Editorial

Beiträge zur Biochemie seltsamer Lebewesen (8)

Die Zombies

von Siegfried Bär, Zeichnung: Frieder Wiech (Laborjournal-Ausgabe 10, 2005)


Kürzlich feierte der legendäre Zombiefilm-Regisseur George Romero mit "Land of the Dead" ein gefeiertes Comeback. Grund genug für unseren Experten Siegfried Bär, hinter die unappetitliche Fassade der Untoten zu gucken und sich zu fragen: Gibt es sie wirklich?

Die Zombieforschung scheint, auf den ersten Blick, eine etablierte Disziplin zu sein. Während ich für mich die Ehre in Anspruch nehmen konnte, der erste gewesen zu sein, der die Biochemie von Dracula untersuchte, gibt es bereits eine ganze Reihe Zombieforscher. Einen kenne ich persönlich: Michel Lazdunski, ehrenüberhäufter Offizier der Ehrenlegion und Directeur Exceptionel am CNRS in Sophia Antipolis bei Saint Tropez. Der diplomatisch begabte Toxinforscher trägt den Spitznamen "le roi soleil", denn königlich und strahlend ist Michels Auftreten und seine Frisur ähnelt der von Louis Quatorze, obwohl Michel keine Perücke trägt.

Seine Zombie-Forschungen sind Directeur Lazdunski allerdings eher peinlich. Als ich ihn vor Jahren einmal darauf ansprach, winkte er mit königlich-eleganter Handbewegung ab. Hier die Geschichte, wie Michel Lazdunski unter die Zombies fiel:

Auf Haiti grassiert der Glaube, daß Voodoo-Priester, sogenannte Bokors, Menschen mit Hilfe eines Pulvers in einen totenähnlichen Zustand versetzen, die Betäubten begraben, kurz vor ihrem endgültigen Ableben wieder ausgraben, ihnen eine zweite Mixtur einflößen und sie dann als willenlose Sklaven in die Zuckerplantagen verkaufen.

Dieser Glaube ist auf Haiti zwar weit verbreitet, es ist aber lange niemandem gelungen, die Existenz eines Zombies nachzuweisen. Zahllose Haitianer kennen jemanden, der einen Zombie kennt, aber kein Haitianer hat je selber einen gesehen. Ein fataler Zustand. Noch unklarer war, wie Zombies hergestellt werden. Die Zombie-Forschungen war gewissermaßen selber zombisiert.


1980: Der erste Zombie

Das sollte sich, wie oft in der Forschung, durch einen Doktoranden ändern. Der Doktorand hieß Wade Davis, ein Ethnobotaniker der Harvard Universität. Seinem Doktorvater, Nathan Kline, war es zuvor - in 30 Jahren Feldforschung auf Haiti - gelungen einen Zombie aufzuspüren, beziehungsweise jemanden, den er dafür hielt. Es handelte sich um einen gewissen Clairvius Narcisse. Dessen Tod sei 1962 im Albert Schweitzer Hospital von Port au Prince medizinisch festgestellt und die Leiche begraben worden. Dennoch sei Narcisse 1980 wieder aufgetaucht. Narcisse behauptete, zu einem Zombie gemacht worden zu sein, es sei ihm aber gelungen aus der Sklaverei zu entkommen. Kline glaubte ihm das. Schwer nachzuvollziehen, angesichts der bestimmt nicht preußischen Zustände im Albert Schweitzer Hospital. Aber lachen Sie nicht: Suchen Sie mal 30 Jahre lang nach einem Phantom. Dann klammern Sie sich auch an jeden Strohhalm.

Kline jedenfalls, bestätigt in seinem Zombie-Glauben, überredete den Doktoranden Davis, nach Haiti zu fliegen und sich Proben des geheimnisvollen Zombie-Pulvers zu verschaffen. Also jenes Pulvers, das vor dem Begrabenwerden verabreicht wird und eine totengleiche Lähmung auslöst. Davis tat dies. Es gelang ihm, mit Voodoo-Priestern Freundschaft zu schließen und zu beobachten, daß das Pulver aus menschlichen Leichenteilen, giftigen Kröten und Teilen des Pufferfisches hergestellt wurde. Davis brachte acht Proben mit.

