Editorial

Braunes Fett

von Mario Rembold (Laborjournal-Ausgabe 10, 2013)


Stichwort

Foto: gleb_pokrov/photocase

Schlankmachende Fettzellen – das klingt zu schön, um wahr zu sein. Um nicht gleich zu Anfang falsche Hoffnungen zu säen: Das Fettgewebe, von dem hier die Rede ist, kann man sich leider nicht durch Chips und Pommes anfuttern. Denn überschüssige Kalorien, für die der Körper erst einmal keine Verwendung hat, werden für schlechte Zeiten in weißen Fettzellen eingelagert. Da diese schlechten Zeiten hierzulande selten sind, kann sich da über die Jahre einiges ansammeln. Will man das wieder loswerden, führt kein Weg daran vorbei, das angesammelte Fett wieder zu verwerten. Das bedeutet meist: Hungern, Joggen oder sich im Fitnessstudio triezen lassen. Oder sich unters Messer zu begeben. Wem das alles nicht zusagt, dem bleibt ein letzter Ausweg: frieren. Denn bei einigen Menschen wird auf diese Weise die Bildung brauner Fettzellen in Gang gesetzt.

Bereits im 16. Jahrhundert hatte der Schweizer Naturforscher Conrad Gessner ein Gewebe als „weder Fett noch Fleisch“ charakterisiert. Zunächst fand man dieses braune Fett vor allem bei Nagetieren und bei Säugern, die Winterschlaf halten. 1902 wurde es dann auch bei menschlichen Neugeborenen beschrieben. Während weiße Fettzellen prallgefüllt sind mit einem einzigen zusammenhängenden Lipidreservoir, das kaum Platz für Zellorganellen lässt, zeigt sich bei der braunen Variante ein anderes Bild unter dem Mikroskop: Viele kleine Lipidtröpfchen und zahlreiche Mitochondrien füllen den Zellkörper aus. Und wo Mitochondrien sind, da werden Nährstoffe verbrannt – offenbar ist dieses Gewebe also mehr als nur ein Fettspeicher.

Normalerweise arbeiten Mitochondrien als ATP-Kraftwerke, in denen ADP phosphoryliert wird. Protonen werden aus der mitochondrialen Matrix in den Raum zwischen innerer und äußerer Membran gepumpt und fließen von dort zurück in die Matrix. Dieser Rückstrom läuft über ATP-Synthasen, die in der inneren Membran sitzen und durch den Protonenfluss angetrieben werden. Das auf diesem Weg hergestellte ATP steht der Zelle nun als Energiewährung zu Verfügung. Doch in den braunen Fettzellen ist dieser Kreislauf kurzgeschlossen, denn das Uncoupling Protein-1 (UCP1) setzt sich in die innere Membran der Mitochondrien und entkoppelt den Protonenrückfluss von der ATP-Produktion. Statt ATP herzustellen, laufen die Mitochondrien im wahrsten Sinne des Wortes heiß. Damit hilft braunes Fettgewebe Winterschlaf haltenden Säugern, nach dem Erwachen im Frühling schnell wieder auf Betriebstemperatur zu kommen, und kleine Nager können ihre Temperatur leichter aufrecht halten.

Beim Menschen bildet sich das braune Fettgewebe schnell zurück und spielt – so die Lehrmeinung über viele Jahrzehnte – nur bei Neugeborenen eine Rolle für die Thermoregulation. Heute aber weiß man: Auch einige Erwachsene haben noch braunes Fett. Das Gewebe lässt sich leicht mittels Computertomographie sichtbar machen. Besonders im Bereich um das Schlüsselbein und die Wirbelsäule herum erkennt man bei fünf Prozent der Erwachsenen die charakteristischen dunklen Flecken auf den Bildern, während etwa jedes zweite Kind diese Heizkraftwerke mit sich herumträgt.

Fett, das Fett verbrennt – ob sich das auch zum Abnehmen nutzen lässt? Tatsächlich deuten Studien darauf hin, dass schlanke Menschen mehr braunes Fett haben als Übergewichtige. Darüber hinaus senken braune Fettzellen möglicherweise auch das Risiko, an Diabetes zu erkranken.

Schlank durch Kälte

In der Embryonalentwicklung gehen weiße und braune Fettzellen aus unterschiedlichen Vorläufern hervor. Braunes Fett entsteht aus Zellen, die myogenic factor 5 (myf5) exprimieren und auch zu Skelettmuskeln ausdifferenzieren können. Weißes Fett hingegen entwickelt sich aus mesodermalen myf5-negativen Stammzellen. Doch wie Matthias Rosenwald und Kollegen kürzlich zeigten, können sich bei Mäusen beide Fettzell-Typen ineinander umwandeln (Nat Cell Biol 2013, 15(6):659‑67). Setzt man die Tiere niedrigen Temperaturen aus, werden einige weiße zu braunen Fettzellen. Hält man die Mäuse danach wieder im Warmen, verwandeln sich braune Fettzellen zurück in weiße. Für weißes Fettgewebe, das – wie in diesem Experiment – auch braune Fettzellen enthält, hat sich die Bezeichnung brite adipose tissue durchgesetzt (brite=brown in white). Ob sich auch beim Mensch Fettzellen von einem Typ in den anderen umwandeln, weiß man nicht. Allerdings zeigte das Team um Wouter van Marken Lichtenbelt auch bei menschlichen Versuchspersonen eine Volumenzunahme braunen Fettgewebes, wenn man sie über zehn Tage hinweg immer wieder Kälte aussetzt (J Clin Invest 2013, 123(8):3395-403). Die Autoren glauben sogar, dass ein regelmäßiges Abkühlen der Wohnung eine Möglichkeit sein könnte, der „aktuellen Adipositas-Epidemie“ zu begegnen.

Ob es wirklich so einfach ist, sich schlank zu frieren, kann an dieser Stelle jedoch nicht garantiert werden. Da weiße Fettzellen nämlich Zytokine wie TNF-α oder IL-6 freisetzen, die entzündliche Prozesse verstärken, könnte dadurch auch die Bildung und Funktion braunen Fettgewebes gestört sein. Somit liegt die Vermutung nahe, dass gerade die Menschen, die leicht braune Fettzellen bilden, auch diejenigen sind, die ohnehin schon weniger Probleme mit Übergewicht und Diabetes haben. Dafür aber regt Sport wohl die Bildung brauner Fettzellen an. Denn wenn die Muskeln arbeiten, produzieren sie das Hormon Irisin, das wiederum im weißen Fettgewebe die UCP1-Expression ankurbelt und braunes Fett entstehen lässt (Nature 2012, 481(7382):463-8). Mittlerweile kennt man zudem microRNAs, die an der Regulation beteiligt sind. So verhindert miR-155 die Entstehung brauner Fettzellen, während miR-193b-365 und miR-196a für deren Bildung notwendig sind. (Nat Commun 2013;4:1769).

Fazit: Abnehmen ist nicht so einfach, und braunes Fett taugt nicht als Ausrede, auf Sport und Bewegung zu verzichten. Wäre ja auch zu schön gewesen.




Letzte Änderungen: 01.10.2013