Editorial

mtDNA

von Petra Stöcker (Laborjournal-Ausgabe 5, 2009)


Pediculus humanus capitis

Blutsaugende Läuse wie die humane Kopflaus (Pediculus humanus capitis) haben – anders als andere Tiere – ihre mitochondriale DNA auf mehrere Minichromosomen verteilt.

Bei den Eukaryoten konzentriert sich der Löwenanteil der DNA auf die Chromosomen im Zellkern, ein kleiner Anteil Erbgut sitzt jedoch in den Mitochondrien: die mitochondriale DNA (mtDNA).

Dieses doppelsträngige DNA-Molekül wurde 1963 von Margit und Sylvan Nass mit elektronenmikroskopischen Methoden und 1964 von Ellen Haslbrunner, Hans Tuppy und Gottfried Schatz mit biochemischen Messungen nachgewiesen.

Die menschliche mtDNA ist ringförmig und nackt wie Bakterien-DNA, also nicht durch Histone verpackt. Menschliche ­mtDNA besteht aus 16.569 Basenpaaren. Zum Vergleich: der Zellkern beheimatet etwa 3 Mrd. Basenpaare.


Erhebliche Unterschiede
Größe und damit Informationsgehalt der mtDNA variieren allerdings bei verschiedenen Organismen. Hefe-mtDNA ist mit rund 78 kb fast fünfmal größer als das humane mtDNA-Molekül. Pflanzliche mtDNAs sind oft Giganten, wobei erhebliche Größenunterschiede zwischen den mtDNA-Molekülen verschiedener Pflanzen und sogar innerhalb einer Pflanzenfamilie bestehen (Wassermelone: 330 kb, Honigmelone: 2.500 kb).

Der Informationsgehalt der mtDNA ist dicht, im Unterschied zur Kern-DNA gibt es keine Introns, keine „junk“-DNA. Da jede tierische Zelle mehrere 100 Mitochondrien und jedes Organell wiederum 5-15 mtDNA-Kopien enthält, liegt deren Zahl bei Tausenden pro Zelle. Die mtDNA­ macht etwa ein Prozent der Gesamt-DNA-Menge einer Zelle aus und besitzt eine etwa zehnfach höhere Mutationsrate als die DNA im Zellkern – wohl deswegen, weil das Reparatursystem in den Organellen wenig effektiv ist.

Eukaryotische mtDNA codiert für 37 Gene, also für einen Bruchteil der circa 3.000 Gene, die für ein funktionsfähiges Mitochondrium nötig sind. So enthält die mtDNA einige der Enzyme für die Atmungskette der inneren Mitochondrien­membran: Atmungsketten-Komplex I und II, Cytochrom-C-Oxidase und ATP-Synthase, im Ganzen 13 Polypeptide.

Daneben finden sich Gene, deren Produkte für die Struktur und Reproduktion der Mitochondrien verantwortlich sind.

Bemerkenswert ist das Gen cox-II, das die Untereinheit 2 der Cytochrom-C-Oxidase codiert. Bei allen untersuchten Organismen findet man es in der mtDNA. Nur bei der Mungobohne sitzt es in der Kern-DNA.


Gezähmte Bakterien

Der mitochondriale DNA-Ring schwimmt in der Matrix des Mitochondriums. Aber wieso als Ring und wie kam er dorthin?

Mitochondrien stammen wohl von Bakterien ab, den Α-Proteobakterien, die ein zirkuläres Genom besitzen. Sie wurden im Rahmen einer Symbiose von frühen Eukaryoten aufgenommen und entwickelten sich dann zu Endosymbionten weiter. Im Laufe der gemeinsamen Evolution übernahm die Wirtszelle wesentliche Funktionen für ihren einverleibten Gast, und der wiederum verlor die entsprechenden Gene beziehungsweise gab sie an den Kern der Wirtszelle ab. Das Mitochondrium ist also gewissermaßen ein domestiziertes Bakterium. Die mtDNA wird nur zytoplasmatisch – also nicht über Chromosomen und nicht nach den Mendelschen Regeln – vererbt.

Alle Mitochondrien einer befruchteten Eizelle stammen von der Mutter. Daher stammen auch Krankheiten, die durch Mutationen in mitochondrialen Genen verursacht werden, von der Mutter.

Am meisten betroffen sind Gewebe mit großem Energie(ATP-)-Bedarf. So wird die Lebersche Optikusatrophie – eine fortschreitende, zu Blindheit führende Degeneration des Sehnervs, durch eine missense-Mutation im Gen der mtDNA für die NADH-CoQ-Reduktase (Teil des Atmungsketten-Komplex‘ I) hervorgerufen.

Treten in der mtDNA Mutationen auf, enthalten die Zellen eine Mischung aus „normaler“ und mutierter mtDNA (Heteroplasmie). Das gilt nur für Mutationen in den Keimbahn-Mitochondrien.


Kleine Ringe

Eine Extravaganz leistet sich die Menschenlaus, Pediculus humanus. Dies wurde im Zuge des „Human Body Louse Genome Project“ klar – ein von Craig Venter und seinen Mitarbeitern eingefädeltes Projekt zur Entschlüsselung der Sequenz des Laus-Erbguts. Zusammen mit einem Team um Stephen Barker und Renfu Shao an der University of Queensland, Australien, nahm sich Venters Team zunächst und sehr intensiv die humane Körperlaus vor und sequenzierte sie.

Mit Hilfe gelelektrophoretischer Muster und Southern-Hybridisierung konnten die Forscher zeigen, dass die Laus ihre 37 mitochondrialen Gene fein säuberlich auf 18 Minichromosomen verteilt hatte, statt sie – wie sonst bei Tieren üblich – auf einem einzigen DNA-Ring unterzubringen (online publiziert in Genome Research, 31. März 2009).

Jedes dieser wiederum zirkulären Laus-mt-Minichromosomen ist 3-4 kb lang und enthält ein bis drei Gene. Diese Mini-Ringe existieren bei vier weiteren Spezies blutsaugender Läuse – unter anderem humane Kopf- und Filzlaus sowie eine blutsaugende Spezies, die andere Primaten „anfällt“ – nicht jedoch bei den blutabstinent lebenden Haar- beziehungsweise Federlingen (Mallophaga) und den Staubläusen (Psocoptera), den nächsten Verwandten der hämatophagen Insekten.

Die Forscher vermuten, dass die Fragmentierung der mtDNA mit der Entwicklung des Laus-Speiseplans hin zur Blut-Hauptmahlzeit zusammenhängt. Die Vorteile eines solch fragmentierten DNA-Moleküls, sofern vorhanden, sind noch unklar.





Letzte Änderungen: 13.06.2009