Editorial

Proteomics

von Britta Mädge (Laborjournal-Ausgabe 01, 1999)


"All right," said Deep Thought",the answer to the Great Question ( ... ) of Life, the Universe and Everything ... is Forty-two." (Douglas Adams).

Ist die "Große Frage des Lebens" mit der Sequenz des menschlichen Genoms beantwortet? Weiß man anschließend, wie das Leben funktioniert? Wohl nicht. Einer menschlichen Zelle stehen etwa 60.000 bis 100.000 Gene zur Verfügung, von denen nur ein kleiner Teil tatsächlich abgelesen wird. Welcher das ist, richtet sich nach Zelltyp, Umweltbedingungen und vielen anderen Faktoren. Die Information der DNA ist also statisch, während die Zelle ein dynamisches System ist, welches Gene nach Bedarf an- und ausschaltet. Das Humangenomprojekt erschließt nur das Repertoire - welche Gene wann und wo auf dem Spielplan stehen, bleibt ungeklärt. Selbst Craig Venter, der den menschlichen Code in den nächsten drei Jahren knacken will, glaubt, daß bis zum vollständigen Verständnis der Informationsflut noch 100 Jahre vergehen werden.

Diese frustrierende Erkenntnis ließ das Interesse an den Genprodukten, in der Hauptsache Proteine, in den letzten Jahren beständig steigen. 1995 ersann man für den neuen Forschungszweig den Ausdruck "Proteomics", eine Wort-Chimäre aus Protein und Genomics, und das Studienobjekt wurde analog "Proteom" getauft.

Als Proteom werden alle Genom codierten Proteine zusammengefaßt, es ist also ein variables Gebilde, dessen Zusammensetzung sich ständig verändert. Proteomics ist die logische Fortsetzung von Genomics: Die aus der DNA-Sequenz gewonnenen Daten über die Art und Anzahl der Gene werden ergänzt durch die Information ihrer Nutzung. Proteomics handelt davon, wann, wo, warum und wie stark Gene exprimiert werden, sowie davon, wie die Proteine zusammenwirken.

Historisch betrachtet ist Proteomics nichts anderes als die Rückbesinnung auf alte Traditionen: Schon in den 20er Jahren standen die Proteine im Mittelpunkt der Forschung. In jenen fernen Tagen war die DNA als "langweiliges" Molekül verpönt. ihr großer Auftritt kam erst 1953, als Watson und Crick sie als den Informationsspeicher der Zelle entlarvten. Von nun an galt sie als die Chefetage, während die Proteine zu niederen Schergen degradiert wurden.

Heute ist Proteomforschung nicht nur von akademischem Interesse, sie ist ein wichtiges Instrument der Biotechnologie, dem ein hohes wirtschaftliches Potential zugeschrieben wird. Das heißt, man wittert Profit mit Proteomics und will damit vor allem neue Medikamente entwickeln. Denn ist erst das Proteom bekannt, können auch komplexe Proteinnetzwerke in Signalwegen besser verstanden werden. Viele Krankheiten beruhen auf Störungen in solchen Systemen. Sind diese erst auf Proteinebene erkannt, können neue Wirkstoffe entwickelt werden, die den Fehler ausmerzen. Ebenfalls interessant ist es, die Proteome von Krankheitserregern zu untersuchen. Auch hier könnte man Schwachpunkte erkennen, wenn man die Wechselwirkungen zwischen Wirt und Parasit kennt. Mehr als 50 solcher Genome sind schon sequenziert. Werden in diesen Organismen Proteine identifiziert, ist auch gleich das Gen zur Hand - so ergänzen sich Genomics und Proteomics.

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Bis zu 10.000 Spots auf einem Gel

Zur Verwirklichung ihrer ehrgeizigen Ziele bedienen sich die "Proteologen" hauptsächlich biochemischer Werkzeuge. Durch zweidimensionale Gelelektrophorese (2-DE) ist es möglich, gut die Hälfte aller Proteine eines Zellextrakts aufzutrennen.

Auf den Gelen wird das Proteingemisch in der ersten Dimension nach der isoelektrischen Ladung aufgetrennt, in der zweiten nach Molekulargewicht. Bis zu 10.000 Spots sind dann auf einem Gel zu finden. Dieses gewebsspezifische Muster kann gescannt und per Computer mit anderen verglichen werden, etwa mit dem eines kranken Gewebes.

Schwieriger sind einzelne Proteinspots zu identifizieren. Bei unbekannten Proteinen ist die Sequenzierung per Edman-Abbau am schnellsten; für 95% dieser Spots sind die Mengen, die aus dem Gel gewonnen werden können, allerdings zu gering. Eine Alternative bietet die Massen-Fingerprint Methode. Dabei werden die Proteine enzymatisch zerstückelt und liefern dann ein charakteristisches Bild im Massenspektrometer. Dafür reichen zwar geringere Proteinmengen, die Technik ist aber viel aufwendiger. Gut geeignet ist die Massenspektroskopie zur Identifizierung bekannter Proteine, ihr Fingerabdruck läßt sich über spezielle Algorithmen schnell zuordnen. Die Fragmentierung zeigt außerdem an, ob das Protein posttranslationale Anhängsel wie Phosphatgruppen oder Zucker trägt.

Genau wie die Genomsequenzierung müssen auch diese Verfahren auf hohen Durchsatz getrimmt werden, das heißt automatisierter Ablauf und Auswertung. Neue Software hilft, unbekannte Proben mit bereits charakterisierten zu vergleichen. Via Internet sind Bilder von 2-DE Gelen zugänglich, ebenso Daten aus hochauflösenden Massenspektroskopien. Klar, daß bei Massenscreenings eine entsprechend hohe Rechnerleistung nötig ist, wobei wir wieder bei Douglas Adams' Super-Computer "Deep Thought" wären: Er scheitert an der Beantwortung der "Großen Frage des Lebens" - und schlägt vor, einen größeren Computer zu bauen.



Letzte Änderungen: 19.10.2004