Editorial

Peptidantibiotika

von Sabine Strecker (Laborjournal-Ausgabe 09, 1999)



Frisch aufgewärmt und kräftig variiert kommt derzeit ein altes Gericht auf den Tisch von Mikrobiologen, Biochemikern und Humanmedizinern. "Völlig neu und uralt" seien die Peptidantibiotika, meint Jens-Michael Schröder, Leiter der Klinischen Forschergruppe "Mechanismen kutanerEntzündungsreaktionen der Universitäts-Hautklinik Kiel. Dass Säugetier-Phagozyten Peptide produzieren, die antimikrobiell wirksam sind, ist bereits seit Ende des letzten Jahrhunderts bekannt. Weil von Zellfraktionierung oder Peptidanalytik damals jedoch nicht die Rede sein konnte, ließ man die antimikrobiellen Peptide notgedrungen links liegen.

Erst als es ab den 50er Jahren möglich wurde, Proteine aufzureinigen und zu charakterisieren, erwachte das Interesse an den Peptidantibiotika neu. Seit dieser Zeit hat man die kleinen, kationischen Peptide in allen Organismenreichen aufgespürt: Sie sind Bestandteil des"lmmunsystems" von Insekten (Cecropine und Insekten-Defensine), und sogar Pflanzen (Thionine und Pflanzen-Defensine), wo sie vor allem von den Epithelien produziert werden. Auch die Wirbeltiere, ursprünglich die Lieferanten der phagozytären Peptidantibiotika, waren für Überraschungen gut. 1987 entdeckte Michael Zasloff das Magainin, ein antimikrobielles Peptid in der Haut von Fröschen. 1995 folgte die Entdeckung der sogenannten Beta-Defensine im Zungenepithel von Rindern. Auch bei anderen Säugetieren, einschließlich des Menschen, hat man seitdem Peptidantibiotika gefunden. "Inzwischen sind rund 200 antimikrobielle Peptide charakterisiert", so Jens-Michael Schröder, "und das ist nur die Spitze des Eisbergs". Wenn man bedenke, dass jedes Epithel sein eigenes Peptid-Spektrum besitze, könne man mit großer Wahrscheinlichkeit von mehreren tausend, möglicherweise gar mehreren hunderttausend natürlichen antimikrobiellen Peptiden ausgeben, so der Kieler Wissenschaftler.

Ein zweite Renaissance erlebt die Erforschung der Peptidantibiotika derzeit aus mehreren Gründen. Zum einen ist die Suche nach neuen Antibiotika angesichts weitreichender Resistenzen ein vordringliches Forschungsziel. Zudem erlauben es immer ausgefeiltere Techniken (hochauflösende Massenspektrometrie und NMR-Spektrometrie, Röntgenkristallographie, Fourier-Transformationsspektroskopie mit infrarotem Licht etc.) der genauen Struktur und dem Wirkmechanismus der Peptidantibiotika auf die Spur zu kommen. Hinzu kommen die Möglichkeiten, neue Peptide nach diesen Vorbildern zu designen und patentieren zu lassen. So werden etwa Versuche unternommen, Hybridmoleküle aus mehreren Peptidantibiotika zu konstruieren, um deren Nebenwirkungen (z. B. Hämolyse) zu reduzieren. Inzwischen sind nicht nur Peptide bekannt, die gegen Bakterien wirksam sind, sondern auch gegen Viren, Pilze und Tumorzellen.

Auch Bakterien selbst produzieren Peptide mit antimikrobieller Aktivität - wie etwa Nisin, Subtilin, Gramicidin S, Polymyxin B und unzählige andere. Während diese Peptide häufig ebenfalls als Peptidantibiotika bezeichnet werden, beschränken andere Wissenschaftler - wie auch Schröder - den Begriff auf die gencodierten Antibiotika der höheren Organismen. lm Gegensatz zu diesen werden die Bakterien-Peptide posttranslationell häufig so stark verändert, dass das ursprüngliche Aminosäuregerüst kaum mehr zu erkennen ist.

Die Grenze etwa zum Penicillin, dessen beta-Lactam-Ring aus den Aminosäuren Valin und Cystein zusammengeschmolzen ist, ließe sich dann nur noch schwer ziehen.

Peptidantibiotika besitzen einen völlig inderen Wirkmechanismus als die herkömmlichen Antibiotika. Um Verwechslungen zu vermeiden, werden sie von einigen Forschern daher lieber als antimikrobielle Peptide bezeichnet. Anstatt wie Penicilline, Cephalosporine oder Aminoglykosid-Antibiotika die Zellwand- oder Proteinsynthese zu stören, beeinträchtigen die antimikrobiellen Peptide die Funktionen der Zellmembran. Üblicherweise geschieht dies, indem sie die Doppelschicht-Struktur der Membran stören oder Poren bilden. Die löchrige Hülle macht es den Bakterien unmöglich, einen elektrochemischen Gradienten aufrechtzuerhalten und beraubt sie so ihrer Energiequelle. Hinzu kommen der Verlust von Ionen und das unkontrollierte Einströmen von Wasser die Zelle schwillt an und osmolysiert.

Die Mehrzahl der Peptidantibiotika wird ständig gebildet und dient als prophylaktischer Schutzschild gegen Infektionen. Bis hinunter zu den Pflanzen gibt es jedoch auch antimikrobiell wirksame Peptide, die erst durch den Kontakt der betreffenden Epithelzellen mit Bakterien induziert werden.

"Zusammen mit der ausgeprägten Kompartimentierung der antimikrobiellen Peptide könnte dies erklären, warum es gegen sie keine echten Resistenzen zu geben scheint", glaubt Jens-Michael Schröder. Zwar gibt es Adaptationsmechanismen, die die Bakterien unempfindlicher gegen die Wirkung der Peptidantibiotika machen. Dazu zählen etwa Genprodukte, die die Oberfläche des Bakteriums chemisch verändern, sodass es weniger azide ist und die positiv geladenen Peptide sich weniger leicht anheften können. Andererseits können die Peptide durch Peptidasen im Periplasma inaktiviert werden. "Eine erworbene Resistenz ist bislang jedoch nicht bekannt", so Schröder. Ein Grund mehr, die alten Moleküle weiter zu erforschern.






Letzte Änderungen: 19.10.2004