Editorial

Vergleichende Metagenomik

von Petra Stöcker (Laborjournal-Ausgabe 6, 2005)


Die Entwicklung der Metagenomik ermöglicht die Genom-Analyse einer ganzen Mikroorganismen-Population auf einmal ohne vorherige Kultivierungsversuche im Labor.

Die Aufklärung noch rätselhafter Organismen und ihrer Genome ist nach wie vor der Renner unter den Genetik-Projekten. Dabei schweifte der Forscher-Blick bis zum Anfang der 80er Jahre kaum über den Petrischalen-Rand hinaus in Richtung unkultivierbare Organismen, sie wurden lange Zeit souverän ignoriert. Die Kochschen Postulate von 1884 saßen wohl auch einfach zu tief. So enthält Bergey´s Manual von 1923 (Society of American Bacteriologists, Baltimore) noch kategorisch die Meinung, dass ein Organismus, wenn nicht kultiviert, dann auch nicht klassifiziert werden kann. Schon 1931 glaubte etwa Selman Waksman ganz optimistisch, eine genügend große Datenmenge über die mikroskopisch kleinen Welten des Erdbodens zusammengetragen zu haben, um ein klares Bild davon zeichnen zu können.


Populationsgenomik

In den letzten 25 Jahren wurden solche Überzeugungen jedoch gründlich überholt. Der bislang unkultivierbaren Mikrobenwelt wurde mehr und mehr Beachtung geschenkt und in die Reihe der Prokaryoten reihten sich daraufhin vielfältige neue Arten und Stämme ein. Um Zugang zu deren Sequenzen und Physiologie zu bekommen und die Frage nach deren Funktion in ihrem heimatlichen Ökosystem zu klären, waren neuartige Techniken nötig. Die vergleichende Metagenomik taucht darunter als eine ganz clevere Möglichkeit auf. Dahinter verbirgt sich schlicht die Genom-Analyse einer ganzen Mikroorganismen-Population auf einmal ohne vorherige Kultivierungsversuche einzelner Vertreter im Labor. "Umweltgenomik" oder "Populationsgenomik" sind weniger gebräuchliche Synonyme.

Die Analysen folgen im Großen und Ganzen einem bestimmten Schema: DNA-Isolierung aus einer bestimmten Mikroben-Nische, Klonierung der DNA in einen passenden Vektor, Transformation der Klone in ein Wirtsbakterium und schließlich Screening der erhaltenen metagenomischen DNA-Bank, um Sequenz und Funktion aufzuspüren. 1985 gelang es Norman Pace mit seinen Kollegen durch direkte Sequenz-Analysen der 5S und 16S ribosomalen RNA (rRNA) unter anderem die Vielfalt der Mikroorganismen aus den heißen Quellen des Yellow Stone Parks ohne vorherige Kultivierung zu beschreiben (PNAS 82, S. 6955 und Appl. Environ. Microbiol. 49, S. 1379). Diese Methodik hat sich bewährt und Einzug in so mancherlei "Kochbücher" gehalten.


PCR mit universellen Primern

Ein weiterer technischer Meilenstein war sicherlich die Entwicklung der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) im gleichen Jahr. Wie sich herausgestellt hat, liegt jedoch eine große Einschränkung schlichtweg in der Natur der Dinge, da nicht alle rRNA/cDNA-Fragmente mit den gebräuchlichen universellen Primern amplifizieren. Eine Möglichkeit bei der Sequenzierung der kompletten DNA ist die Suche nach bestimmten phylogenetischen Markern, die Rückschlüsse auf die taxonomische Gruppe zulassen, aus der das DNA-Fragment von Interesse stammt. Die wenig verfügbaren bekannten Marker weisen diese Idee noch in ihre Grenzen, die aber wohl bald mit wachsender Anzahl aufgedröselter Genome überwunden sein werden. Eine Alternative ist die Sequenzierung im großen Stil, bei der dann alles analysiert wird, was die Klone hergeben. Mit dem Ergebnis werden große Datenbanken gefüttert, die einen Vergleich mit bereits Bekanntem durchführen. Mindestens genauso interessant wie das Puzzlespiel um die Sequenz ist es, die Funktion einzelner Abschnitte beziehungsweise deren Proteine zu knacken. Voraussetzung dafür ist natürlich eine erfolgreiche Transkription und Translation des begehrten Konstrukts. Der Vorteil der Funktionsanalysen ist, dass das interessante Gen nicht in herkömmlichen Sequenzanalysen lesbar sein muss, die Primerfrage stellt sich hier also nicht. Gravierender Nachteil dabei ist, dass viele Gene kaum in den gebräuchlichen Wirtsbakterien exprimiert werden können. So paradox es auch klingt, ein exotisches Fragment aus einem "ungezähmten" Organismus in einem "domestizierten" Wirt wie etwa E. coli exprimieren zu wollen - die große Zahl an solch funktionierenden heterologen Expressionsversuchen spricht dennoch für sich. Die Interpretation der Ergebnisse erfolgt meist dennoch unter Vorbehalt, da das Wunschprotein sich eben nicht in seiner natürlichen Umgebung tummeln durfte.


