Editorial

Pruning

von Melanie Erzler (Laborjournal-Ausgabe 9, 2018)


Stichwort

Während sich das Nervensystem entwickelt, entstehen zu viele neuronale Verbindungen, die im späteren Feinschliff – sofern nicht benötigt – wieder gekappt werden müssen. Durch das sogenannte Pruning werden Axone und Dendriten, die Zellfortsätze der Neuronen, selektiv abgebaut. Der Zellkörper an sich bleibt dabei erhalten.

Pruning ist ein wichtiger entwicklungsbiologischer Mechanismus, der die Spezifizierung von neuronalen Verbindungen sicherstellt und Zwischenstufen in der Entwicklung beseitigt. Aber auch im späteren Leben spielt das Pruning eine wichtige Rolle: Während der Pubertät bauen sich viele Nervenverbindungen ab – ein Erwachsener hat deutlich weniger Nervenzellverbindungen als ein Kind. Ein fehlreguliertes Pruning wird assoziiert mit verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen wie Schizophrenie oder Autismus. Auch die Synästhesie, ein Phänomen, bei dem verschiedene Sinneswahrnehmungen gekoppelt sind, wird einem unvollständigen Pruning zugeschrieben.

Abbau von innen nach außen

Dieser Prozess muss also streng reguliert werden. Das Wissen, welche Gene und Signalwege darin verwickelt sind, ist noch sehr lückenhaft – über Pruning weiß man viel weniger als über die Neubildung von Synapsen. Auch die Frage, wie der Vorgang zeitlich und räumlich geregelt wird, ist noch kaum beantwortet.

Ein interdisziplinäres Forscherteam um die Biologin Svende Herzmann des Exzellenzclusters „Cells in Motion“ der Universität Münster konnte nun einen Zusammenhang zwischen der räumlichen Organisation einer Nervenzelle und dem Abbau ihrer Dendriten herstellen (Development 145: dev156950). Als Modell nutzten sie Drosophila melanogaster, denn während der Metamorphose der Larve zum Adultstadium wird das Nervensystem stereotypisch und umfassend umgebaut.

Bekannt war bereits, dass dem Pruning räumlich assoziiert ein Abbau der Mikrotubuli vorangeht. Initiiert wird deren Degradation durch die Ausschüttung des Steroidhormons Ecdyson, welches die Kinase PAR-1 aktiviert. Diese wiederum inhibiert Tau, ein Protein, das die Mikrotubuli durch deren Bündelung stabilisiert.

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Um die räumliche Determinierung des Mikrotubuli-Abbaus zu untersuchen, markierten die Wissenschaftler diese mit einem Fluoreszenzfarbstoff und beobachteten den Dendriten-Abbau über die Zeit im Life-Cell-Imaging. Das Pruning, zunächst erkennbar an einer dünner und brüchiger werdenden Zellmembran, geht von den proximalen, Soma-nahen Verzweigungen der Dendriten aus und setzt sich in die kleineren Verästelungen fort. Dies korreliert mit der Abbauweise der Mikrotubuli, deren Lücken ebenfalls von proximal, also dem Zellkörper aus, nach distal entstehen. Abgebaute Dendriten werden im Anschluss fragmentiert und durch umliegende epidermale Zellen phagozytiert.

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Illustr.: ItsNot-What-ItsWhy
Die Polarität ist entscheidend

Die Forscher vermuteten nun, dass die Polarität der Mikrotubuli eine räumliche Voraussetzung für deren Abbau bieten könnte. Mikrotubuli haben immer ein Plus- und ein Minus-Ende, wobei an ersterem Wachstums- und Abbauprozesse ablaufen. Aus früheren Studien ist bekannt, dass die Plus-Enden in den Taufliegen-Dendriten alle zum Soma hin zeigen – die Mikrotubuli also Plus-End-In vorliegen.

Diese einheitliche Ausrichtung ist vor allem in primären und sekundären Dendriten zu finden – in höherer Ordnung gibt es auch eine gemischte Orientierung. Axone hingegen sind genau andersherum strukturiert: Dort zeigen die Plus-Enden vom Soma weg. Interessanterweise bauen sich diese Zellfortsätze auch in der entgegengesetzten Richtung ab, nämlich zum Zellkörper hin.

Ursächlich für die Plus-End-In-Ausrichtung der Mikrotubuli sind Kinesine. Wird deren Wirkung inhibiert, funktioniert auch das Pruning nicht mehr. Die Polarität der Mikrotubuli scheint also den Startpunkt des Prunings zu beeinflussen.

Warum die Mikrotubuli zuerst an den Verästelungen der Dendriten abgebaut werden, könnte verschiedene Gründe haben. Zum einen treffen hier mehrere Plus-Enden aufeinander, sodass der Abbauprozess größere Lücken verursacht. Außerdem könnten durch die Verzweigung instabilere Abschnitte entstehen, die anfälliger für einen Abbau sind. Eine andere Hypothese der Forscher ist, dass PAR-1, welches über die Inhibition von Tau die Mikro­tubuli entbündelt, in kleineren Seitenästen mehr akkumuliert und so eine höhere Wahrscheinlichkeit für den Mikrotubuli-Abbau entsteht.

Um all diese Theorien auszuloten, muss die lokale Mikrotubuli-Organisation an den Verzweigungen besser charakterisiert werden – und genau das haben die Wissenschaftler aus Münster nun vor. Wichtig sind diese Ergebnisse natürlich zum einen, um die Prozesse während der Entwicklung des Nervensystems zu verstehen. Spannend ist aber auch, dass das Pruning sowohl bei physiologischen, als auch bei pathologischen Degenerationsprozessen eine Rolle spielt. Der Abbau neuronaler Verbindungen ist also durchaus nötig – wie so oft ist das Ausmaß entscheidend.



Letzte Änderungen: 07.09.2018