Editorial

Buchbesprechung

Karin Hollricher




Tracy Chevalier:
Zwei bemerkenswerte Frauen

Gebundene Ausgabe: 404 Seiten
Verlag: Albrecht Knaus Verlag (4. Oktober 2010)
Originaltitel: Remarkable Creatures
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3813503682
ISBN-13: 978-3813503685
Preis: 19,99 EUR

Naturwissenschaftliches Sittenbild: Ladies inmitten Sauriern

Ein Urlaub führte mich letztes Jahr nach Lyme Regis. Nie gehört? Es ist ein kleines Kaff in Dorset an der Südküste Englands, das dem Kontinentaleuropäer eher nicht bekannt ist. Außer er ist haupt- oder nebenberuflich an Paläontologie interessiert. Denn in Lyme Regis lebte einst die erste und vielleicht bekannteste Fossiliensucherin der Welt, Mary Anning. Über ihr Leben erschien nun ein Buch.

Mary Anning entdeckte 1811 den ersten vollständigen Ichtyosaurus in dem brüchigen Gestein an der Küste von Lyme Regis. Und über diese Frau, eine im klassischen Sinn ziemlich ungebildete Tochter eines Tischlers, sowie ihre Mentorin Elizabeth Philpot, dreht sich ein Buch von Tracy Chevalier, dessen deutsche Übersetzung im Dezember in den Buchläden lag. Klar, dass ich sofort zugegriffen habe. Ich habe es nicht bereut.

Remarkable Creatures lautet der durchaus doppeldeutig gemeinte Originaltitel des Buches: Es geht um bemerkenswerte, längst ausgestorbene Kreaturen, aber auch um zwei ebenso bemerkenswerte Frauen, die im 19. Jahrhundert lebten. Dass die Freundin unserer Protagonistin Anning, die unverheiratete Elizabeth Philpot, von ihrem Bruder damals an die Küste „umgezogen wurde“, um Geld zu sparen, ist in diesem fabelhaften Roman nur eine weitere, allerdings pikante Randnotiz (nach dem Tod ihrer Eltern mussten Elizabeth und ihre beiden ebenfalls ledigen Schwestern „versorgt“ werden – und das war billiger in einem Dörfchen in Dorset zu machen als in einem Haus im kostspieligen London).

Geschickt nutzt die Autorin ihre beiden Hauptdarstellerinnen, um einerseits zu beschreiben, wie die Fossilienfunde die damals traditionelle Sicht über die Entstehung der Erde und ihrer Geschöpfe veränderte. Andererseits erzählt Chevalier fast im Stil einer Jane Austen, wie man damals lebte, welche Rolle Frauen in der Gesellschaft zugedacht war, wie sich die Familie Anning aus der Armut herausschuftete und die Schwestern Philpot bei einem gewissen Wohlstand – aber ohne Ehemänner – im Dorf zurecht kamen. So ist dieser Roman zugleich ein wissenschaftshistorisches Werk wie auch ein Sittengemälde der damaligen Zeit.

Mary Anning verdiente sich mit dem Sammeln von Fossilien ihren Lebensunterhalt und schaffte es durch deren Verkauf zu einem bescheidenen Wohlstand. Fossilien gab und gibt es an der Küste zuhauf. Damals wie heute wandern Besucher und Touristen entlang der Kliffs, den Blick fest auf den Boden gerichtet, um versteinerte Ammoniten oder Seesterne zu entdecken. Tatsächlich liegen die auch heute noch an der Küste offen herum.

Entsprechend der Gepflogenheiten im 19. Jahrhundert durften selbstverständlich weder Anning, noch Philpot, die sich auf Fischfossilien spezialisiert hatte, einer wissenschaftlichen Organisation beitreten oder wissenschaftliche Beschreibungen über ihre Funde veröffentlichen. Dies blieb den Herren überlassen, wie Chevalier eindrücklich beschreibt. Doch wenigstens gegen Ende ihres Lebens wurden Anning wissenschaftliche Ehren zuteil. 1838 wurde sie Mitglied der „British Association for the Advancement of Science“, 1846 Ehrenmitglied des damals neuen „Dorset County Museums“ der „Geological Society of London“. Am 9. März 1847 starb Mary Anning in Lyme Regis an Brustkrebs.

Ein Buch, das man so schnell nicht wieder aus der Hand legt.


Letzte Änderungen: 23.02.2011