Editorial

Kälterezeptoren

von Harald Zähringer (Laborjournal-Ausgabe 04, 2002)


Wenn die Fischer des englischen Hafenstädtchens Fleetwood in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf den rauen Nordatlantik ausliefen, hatten sie stets auch ein Tütchen "Mr. Lofthouse's Hals- und Brustpastillen" mit an Bord. Die kleinen Bonbons, die der Pharmazeut Lofthouse 1865 aus Lakritze, Eukalyptus und Unmengen Menthol mischte, wirkten Wunder gegen die triefenden Nasen, rasselnden Bronchien und heißeren Hälse, mit denen sich die wettergeplagten Hochseefischer ständig herumschlugen.

100 Jahre später traten Lofthouse's Kamellen als "Fisherman's Friends", einen weltweiten Siegeszug an. Dies aber nicht allein wegen ihrer beruhigenden Wirkung auf die Atemwege: zehn Milligramm Menthol in einer einzigen Pastille sorgen dafür, dass sich im Gaumen des Fisherman's Friend-Liebhabers ein angenehmer Hauch von arktischer Kälte breit macht.

Schon zu Mr. Lofthouse's Lebzeiten war bekannt, dass Menthol ein kühles Gefühl auf der Haut vermittelt. Und bereits 1951 lieferten der Marburger Pionier der Thermorezeption, Herbert Hensel, und der Stockholmer Elektrophysiologe Yngve Zotterman hierfür eine plausible Erklärung: Bei Ableitungs-Versuchen an dem Trigeminus-Nerv war den beiden aufgefallen, dass Menthol die Empfindlichkeit der Nervenendigungen für Kältereize erheblich erhöhte. Nervus Trigeminus, dessen drei Äste sich über die besonders kälteempfindlichen Augen, Ober- und Unterkiefer erstrecken, ist neben den Geschmacksknospen der Zunge und den Riechzellen der Nase ganz wesentlich für die Geschmackswahrnehmung verantwortlich - etwa für die Empfindung der brennenden Schärfe von Meerrettich, aber eben auch für die prickelnd-kühlende Wirkung von Menthol. Hensel und Zotterman schlossen, dass an den sensorischen Endigungen des Trigeminusnervs offenbar ein Menthol-empfindliches Protein als Kälterezeptor fungiert. Wie aber sah es aus, und wie funktionierte es?

30 Jahre nach Hensels und Zottermans Hypothese kamen einige Neurophysiologen, darunter der Schüler Hensels und heutige Gruppenleiter am Marburger Institut für Physiologie, Hans-Albert Braun, dem Kälterezeptor schon recht nahe: Sie vermuteten, dass sich hinter diesem ein Calcium-Kanal verbarg - beweisen konnten sie dies aber nicht. Es mussten weitere 20 Jahre vergehen, ehe die Gruppen von David Julius von der University of California in San Francisco und Ardem Patapoutian vom Scripps Research Institute in San Diego, im vorigen Monat fast zeitgleich in Nature bzw. Cell den ersten Kälterezeptor präsentierten.


Von Chilli zu Menthol

David Julius, der 1997 bereits den Hitze- und "Chilli"-Rezeptor VR1 klonierte, näherte sich der Sache ziemlich geradlinig: Zunächst testete er, ob bei der Kälterezeption tatsächlich ein Calcium-Kanal mit im Spiel ist. Hierzu kultivierte seine Crew Neuronen aus dem Trigeminusnerv von Ratten und untersuchte deren Reaktion auf Menthol und Kälte mit Ca-Imaging und Patch-Clamp-Methoden. Sowohl nach einem Kältereiz, als auch nach einer Mentholbehandlung ergossen sich Ca2+ -Ionen in das innere der Neuronen - der Calcium-Kanal war also keine reine Einbildung. Die Kalifornier konstruierten daraufhin aus den Trigeminus-Zellkulturen eine cDNA-Bibliothek, transfizierten diese in eine Nierenzellkultur und setzten diese einer gehörigen Dosis Menthol aus. Nierenzellen, die den Menthol-empfindlichen Kanal exprimierten, müssten in Ca-Imaging Versuchen grün fluoreszieren, so die Strategie von Julius und Co.. Das taten denn auch einige. Julius' Team isolierte die cDNA aus diesen Zellen und schon hatten sie den lang gesuchten Kälterezeptor in Händen.

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Wenn Zwei das Gleiche tun

Um zu sehen, ob dieser nun neben Menthol auch auf Kälte reagiert, exprimierten ihn Julius' Mitarbeiter in Oocyten des Krallenfroschs, und kühlten diese bei Ableitungsversuchen systematisch ab. Wie erwartet, war der Kanal auch kälteempfindlich: Sobald die Temperatur unter 26ºC fiel, öffnete er seine Schleusen für Cal2+ -Ionen. Julius taufte seinen Kälterezeptor deshalb mit Fug und Recht "Cold and Menthol sensitive-Rezeptor 1", kurz CMR1. Wie VR 1 und verschiedene Mechano-, Thermo- und Osmosensoren gehört auch CMR1 zur großen Familie der so genannten TRP-Ionenkanäle.

Die Verwandtschaft unter den TRP-Kanälen nutzte seinerseits Ardem Patapoutian aus, um einen Kälterezeptor heraufzuspüren. Wenn der Rezeptor unter den Kanälen der TRP-Famillie zu finden sein sollte, dann müssten dessen Domänen Ähnlichkeiten mit denen von VR1 aufweisen, überlegte Patapoutian. Also klapperte seine Mannschaft verschiedene Säuger-DNA-Datenbanken nach Übereinstimmungen mit VR1-Sequenzen ab. in der Tat endeckten sie soIche konservierten Sequenzbereiche, die ihren Primern bei der anschließenden RT-PCR dann als Startstellen dienten. Die nötige RNA isolierte die Gruppe aus den Spinalganglien von Mäusen, die entlang des Rückenmarks verlaufen und die Zellkörper thermosensibler Neuronen enthalten.

Patapoutians Gruppe klonierte auf diese Weise schließlich einen TRP-Kanal der Maus und nannte ihn TRPM8. TRPM8 benahm sich bei Ableitungsexperimenten wie ein Zwillingsbruder von CMR1: Auch er öffnete seinen Kanal für Ca2+-, K+- oder Na+ -Ionen, wenn die Temperatur unter 25ºC fiel und reagierte genauso prompt auf Menthol.

"Die Sequenzen der beiden Rezeptoren stimmen zu 92% überein, erklärt Julius und führt weiter aus: "Interessanter sind aber die nahezu identischen Eigenschaftsprofile. Dies nährt den Verdacht, dass CMR1 und TRPM8 funktionell und vermutlich auch genetisch ortholog sind."

Scheinbar haben Julius und Patapoutian zur gleichen Zeit ein und dasselbe Gen kloniert - und nichts davon geahnt? "Wir haben wirklich nichts bemerkt", bekräftigt Patapoutian und hat dafür auch eine einleuchtende Erklärung: "California is a big place ."



Letzte Änderungen: 20.10.2004