Künstliches Blut

von Harald Zähringer (Laborjournal-Ausgabe 06, 2001)


Editorial
Schon zu den Lebzeiten William Harveys, der 1628 in De Motu Cordis als erster den Blutkreislauf beschrieb, dachten Gelehrte daran Blut durch andere Flüssigkeiten zu ersetzen. Wenn statt schnödem Blut, Wein oder Milch durch die Adern der Menschen flössen, so ihre Vorstellung, ließe sich gar manches Zipperlein heilen. Im 20 Jh. waren es die Militärs, die während der beiden Weltkriege, als das Blut in Strömen floss, nach einem künstlichen Lebenssaft riefen.

Ernsthafte Versuche künstliches Blut zu entwickeln, unternahmen Forscher jedoch erst Anfang der 80er Jahre. Damals infizierten sich Patienten über Blut-Transfusionen mit dem HI-Virus. Mittlerweile ist diese Gefahr dank intensiver Kontrollen der Blutbanken zwar gebannt, in der Notfallmedizin, bei schwierigen Operationen oder in Katastrophenfällen, sind Blutreserven jedoch knapp, und mit gespendetem Blut allein lässt sich der Bedarf fast nicht mehr decken. Hinzu kommt, dass rote Blutkörperchen relativ schnell absterben und Blutkonserven nur sechs Wochen haltbar sind. Auch die bei jeder Bluttransfusion nötigen Blutgruppenbestimmungen und Kreuzproben der Verträglichkeit von Spender- und Empfängerblut erschweren den Umgang mit Blutkonserven. Kein Wunder also, dass viele Mediziner auf ein unbegrenzt verfügbares, leicht handhabbares und dabei noch billiges Kunstblut warten.

Editorial

Künstliche Sauerstoff-Sherpas


Kunstblut-Entwickler favorisieren derzeit zwei Blutersatzstoffe: Emulsionen aus Perfluorcarbonen (PFCS) und Lösungen mit modifiziertem Hämoglobin (Hb). Sowohl PFCs als auch Hb-Lösungen können jedoch nur eine der vielen Funktionen des Blutes übernehmen: Den Sauerstoff-Transport von der Lunge in die einzelnen Zellen und den Rücktransport von Kohlendioxid zur Lunge. Beide Substanzen sind also künstliche Sauerstoffträger die einen Blutverlust nur vorübergehend ausgleichen können.

Die als Kunstblut eingesetzten PFCs sind meist vollständig (per)fluorierte, aliphatische Kohlenwasserstoffe mit einer Kettenlänge von 8 - 10 Kohlenstoffen. Häufig enthalten sie als zusätzlichen Substituenten ein weiteres Halogenid, das die Löslichkeit modifiziert. PFCs sind chemisch und biologisch inerte Flüssigkeiten, die Sauerstoff lösen, ohne ihn kovalent zu binden. Je höher dabei der Sauerstoff-Partialdruck, desto mehr Sauerstoff geht in Lösung.


Kunstgriff

Reine PFC-Lösungen sind nicht wasserlöslich und somit als Blutersatz ungeeignet. Deshalb mischen Kunstblut-Forscher die hydrophoben Flüssigkeiten mit isotonischen Lösungen, die Phospholipide als Emulgatoren enthalten. Die PFC-Moleküle werden in diesen als feinste Tröpfchen mit einem Durchmesser von etwa 0.2 µm suspendiert. Die resultierenden PFC-Emulsionen taugen für Transfusionen und sind echtem Blut teilweise überlegen. So können die kleinen PFC-Micellen regelrecht mit 02 vollgepumpt werden Patienten, die eine PFC-Transfusion erhalten werden daher meist mit 100% Sauerstoff beatmet - und geben diesen doppelt so schnell wie Hämoglobin an die Zellen der Gewebe ab. Sie sind 35mal kleiner als ein Erythrocyt und durchdringen auch feinste oder bereits verstopfte Kapillaren. Nachdem die synthetischen Gastransporteure ihre Ladungen abgeliefert haben, werden sie von den Saubermännern des Körpers, den Zellen des reticuloendothelialen Systems aufgelesen, in Milz und Leber zwischengelagert und über die Lunge rückstandlos ausgeatmet.

Von den Vorteilen der PFC-Lösungen überzeugt ist jedenfalls Donat Spahn, Anästhesist an der Zürcher Universitätsklinik. Spahn leitete eine Klinische Studie der Phase 3 die den Nutzen einer C8F17Br-Emulsion (Oxygent) der Fa. Alliance Pharmaceutical untersuchte. Die im April präsentierten Ergebnisse seien, so Spahn, ein Meilenstein in der Entwicklung künstlicher Sauerstoffträger. Die Studie belege, dass Operations-Patienten, die Oxygent als Blutersatz erhielten, weit weniger Bluttransfusions-Einheiten benötigten als Patienten der Kontrollgruppe. Dabei sei Oxygent von den Operierten problemlos vertragen worden.

Kunstvoll stabilisiert

Fortschritte melden aber auch Labors die auf Hb-Lösungen als Blutsubstitute setzen. Im Gegensatz zu echtem Blut sind diese frei von Erythrozythen-Membranen und deren Blutgruppen-bestimmenden Antigenen. Hb-Tetramere zerfallenjedoch rasch in Dimere oder werden zu Methämoglobin oxidiert, wenn die schützende Hülle des Erythrozythen fehlt. Deshalb stabilisieren Blutexperten die empfindlichen Hb-Proteine indem sie diese polymerisieren, quervernetzen, mit großen Molekülen konjugieren oder interne Bindungen zwischen die Hb-Untereinheiten einfügen. So verschieden wie die Stabilisierungsmethoden sind auch die Quellen des Hämoglobins: abgelaufene Blutkonserven, Rinder- oder Schweineblut aber auch rekombinantes Hb.

Gegenwärtig durchlaufen einige dieser Hb-Lösungen ebenfalls klinische Studien der Phasen 1-3. Die Nase vorne hat die mit Glutaraldehyd polymerisierte Hb-Lösung Hemopure. Seit April ist dieser Blutersatz der US-Firma Biopure in Südafrika für den Einsatz bei Operationen zugelassen. Hierzulande versucht die Wittener Firma SanguiBioTech den Riesenmarkt für Blutersatzstoffe anzuzapfen. Die Firma verkündete im März, dass sie erstmals einen künstlichen Sauerstoffträger - eine Hb-Lösung aus Schweineblut unter echten Produktionsbedingungen hergestellt habe. Nachgewiesen ist dessen Wirksamkeit bisher aber nur im Tierversuch.



Letzte Änderungen: 20.10.2004