Cathelicidine

von Juliet Merz (Laborjournal-Ausgabe 12, 2016)


Stichwort
Fotos: Evolua Homo sapiens (Tier); www.ebi.ac.uk (Moleküle)

Editorial

Er ist klein, laut und hat in Relation zu seiner Körpergröße das stärkste Gebiss unter Säugetieren – der Tasmanische Teufel. Der größte Raubbeutler der Welt ist jedoch stark gefährdet: Ein infektiöser Tumor zwingt das Tier allmählich in die Knie. Obwohl gerade jetzt der Beutelteufel der Menschheit von großem Nutzen sein könnte – denn seine antimikrobiellen Peptide wirken besonders gut gegen multiresistente Keime.

Forscher um die Genetikerin Katherine Belov von der Universität in Sydney haben den kleinen Beutler Sarcophilus harrisii genauer unter die Lupe genommen (Sci Rep 6: 35019). Wie bei Beuteltieren üblich, ist die Schwangerschaftsperiode der Tiere stark verkürzt. In nur dreißig Tagen entwickelt sich der Embryo im Leib der Mutter, danach gebiert sie ein nur 0,3 Gramm leichtes Junges mit schwach ausgeprägtem Immunsystem. Das Kleine kriecht dann in den Beutel seiner Mutter und wird dort achtzig Tage lang gesäugt. In dieser Pathogen-belasteten Umgebung, so vermuteten die Forscher, müsse dem Immunsystem des Jungtiers irgendwie geholfen werden.

Editorial
Kleine Hilfe fürs Immunsystem

Deshalb untersuchten Belov und ihr Team die Beutel von säugenden und nicht-säugenden Tasmanischen Teufel-Weibchen. Die Ergebnisse zeigten: Das Mikrobiom im Beutel der Teufel unterschied sich je nachdem, ob sie ein Junges trugen oder nicht.

Die Australier entdeckten dann die Erklärung für dieses Phänomen: Säugende Mütter sezernieren antimikrobielle Peptide in der Umrandung des Beutels, der Beutelhaut und in ihrer Milch. Diese gehören zu den sogenannten Cathelicidinen – und sind nicht unbekannt. Sie befinden sich in der Muttermilch vieler höherer Säuge- und Beuteltiere. Die Haus-Spitzmausbeutelratte hat beispielsweise zwölf Cathelicidin Gene – Mensch und Maus dagegen nur eins.

Cathelicidine sind kleine kationische, antimikrobielle Peptide. Aufgrund ihrer positiven Ladung interagieren sie elektrostatisch mit der negativen Zellmembran von Pathogenen. Dadurch bilden sich Transmembranporen, die letztlich zur Lyse der Zellen führen.

Belov und ihre Kollegen fanden im Genom des Tasmanischen Teufels die Gene für sechs unterschiedliche Cathelicidine – mit hervorragenden Eigenschaften. Denn zwei der antimikrobiellen Peptide namens Saha-CATH5 und 6 töteten im Labor ein großes Spektrum an Mikroorganismen. Während Saha-CATH5 effektiv gramnegative und -positive Bakterien lysierte, richtete sich Saha-CATH6 nur gegen grampositive Keime. Beide Peptide konnten sogar zwei Humanpathogenen den Garaus machen: Saha-CATH5 Staphylococcus aureus und Enterococcus faecalis, Saha-CATH6 nur E. faecalis. Die Peptide könnten somit ein Antibiotika-Problem vieler Krankenhäuser lösen helfen – schließlich ist S. aureus inzwischen weitgehend gegen Methicillin resistent sowie E. faecalis gegen Vancomycin. Zusätzlich wirkten die zwei Peptide auch gegen Hefepilze der Gattung Candida, die bei Mensch und Tier Hautinfektionen hervorrufen können.

Ein weiteres Teufel-Cathelicidin, Saha-CATH3, machte dagegen ausschließlich dem pathogenen Pilz Cryptococcus neoformans den Garaus, der bei Menschen mit Immunschwäche zur Entzündung des Zentralen Nervensystems führen kann. Die restlichen drei Cathelicidine sind zwar nicht antimikrobiell wirksam, die Forscher gehen dennoch davon aus, dass sie aufgrund ihrer hohen Expressionsrate das Immunsystem der Beutler in irgendeiner Weise regulieren.

In höheren Säugetieren sind viele Funktionen der Cathelicidine bereits bekannt. Sie bilden beispielsweise einen chemotaktischen Gradienten, um Immunzellen anzulocken; sie induzieren sowie unterdrücken die Freigabe entzündungsfördernder Stoffe; und sie sind an der Wundheilung und der Entstehung von Blutgefäßen beteiligt. Belov und ihr Team vermuten, dass die Cathelicidine in Beuteltieren eine ähnliche Funktion haben.

Dennoch ist bei einer potentiellen therapeutischen Anwendung der Peptide Vorsicht geboten. So wirkten Saha-CATH5 und 6 in der Studie der Australier in großen Mengen auch toxisch auf menschliche Lungenzellen. Die Autoren sehen das aber weniger kritisch: Damit die humanen Zellen starben, mussten die Genetiker die Konzentration auf 500 μg/mL erhöhen – das ist die siebenfache Menge, die benötigt wird, um Pathogene abzutöten. Für die Zukunft wollen Belov und Co. aber auf Nummer sicher gehen. Dazu möchten sie die Regionen der Peptide identifizieren, die zum einen für ihre antimikrobielle Wirkung zuständig sind, und zum anderen die Toxizität auf menschliche Zellen vermitteln. Letztere wollen sie dann so modulieren, dass sie für den Menschen ungefährlich werden.

Schnelles Handeln gefragt

Belov und ihr Team müssen sich aber beeilen: Der Tasmanische Teufel steht seit 2008 auf der Liste der gefährdeten Tierarten der International Union for Conservation of Nature (IUCN). Einer der Hauptgründe dafür ist ein infektiöser Gesichtstumor, der in fast hundert Prozent der Fälle tödlich ist.

Nichtsdestotrotz könnte der Tasmanische Teufel der Retter für tausende Menschenleben sein. Denn die Multiresistenz vieler Keime wird ein immer ernsteres Problem: Elisabeth Meyer von der Charité-Universitätsmedizin in Berlin veröffentlichte im vergangenen Jahr eine Studie zur Resistenzentwicklung in Deutschland. Im Jahr 2050 soll den Statistiken zufolge die Zahl der Todesopfer durch multiresistente Keime von rund 700.000 auf zehn Millionen Menschen steigen, sofern nichts dagegen unternommen wird. Das würde bedeuten, dass in einer solchen Zukunft mehr Menschen durch pathogene Erreger sterben als an Krebs.

Der kleine Tasmanische Teufel aber könnte mit seinen antimikrobiellen Cathelicidinen helfen, die Flut an multiresistenten Keimen weiter einzudämmen.


Letzte Änderungen: 09.12.2016

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