Ist der Pufferfisch die Lösung?

Der Pufferfisch schien ihm die Lösung des Zombie-Rätsels, gleichsam die Zombisierungs-Substanz. Gonaden, Eingeweide und Haut von Pufferfischen enthalten bekanntlich Tetrodotoxin. Dieses Gift (Molekulargewicht 319 Da) blockiert Na+-Kanäle mit einer Dissoziationskonstane Kd von 10-10 nM. Die Wirkung setzt 20 Minuten bis drei Stunden nach dem Verzehr ein und führt - je nach Dosis - von einem prickelnden Gefühl auf der Zunge bis zu Lähmung und Tod. Der Toxingehalt von Pufferfischen variiert allerdings nicht nur anatomisch, sondern auch saisonal und von Exemplar zu Exemplar. Das Toxin wird nicht von den Fischen synthetisiert, sondern von Bakterien, die auf Algen wachsen, die der Fisch frißt. Tetrodotoxin kommt auch in den Speicheldrüsen des australischen Octopus vor. Der lähmt damit Beutetiere.

Davis hielt Tetrodotoxin für jenen Bestandteil des Zombie-Pulvers, der die totengleiche Starre der Opfer auslöst. Nebenbei: Bei der Mixtur, die nach dem Ausgraben eingeflößt wird, soll es sich um einen Hyoscyamin- und Scopolamin-haltigen Extrakt aus Stechapfel (Datura) handeln.

Da Davis von Analytik nichts verstand, gab er 1982 Proben der Voodoo-Pulver an den Pathologen Leo Roizin, einem Freund von Kline. Was bei dieser Untersuchung herauskam ist unklar. Davis behauptete in einem 1983 erschienenen Paper, dass das Pulver in Ratten und Affen eine Paralyse ausgelöst hätte. Daten zeigte er keine. Roizin, der die Experimente gemacht hatte, wollte die Behauptung von Davis nicht kommentieren. Er wiederholte das Experiment nicht, er publizierte es nicht und lehnte danach jeden Kontakt mit Davis ab. Später äußerte Roizin den Verdacht, dass die Proben "präpariert" worden seien.

1984 ließ Davis den Test von John Hartung vom Downstate Medical Center in Brooklyn wiederholen. Hartung setzte Ratten als Versuchstiere ein. Das Ergebnis: Die Voodoo-Pulver haben keinerlei Wirkung.

Diesen zweiten Test verschwieg Davis in seiner 1986 erschienenen Dissertation, nicht aber den ersten angeblich erfolgreichen von Roizin. Es ist möglich, daß der häufige Umgang mit dem Pulver bei Davis eine gewisse Vergeßlichkeit induziert hat. Zombies sollen sich ja ganz schlecht erinnern können.

Der japanische HPLC-Analytiker Takeshi Yasumoto unterwarf Davis' Proben einer weiteren Analyse. Auch er konnte keine biologische Aktivität feststellen und zudem fand Yasumoto, daß der Tetrodotoxin-Gehalt der Proben unter 1,1 mg/g liege. Auch Laurent Rivier von der Universität Lausanne fand nur Spuren des Giftes. Er war es, der die Proben an "Le Roi Soleil" schickte, der damals noch im Parc Valrose in Nizza forschte. Lazdunski, oder besser, einer seiner Mitarbeiter, fand in den Proben zwischen 64 ng und 20 mg Tetrodotoxin pro Gramm Probe.


"Smells like shit"

Nun soll die LD50 von Tetrodotoxin (die tödliche Dosis, bei der die Hälfte aller Versuchstiere sterben) beim Menschen zwischen 8-20 mg/kg liegen. Ein Mann von 60 kg Lebendgewicht müßte also, vollständige Extraktion vorausgesetzt, im ungünstigsten Fall mehrere Kilo, mindestens jedoch 60 Gramm Pulver aufnehmen.

