Prionen

von Ralf Neumann (Laborjournal-Ausgabe 04, 1995)


Editorial
Einigkeit herrschte unter den Biowissenschaftlern: Keine Infektion ohne genetisches Material. Wie sollte sich auch sonst eine ansteckende Krankheit im Wirt etablieren und ausbreiten können? Fast schon ketzerisch mußte es also erscheinen, als Stanley Prusiner 1982 behauptete, daß Proteine alleine - ohne Nukleinsäuren - nicht nur ansteckend, sondern auch erblichen Krankheiten zugrundeliegen können. Den infektiösen Proteinen gab er den Namen Prionen und verkündete, daß sie die sogenannten Spongioformen Enzephalopathien verursachen. Das sind tödliche Gehirnerkrankungen, in deren Verlauf das Nervengewebe schwammartig durchlöchert wird.

In den Jahren darauf untersuchte Prusiner mit seinen Mitarbeitern an Hamstern vor allem eine dieser Krankheiten: die Traberkrankheit, englisch scrapie. Und er konnte seine "protein only"-Hypothese Stück für Stück untermauern. So reinigte er aus den Gehirnen kranker Hamster das "infektiöse Agens" und fand keine Nukleinsäuren, dafür aber jede Menge Protein. Darunter war inbesondere ein einzelnes Protein angereichert, das er Prion-Protein, kurz PrP, nannte. Nachdem ein Stück der Aminosäuresequenz von PrP bekannt war, isolierte Bruno Oesch im Labor von Charles Weissmann in Zürich das zugehörige Gen und zeigte, daß es sich um ein normales, chromosomales Hamstergen handelt, welches für ein synaptisches Membranprotein in Gehirnneuronen kodiert. Wie aber konnte ein körpereigenes Protein plötzlich eine Krankheit verursachen und auch noch andere Tiere damit anstecken?
Editorial

Des Rätsels Lösung fand Prusiner in den typischen Amyloidplaques, die sich im Verlauf der Traberkrankheit in den Neuronen ablagern. Sie bestanden ausschließlich aus PrP's, allerdings in veränderter Konformation. Das harmlose, synaptische PrP-Protein faltet sich zu einer alpha-Helix, die Plaques aber enthalten PrP in beta-Faltblattstruktur Dadurch fallen sie in den Neuronen unlöslich aus und polymerisieren zu faserartigen Proteinsträngen, die letztlich das Nervengewebe nach und nach zerstören.

Prusiner unterschied fortan zwischen dem ungefährlichen PrPc und dem scrapie-vermittelnden PrPSc. Wenn ein harmloses mit einem infektiösen Protein in Kontakt kommt, führe dies zu einer Art autokatalytischem Dominoeffekt, während dem sich nach und nach alle normalen in die krankmachende Form umwandeln, folgerte er. Daß dieser Kontakt notwendig ist, verdeutlichten Knock out-Mäuse, die kein normales Prion-Protein produzieren konnten: Sie sind gegen die infektiöse Form resistent. Im letzten Jahr haben die Wissenschaftler dann zum ersten Mal bestätigt, daß die Umwandlung von PrPc in PrPSc auch im Reagenzglas möglich ist. Damit war der Mechanismus der Ansteckung geklärt, auch wenn weiterhin offen bleibt, wie das krankmachende PrPSc von außen in die Neuronen gelangt. Scrapie oder sein Gegenstück beim Menschen, die Creuzfeldt-Jakob-Krankheit, kann aber auch spontan entstehen, indem das harmlose PrPc von alleine seine fatale Form annimmt. Diese spontane Umwandlung wird offenbar durch Punktmutationen im PrPc-Gen begünstigt.

Spongioforme Enzephalopathien treten beim Menschen allerdings nur selten auf So rückten Prion-Krankheiten erst richtig ins Bewußtsein der Öffentlichkeit, als Mitte der 80er Jahre plötzlich britische Rinder an BSE (bovine spongioform encephalophathie) erkrankten, und sich der "Rinderwahnsinn" von da an seuchenartig in Großbritannien ausbreitete. Da bis heute niemand mit Sicherheit sagen kann, ob BSE auch auf den Menschen über-tragbar ist, trauen viele ihrem Rumpsteak nicht mehr.

Vor einigen Wochen erhielt Stanley Prusiner in der Frankfurter Paulskirche den Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstädter-Preis. Er ist einer der wichtigsten Wissenschaftspreise Deutschlands. Prusiner bekam ihn für seine Prionen-Theorie. BSE hat er dafür nicht gebraucht. Dafür, daß er den Preis bekam, vielleicht schon.


Letzte Änderungen: 19.10.2004