Editorial

Zeta-Toxine

von Lara Winckler (Laborjournal-Ausgabe 06, 2011)


Zeta-Toxin und sein Antitoxin

Zeta-Toxin und sein Antitoxin.
Foto: miss.sophie/photocase.com

Bakterien, die superangepassten Extremwohner, haben ein Problem: Sie sind genauso anfällig für Stress wie Mäuse und Menschen. Anders als Menschen jedoch reagieren Bakterien etwa auf Nahrungsknappheit nicht mit Revolution, sondern mit Selbstmord. Ein Gift treibt sie unter prekären Umweltbedingungen in denselben: das Zeta-Toxin.

Zeta-Toxine werden normalerweise von einem Antitoxin in Schach gehalten. Die Genome der meisten Bakterien codieren für solche Toxin-Antitoxin(TA)-Systeme, deren Gene meistens auf mobilen genetischen Elementen sitzen, ebenso wie die für Virulenz- und Resistenzfaktoren. Diese Plasmide sind sehr instabil und laufen ständig Gefahr, bei der Zellteilung verloren zu gehen.

Hier kommen die TA-Systeme ins Spiel: Über horizonalen Gentransfer weitergegeben, integrieren sie in das Genom der Bakterien. Der Vorteil für die Bakterien: Die TA-Systeme stabilisieren die Plasmide und sichern damit etwa die Resistenz gegen Antibiotika. Der Nachteil: Gehen die Plasmide bei der Zellteilung verloren, so töten die Toxine die (plasmidfreie) Zelle.

Das ist der Deal. Nur wenn Plasmid samt TA-System weitervererbt wird, überlebt die Zelle. Der Grund: Das Antitoxin wird schneller proteolytisch abgebaut als das Toxin und muss daher ständig neu produziert werden, um das Toxin weiterhin zu neutralisieren. Kann also kein Antitoxin mehr nachgeliefert werden, weil das Plasmid mit dem TA-System fehlt, wird das Toxin aktiv und führt zu Zellstase oder Zelltod (postsegregational killing, PSK).

„Die mobilen genetischen Elemente sind also für die Bakterien Segen und Fluch zugleich“, erklärt Anton Meinhart, MPI für Medizinische Forschung Heidelberg. „Sie helfen ihnen, [Antibiotika] zu überleben, können sie aber auch töten.“ Es gibt verschiedene Vermutungen über die Funktion von TA-Systemen: Stabilisierung genomischer Parasiten, Repression von Genexpression, Wachstumskontrolle durch bakteriostatische Toxine, Selbstmord, um die Population zu retten (die sich von den Zellbestandteilen der Toten ernährt) oder um einen Biofilm zu bilden, Schutz vor Phagen...

Editorial

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Obwohl sie schon vor zwanzig Jahren entdeckt wurden, herrschte auch über den Wirkmechanismus der Zeta-Toxine Unklarheit. Bis vor Kurzem: Meinhart und seine Gruppe klärten die Wirkung von Streptococcus pneumoniae-Zeta-Toxin (PezT) am Modellorganismus Escherichia coli auf (PLoS Biol 2011, 9(3):e1001033). Sie fanden heraus, dass E. coli auf aktiviertes PezT ähnlich reagiert wie auf Penicillin: Zuerst hörte die Zellteilung auf, dann autolysierten die Zellen und starben.

Das Enzym D-Alanin-Trans­peptidase, welches die Peptidoglycanmoleküle (Murein) der Bakterienzellwand (Murein-Sakkulus) quervernetzt, bildet mit dem β-Lactam-Antibiotikum Penicillin einen Komplex und wird dadurch irreversibel gehemmt. Penicillin verhindert so die Neusynthese der Zellwand und stoppt die Zellteilung (Bakteriostase). Jedoch degradieren die Mureinhydrolasen – Gegenspieler der D-Alanin-Transpeptidasen – weiterhin Peptidoglycane, was zu erhöhter Zellwandpermeabilität, Zelllyse und schließlich zum Zelltod führt.

PezT nun scheint Zellen kurz vor der Zellteilung (Zytokinese), welche den Aufbau von Septum-Murein erfordert, zu töten. Außerdem wirken PezT und andere Zeta-Toxine nur auf schnell wachsende Zellen toxisch. Langsam wachsende Zellen dagegen überleben Zeta-Toxin-Expression. Daher vermuteten Meinhart et al., dass auch PezT die Zellwandsynthese zum Ziel hat.


Ubiquitäres Substrat

Wie polnische Forscher zeigten, wirken Zeta-Proteine aus Streptococcus pyogenes auch in Eukaryoten wie Saccharomyces cerevisiae toxisch (Urszula Zielenkiewicz et al., J Bacteriol 2009, 191(11):3677-84). Das lässt darauf schließen, dass Zeta-Toxine ein Substrat modifizieren, das sowohl in Prokaryoten als auch in Eukaryoten vorhanden ist. Solch ein Metabolit ist Uridin-Diphosphat-N-Acetylglucosamin (UNAG).Dieser Nukleotidzucker ist essentiell für die Herstellung einer Vielzahl von Glycokonjugaten, unter ihnen auch das prokaryotische Peptidoglycan.

Aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit von PezT und anderen Zeta-Toxinen mit Phosphotransferasen lag für Meinhart et al. nahe, dass es sich bei den Zeta-Toxinen um eine neue Familie von Kinasen handelt, die UNAG durch ATP-abhängige Phosphorylierung modifizieren. Tatsächlich hängt Zeta-Toxin einen Phosphatrest an die 3‘-Hydroxylgruppe von N-Acetylglucosamin, UNAG wird zu UNAG-3P. UNAG-3P könnte mit der Peptidoglycansynthese durch Inhibition der konservierten Enolpyruvyl-Transferase MurA interferieren, dem Enzym für den initialen Schritt in der bakteriellen Peptidoglycan-Biosynthese: MurA katalysiert den Transfer der Enolpyruvylgruppe von Phosphoenolpyruvat an die 3‘-Hydroxygruppe von N-Acetylglucosamin und bildet so Enolpyruvyl-UNAG.

Sobald PezT UNAG phosphoryliert hat, gibt es keinen MurA-abhängigen UNAG-Umsatz mehr. Daher gehen Meinhart und seine Mitarbeiter davon aus, dass MurA UNAG-3P nicht als Substrat für die Peptidoglycansynthese nutzen kann. Dennoch scheint UNAG-3P mit MurA einen inaktiven, nicht-produktiven Komplex zu bilden: Je mehr UNAG-3P vorhanden ist, desto weniger UNAG setzt MurA um. So verhindert UNAG-3P letztendlich die Ausbildung einer neuen Zellwand, die beide Tochterzellen trennt.

Perfiderweise erhöht PezT die Virulenz von Pneumokokken auch noch nach dem Tod des Erregers: Durch die bakterielle Autolyse wird eines der gefährlichsten Pneumokokken-Toxine überhaupt erst freigesetzt: Pneumolysin, das transmembrane Poren ins Wirtszellenendothel bohrt.

Meinhart et al. denken, dass UNAG-3P­ ein prima Ausgangsstoff für ein neues Breitbandantibiotikum ist.




Letzte Änderungen: 25.06.2011