Michel Lazdunksi erzählte mir das bei einem Espresso aus der laboreigenen Espressomaschine, die, vermutlich des Aromas wegen, direkt neben dem Eingang zum Klo stand.

"Nobody would eat 60 grams of that stuff", meinte er und griff zur Verdeutlichung in den Behälter mit ausgelaugtem Kaffeemehl: "It looked like this and smelled like shit. C'est merde!"

Es ist angesichts der großen Variation zwischen den Proben auch schwer nachvollziehbar, wie der Voodoo-Priester sein Pulver dosiert.

Nun ist das natürlich nur ein Problem für Fußgänger-Forscher, nicht aber für Genies wie Wade Davis. Den, er durfte sich inzwischen Doktor nennen, scherte es jedenfalls nicht. Das "Merde" des Sonnenkönigs dürfte er, wenn es ihm je zu Ohren kam, mit "kiss my hindings" quittiert haben. Davis schrieb zwei Bücher über seine Erlebnisse und Forschungen auf Haiti, die beide internationale Bestseller wurden. Eines diente sogar als Vorlage für einen Horror-Film, der von ähnlicher Qualität sein soll wie Davis Zombie-Pulver. Davis ist heute "Research associate of the Institute of Economic Botany of the New York Botanical Garden" und immer noch gut im Geschäft. Der angebliche Zombie Narcisse wurde in Haiti zum Fernsehstar. Also liebe Doktoranden, nicht verzweifeln, wenn bei der Doktorarbeit nichts herauskommt. Mit etwas Phantasie kann man auch mit mieser Forschung berühmt und reich werden.

Sie merken es, ich glaube nicht an Haitianische Zombies und noch weniger daran, daß sie mit Hilfe von Tetrodotoxin hergestellt werden. Was auf den ersten Blick einleuchtend klingt, muß noch lange nicht wahr sein. Gibt es also keine Zombies? Nun, die Abwesenheit von Beweisen ist kein Beweis für Abwesenheit. Vielleicht gibt es doch welche. Kürzlich fiel mein Blick auf ein Interview im Manager Magazin mit Bernd Raffelhüschen. Raffelhüschen ist Professor für Finanzwissenschaft in Freiburg und Bergen, also ein doppelter Professor, der somit von Amts wegen doppelt recht hat. Er trägt eine ähnliche Frisur wie Michel Lazdunski und scheint auch über Zombies zu forschen. Das mag bei einem Finanzwissenschaftler erstaunen, ist aber im Grunde auch nicht erstaunlicher als die Existenz einer Wissenschaft von den Finanzen. In dem Interview entschlüpfte ihm jedenfalls der Satz: "Eine Gesellschaft ohne Kinder ist nichts anderes als eine Ansammlung von Zombies".


Sie sind längst unter uns!

Das verdauen wir jetzt mal in unseren Hirnwindungen. Was genau ist ein Zombie? Das Wort soll aus dem Begriff "nzambi" abgeleitet sein, der wiederum aus einer Kongosprache stammen und "Geist einer toten Person" bedeuten soll. Aber was genau meinen die Kongolesen mit "Geist"? Sind Zombies zum Beispiel die Bücher abgelebter Schriftsteller oder DVDs von Filmen mit verstorbenen Schauspielern? Schwer zu sagen. Der Ansatz hilft uns nicht weiter.

Greifen wir zurück auf das gesunde Volksempfinden. Danach sind Zombies "Untote" oder auch "lebende Tote". Also einerseits leben sie, andererseits sind sie tot. Dieser Widerspruch löst sich auf, wenn man ihn evolutionsbiologisch betrachtet. Die Mitglieder einer Gesellschaft ohne Kinder leben zwar, vom Standpunkt der Evolution betrachtet sind sie jedoch tot: Dürres Holz am Stammbaum.

Das scheint Raffelhüschen gemeint zu haben. Die Zombie-Drogen sind demnach nicht Tetrodotoxin und Datura, sondern Östrogen und Gestagen. Die Zombies sind nicht auf Haiti, sondern bei uns. Und das massenhaft!



Letzte Änderungen: 24.04.2006