Xenobiologie

von Lara Winckler (Laborjournal-Ausgabe 6, 2012)

Editorial
Botulinumtoxin?
Foto: IS2/ photocase; Montage: LW

Desoxyribonukleinsäure (DNA), unser Erbmolekül, speichert die Informationen, die uns zu dem machen, was wir sind – wir und alle anderen Tiere, Pflanzen, Pilze und Mikroben. DNA und RNA sind die Basis des Lebens. Aber warum basiert alles Leben ausschließlich auf DNA und RNA? Dachte sich die Evolution vielleicht einfach „Never change the winning team“? – Warum etwas Funktionierendes verändern? Auch darüber, wie dieses großartige Molekül entstanden ist, herrscht alles andere als Einigkeit – Zufall, gerichtete Evolution, Außerirdische? Gab es im Laufe der Evolution Vorläufermoleküle, und wenn ja, wie sah das erste genetische Polymer aus?

Editorial

Ein internationales Forscherteam um Vitor Pinheiro und Philip Holliger, Medical Research Council (MRC) Laboratory of Molecular Biology, Cambridge (UK), hat sich daran gemacht zu beweisen, dass sich Erbinformation durchaus auch in anderen genetischen Polymeren speichern lässt. Dafür stellten sie künstliche Erbmoleküle her, die wie DNA aus einem Phosphatrückgrat, verbindenden Zuckermolekülen und den vier Basen Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin bestanden. Letztere ließen die Forscher unangetastet, da sie weiterhin auf Interaktion mit den bestehenden Erbmolekülen setzten. Die Desoxyribose jedoch tauschten die Forscher gegen neue, im Labor synthetisierte Zucker aus (Science 2012, 336(6079):341-4).

Versuche, alternative Erbmoleküle herzustellen, hat es schon viele gegeben, jedoch fand man nur wenige, die Informationen speichern und verbreiten und sich selbst erhalten konnten. Da die bestehenden Polymerasen strikt substratspezifisch sind, musste das ganze System der Synthese genetischer Polymere von Grund auf neu gebaut werden. Dazu gehörte auch die Generierung von Polymerasen, die eine DNA-Vorlage ablesen und daraus Xeno-Nukleinsäuren (XNA) synthetisieren konnten, sowie von Polymerasen, die umgekehrt XNA wieder in DNA transkribierten.

Die Bioingenieure wählten schließlich sechs XNAs aus, in denen der Ribofuranose-Ring – die Pentose in DNA und RNA – durch artverwandte Zucker mit vier bis sechs C-Atomen ausgetauscht worden war, und benannten sie nach den Zuckerresten in HNAs (1,5-anhydrohexitol nucleic acids), CeNAs (cyclohexenyl nucleic acids), LNAs (2‘-O,4‘-C-methylene-b-Dribonucleic acids bzw. locked nucleic acids), ANAs (arabinonucleic acids), FANAs (2‘-fluoro-arabinonucleic acids) und TNAs (a-L-threofuranosyl nucleic acids).

Nun galt es, Polymerasen zu finden, die diese XNAs synthetisieren konnten. Sie wählten die Enzyme über die eigens entwickelte Selektionsstrategie CST (compartmentalized self-tagging) aus einer TgoT library – einer Variante der DNA-Polymerase aus Thermococcus gorgonarius – aus. Da es – natürlich – keine natürlichen reversen Transkriptasen für XNA gab, generierten sie diese per zufälliger Mutagenese (random mutagenesis) von TgoT und isolierten im anschließenden Polymerase-Aktivitäts-Assay drei vielversprechende Kandidaten.

Künstliches Leben

Den Biologen war es damit gelungen, Enzyme zu schaffen, die XNA durch reverse Transkription in DNA replizierten, die DNA per PCR amplifizierten und anschließend wieder in XNA transkribieren konnten. Womit die Forscher die Vererbbarkeit der in XNA gespeicherten Information, also die Fähigkeit, genetische Information zu codieren und weiterzugeben, als bewiesen ansahen. Ob die neuen genetischen Polymere auch fähig zu selbst erhaltender Darwinscher Evolution und höheren Funktionen waren, wie Faltung und spezifische Ligandenbindung, zeigten die Forscher mittels Aptamerselektion und fanden für alle sechs XNAs spezifische Bindungspartner.

Der Sinn des Ganzen? Die Engländer zeigten, dass DNA und RNA nicht das einzig mögliche genetische Material darstellen. Sie etablierten Strategien, mit denen sie synthetische genetische Polymere, die in der Natur nicht vorkommen, replizieren und evolvieren können. „Damit ist der Beweis geglückt, dass sich Erbinformation in ein halbkünstliches System übertragen lässt“, sagt der Münchner Chemiker Thomas Carell, der nicht an der Studie beteiligt war. „DNA und RNA sind vergleichsweise komplex“, so Carell. „Es ist möglich, dass es einfachere Vorläufermodelle gab, die ähnliche Eigenschaften hatten.“ Die XNA könnte also auch Erkenntnisse darüber liefern, wie das Leben auf der Erde entstanden ist.

Pinheiro et al. haben nun damit begonnen, Polymerasen zu entwickeln, die XNA direkt in sein Gegenstück oder Informationen zwischen zwei verschiedenen XNAs kopieren können – für FANAs und CeNAs ist es ihnen schon gelungen. Und auch die Schaffung von „XNAzymen“ – Enzymen, die aus XNA und nicht aus Protein oder Standard-Nukleinsäuren aufgebaut sind – scheint in greifbarer Nähe. Die nächsten Schritte sind XNAzyme, die XNA-Oligomere verknüpfen, und solche, die XNA-Monomere polymerisieren.

In der synthetischen Genetik, also der Erkundung des Informations-, Struktur- und katalytischen Potenzials synthetischer genetischer Polymere, und der chemischen Codierung von Information sehen die Forscher zahlreiche Anwendungen für die Biotechnologie, molekulare Diagnostik und die Entwicklung von Therapeutika. So könnten XNA-Aptamere (kurze, einzelsträngige XNA-Oligonukleotide, die spezifische Moleküle über ihre 3D-Struktur binden) ähnlich Nukleinsäure-Aptameren an Krankheitserreger, wie Viren oder Bakterien, andocken und so markieren. Aptamere aus XNA hätten zudem den Vorteil, dass sie robuster wären als natürliche Nukleinsäuren, da die für den Abbau Nukleasen sie nicht angreifen könnten.

Diese „Unsichtbarkeit“ der XNA für natürliche biologische Systeme stellt zudem eine „genetische Firewall“ dar, die den Austausch von genetischer Information mit der natürlichen Umwelt vereitelt – und somit ein ultimatives Werkzeug für die Biosicherheit ist.



Letzte Änderungen: 11.07.2012