisch aus der Opferbrust gebrochenen reifen Form unerklärlich geblieben. Beim Ausbruch noch ferkelgroß, ist das Alien einige Stunden später schon größer als ein Mensch und dies ohne gefressen zu haben - zumindest ohne einen Menschen gefressen zu haben.

Muß also dieses Problem offen bleiben, so liefern die Alien-Filme überraschende Einblicke in die soziologische Struktur der Forschung der Zukunft. Die ähnelt verblüffend der heutigen. Wird das eigentliche Forschen heute von Doktoranden und Postdoks erledigt, so tun das im Alien-Zeitalter die Roboter: Kein wesentlicher Unterschied, denn Postdoks wie Robotor forschen Tag und Nacht klaglos und loyal, werden schlecht bezahlt (BAT IIa bzw. einige Tropfen Gelenköl) und haben keine Dauerstelle. Beide gelten auch nicht als Menschen, denn der Mensch fängt bekanntlich erst beim Professor an. Der forscht nicht, der organisiert. Bezeichnenderweise kümmern sich auch im Alien-Zeitalter die menschlichen Wissenschaftler nur um die Organisation der Forschung. Die Arbeit machen die Roboter.

Editorial

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Experimente werden auch künftig immer schief gehen

Und noch etwas scheint auch in Zukunft zu gelten: Die Experimente gehen fast immer schief und der Experimentator wird dafür in der Luft zerrissen. Das wäre nun nicht so schlimm, es handelt sich ja nur um Robotor bzw. Doktoranden und Postdoks. Mit Entsetzen habe ich aber bemerkt, daß im Alien-Zeitalter zum Schluss auch der Professor den Kopf hinhalten muß. Dies im Wortsinne: Aliens haben eine Vorliebe für frisches Hirn.

Das ist anders wie heute: Frisches Hirn von Professoren! Unerhört ist das!


Frisches Hirn von verlogenen Professoren? Niemals!

Geradezu verstört hat mich schließlich die Tatsache, daß die menschlichen Forscher, sprich die Professoren, in den Alien-Filmen durchweg als heimtückisch, verlogen, feige, naiv, gewissenlos und unfähig dargestellt werden. Da wir aber wissen, dass der Professor von heute mutig, offen, verantwortungsbewußt, wirklichkeitsnah und nett ist, müssen wir eine Erosion des Professorencharakters konstatieren. Der Schluss? Die Forschung der Zukunft wird wird so sein wie die heutige - nur schlimmer.



Letzte Änderungen: 22.09.2005