Editorial

Kisspeptin

von Ute Fischer (Laborjournal-Ausgabe 04, 2007)


Wie funktioniert das genetische Programm, das uns aus der Kindheit in die Pubertät versetzt? Welche Umwelteinflüsse und Signale des eigenen Körpers sind entscheidend für das Einsetzen der Geschlechtsreife? Ein Schlüsselhormon, das diesen Vorgang reguliert, wurde nun bei Hamstern, Mäusen und Schafen identifiziert. Als Modell ist die jahreszeitlich regulierte Paarungszeit der Nagetiere und Schafe durchaus dem Eintreten der Pubertät vergleichbar.

Das geheimnisvolle Peptid-Hormon trägt den verheissungsvollen Namen Kisspeptin. Es handelt sich um das Genprodukt des KISS1-Gens und stellt einen molekularen Schalter dar, der Umweltsignale wie Tageslänge, aber auch das eigene Körpergewicht in den Signalweg, der zur Geschlechtsreife führt, integriert.


Schafe und Hamster als Modell

Den Namen verdankt das Gen seiner Entdeckung durch eine Forschergruppe an der State University in Hershey, Pennsylvania. Danny Welch und seine Mitarbeiter veröffentlichten auch als erste die Fähigkeit von Kisspeptin als human metastasis suppressor“(S.F. Goldberg et al., Cancer Res. 63(2):432-40).

Den Zusammenhang von Kisspeptin mit dem Einsetzen der Geschlechtsreife zeigten Wissenschaftler um Samuel Aparicio aus Cambridge 2005 in PNAS, Vol.102, S. 1761) bei Schafen, die im Winter ihre Paarungszeit haben. Kisspeptin löst durch Bindung an den Rezeptor GPR54 eine Kaskade aus, welche zur Ausschüttung des Gonadotropin freisetzenden Hormons (GnRH) im Hypothalamus führt. Es folgt eine vermehrte Freisetzung des Luteinisierenden Hormons (LH) und des Follikel-Stimulierenden Hormons (FSH), welche letztlich zu einer Anregung der Gonaden führt.

Man bezeichnet dieses Regulationssystem als HPG(hypothalamo-pituitary-gonadal)-Achse. Weitere Mechanismen stromaufwärts von Kisspeptin, die den externen und internen Status verrechnen, sind derzeit nicht bekannt.

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Sibirische Hamster (Phodopus sungorus), die sich ausschliesslich im Sommer fortpflanzen, sind die bevorzugten Versuchstiere der Gruppe um Gregory Demas von der Universität Indiana. Die Forscher konnten zeigen, dass bei männlichen Tieren die Tageslänge Einfluss auf den Reproduktionsstatus hat. Dessen jahreszeitliche Schwankungen gehen einher mit einer Veränderung in der Bildung von Kisspeptin-produzierenden Neuronen. Diese sind sowohl im anterioventral periventricular nucleus (AVPV), einem Teil des Hypothalamus, als auch im arcuate nucleus (ARC), einer Ansammlung von Neuronen im mediobasalen Hypothalamus, zu finden.


Prioritätenverlagerung

Dazu wurden Tiere acht Wochen unter Kurztagbedingungen (8 h Licht, 16 h Dunkelheit) gehalten. Diese bildeten durch die verkürzte Tageslänge ihre Gonaden zurück und verloren an Körpergewicht. Mittels Immunohistochemie zeigte sich im Hamsterhirn eine Reduktion in Anzahl und Grösse der Kisspeptin-Neuronen im AVPV. Jedoch nahmen sie dafür hinsichtlich ihrer Menge im ARC stark zu.

Im Gegensatz dazu fand die Arbeitsgruppe bei dem Teil der Hamster, die sexuell aktiv blieben, nahezu keine Kisspeptin-Neuronen im ARC. Die Forscher folgerten daraus, dass Kisspeptin-Neuronen im AVPV stimulierend auf das Hormonsystem wirken, während sie im ARC eine andere, noch unbekannte Funktion haben, oder das Kisspeptin dort als inaktive Speicherform vorliegt.

In einem weiteren Experiment wurde die endokrine Antwort auf exogenes Kisspeptin untersucht. Dafür wurden die Tiere für acht Wochen unter Langtagbedingungen (16 h Licht, 8 h Dunkelheit) gehalten, was in einem erhöhten Körpergewicht, fortpflanzungsfähigen Gonaden und einem erhöhten Testosteronspiegel resultierte. Die Menge an LH war dabei vergleichbar mit der bei Tieren, die unter Kurztagbedingungen gehalten wurden, wurde also nicht durch die Tageslänge beeinflusst. Nach Injektion von Kisspeptin stieg zwar bei beiden Tiergruppen die Menge an GnRH und LH an, aber lediglich Tiere, welche unter Langtagbedingungen gehalten wurden, zeigten auch einen erhöhten Testosteronspiegel. Das Hormonsystem bleibt also unabhängig vom Reproduktionsstatus empfänglich für das Kisspeptin-Signal. Die Ausschüttung von Kisspeptin aus dem Hypothalamus, zusammen mit der Tageslänge, scheint somit der Schalter zu sein, der dem Körper die richtige Zeit zur Fortpflanzung signalisiert.

Bereits seit 2001 bekannt ist der Einfluss des Hormons Melatonin auf den Reproduktionsstatus von Hamstern (B. Goldman et al., J Biol Rhythms 16:283). Tiere, die unter Langtagbedingungen gehalten wurden, zeigten die gleichen Melatoninsignale wie Hamster, die unter Kurztagbedingungen gehalten wurden, jedoch darauf nicht ansprechen und folglich sexuell aktiv bleiben. Diesen Polymorphismus findet man bei vielen Tiergruppen, jeweils mit unterschiedlichen Ursachen. Bei Hamstern geht er auf unterschiedliche Eigenschaften der "inneren Uhr" zurück, die in Folge der Variation der Tageslänge das Hormonsystem steuert. Zukünftige Experimente sollen zeigen, wie Melatonin und die "innere Uhr" Einfluss auf die Expression von Kisspeptin haben.


Wirksame Hormontherapie?

Diese neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse könnten allerdings zu einer etwas fragwürdigen Anwendung verleiten. Da Kisspeptin erst mit Beginn der Pubertät ansteigt, sehen Wissenschaftler in diesem Schlüsselprotein einen Hebel, um mittels Blockade dieses Signalweges die immer früher einsetzende Geschlechtsreife, die der sozialen Reife weit voraus eilt, hinauszuzögern.

Unbestritten ist der mögliche Beitrag der Erforschung des Hormons Kisspeptin in seiner weitaus wichtigeren Rolle bei der Unterdrückung der Metastasierung von Tumoren zum Verständnis und für die Behandlung von Brust- und Prostatakrebs.





Letzte Änderungen: 30.05.2007