Megagenomik in Florida

Wo findet man nun solche Metagenomik-Projekte in der Praxis? Zum Beispiel vor der Küste Floridas. Dahinter steckt ein Vorhaben Craig Venters, der vor circa zwei Jahren mit einem Mammutprojekt die Metagenomik populär machte. Dafür hat er mehrere hundert Liter Meerwasser aus der nährstoffarmen Sargasso-See vor den Bermuda-Inseln gefiltert (Science 304, S. 66), was dem Unternehmen den Spitznamen "Megagenomik" einbrachte. Mit dem mikrobiellen DNA-Rückstand wurden anschließend High-throughput-Sequenzierapparaturen gefüttert, deren Ausbeute sich mit großen Augen liest: Venters Team fand etwa 1,2 Millionen Gene, darunter circa 70 000 komplett neue und konnte gar 148 neuartige bakterielle Stämme definieren. Besonders überraschte der Fund von mehr als 800 bislang unbekannten Photorezeptor-Genen.

Venters Analysen-Mittel zum Zweck war die so genannte "whole shotgun sequencing strategy", also die "Schrotschussmethode", die auch schon beim humanen Genom Projekt wertvolle Dienste leistete. Der Trick dabei ist, die DNA-Flut zweimal mittels verschiedener Verfahren in kleinere Segmente zu fragmentieren. Im ersten Schritt wird aus genomischer DNA eine "Bacterial Artificial Chromosome (BAC) library" erstellt. Noch immer zu groß für eine direkte Sequenzierung, werden diese deutlich kleineren DNA-Sequenzen in Plasmide kloniert. Ist dann die Sequenz der einzelnen Klone bekannt, kommt wieder ein Computerprogramm zum Einsatz, welches überlappende DNA-Fragmente vergleicht und deren Reihenfolge festlegt. Die bisherigen metagenomischen Ergebnisse können sich sehen lassen. Funktionelle Screens haben unter anderem zur Identifizierung neuer Enzyme und Antibiotika wie Indirubin und Turbomycin A/B geführt. Und der Projekte werden immer mehr. EMBL-Forscher um Peer Bork etwa veröffentlichten kürzlich mit US-Kollegen ihre Ergebnisse aus gleich zwei verschiedenen Metagenom-Projekten. Zum einen extrahierten sie jede Menge DNA-Sequenzen aus Walskeletten am Meeresgrund, die als lipidreiche Nahrungsquelle eine Unmenge spezialisierte Bakterien beherbergen; zum anderen untersuchten sie auf diese Weise die DNA aus über tausend Mikroorganismen, die sich in einem halben Gramm Ackerboden aus einer US-amerikanischen Farm tummelten. Aus jeder der Proben sequenzierten die Forscher Hunderttausende von Genen. Und zusammen mit Venters Daten aus dem Oberflächenwasser des Sargasso-See sowie eines weiteren publizierten Datensatzes über einen Biofilm von säurehaltigem Bergwerksickerwasser konnten Bork und Co. zum ersten Mal eine Vergleichsstudie mit metagenomischen Daten aus vier verschiedenen Ökosystemen durchführen.


Ökospezifische Genprofile

Ergebnis waren unter anderem eine Art öko-spezifische Genprofile: In jedem Ökosystem waren jeweils bestimmte Genklassen angereichert – im Oberflächenwasser etwa Gene für Photorezeptoren, im Boden Gene für Enzyme, die pflanzliches Material zersetzen.

Mit einem der ersten Metagenomik-Versuche der humanen biomedizinischen Forschung versprechen sich gegenwärtig Wissenschaftler vom Institute for Genomic Research (TIGR) und der Stanford University Fortschritte bei der Suche nach bislang unbekannten bakteriellen Erregern der chronischen Zahnfleischentzündung (Periodonditis). Im Unterschied zu den gigantischen "Umweltgenomik-Projekten" wird hier die komplexe Mikroben-WG der räumlich eng begrenzten menschlichen Mundhöhle genau unter die Lupe genommen. Dort hausen geschätzte 400 verschiedene Bakterien-Arten, wovon bislang nur etwa 150 den Umzug in Single-Reinkulturen mitmachten und katalogisiert wurden. Der Rest lebt nach wie vor anonym und unkultiviert zwischen Zunge und Zahnfleisch im heimeligen "Mikrobiom", wie es das TIGR-Team taufte. Mittels Microarrays wollen sie Genexpressionsmuster gesunder und erkrankter Probanden vergleichen. Und auch Craig Venter plant bereits sein nächstes Metagenom-Projekt. Sein nächstes "Target": die Luft über New York. Man darf gespannt sein, was dort so alles schwebt und wimmelt. Wie überhaupt auf alles, was noch so herausgefiltert und verglichen wird zwischen "Megagenomik" und "Mikrobiomen".



Letzte Änderungen: 25.07.2005