Editorial

Buchbesprechung

Klaus Reinhardt





Hannes Sprado:
Verfressen, sauschnell, unkaputtbar – das phantastische Leben der Kakerlaken.

Taschenbuch: 192 Seiten
Verlag: Ullstein Taschenbuch (17. Februar 2012)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3548374131
ISBN-13: 978-3548374130
Preis: 8,99 EUR

Ein Sachbuch, das seine Leser nicht zu unterhalten vermag, ist überflüssig. Doch die Fakten sollten schon stimmen – und daran hapert es im vorliegenden Fall ganz gewaltig.

Hannes (oder auch Hans-Hermann) Sprado, ein Krimiautor, der sich laut Klappentext „seit langem mit populärwissenschaftlichen Themen beschäftigt“, beginnt mit der Beschreibung eines mehrfach missglückten Versuches, eine Schabe in seinem Hotelzimmer zu zertreten. Es sei die erste Kakerlake gewesen, die Sprado je zu sehen bekommen habe. Dies deutet auf ein abgeschiedenes Leben hin, immerhin ist er Jahrgang 1956. Im späteren Leben und im Hauptberuf war Sprado dann unter anderem Redakteur bei Bild und bei Bunte sowie Chefredakteur beim P.M.-Magazin.

Sprado erklärt anhand von Schaben zunächst einfach und einprägsam die verschiedenen Formen der Brutpflege oder der chemischen Kommunikation, die evolutionäre Funktion des Ekels beim Menschen, die biologische Uhr oder auch sauerstoffbedingten Gigantismus von Insekten früherer Erdzeitalter. Dafür gebührt ihm Lob. Seine anregende Schilderung der Leistungen des Schabengehirns lassen keine Langeweile aufkommen. Nebenbei erfuhr der Rezensent erstmals von Kakerlakenrennen in Berlin.


Eine derart schlampige Biografie hat Periplaneta americana nicht verdient! Foto: Gudrun Herzner/Uni Regensburg

Fakten variieren quer durchs Buch

Die Robotik scheint Sprados Steckenpferd zu sein, dazu sind mehrere Forschungsarbeiten zu lesenswerten Zusammenhängen verknüpft. Doch häufig gleitet Sprado in eine bloße Aneinanderreihung evolutionsbiologischer, physiologischer oder kulturgeschichtlicher Episoden ab; verstärkt noch durch eingestreute, grau unterlegte Boxen, deren Funktion und Abgrenzung vom restlichen Text meist unklar sind.

Die häufige Doppelerwähnung von Fakten ist ein regelrechtes Ärgernis, zumal von einem „Redakteur mehrerer Zeitschriften“ (Klappentext). Wiederholung mag die Mutter der Weisheit sein, aber es sollte damit nicht übertrieben werden. Die prinzipiell eingängige Erläuterung, wie Insektizidresistenz evolviert, oder auch Sprados Auslassungen zur Kakerlaken-Evolution verlieren ihren Glanz, wenn sie sich ein paar dutzend Seiten später wiederholen („Alle Gefahren, Epidemien und Krisen ihrer Vorfahren sind in der Datenbibliothek der Schabe gespeichert. Und deren Lösungen.“). Derartige Doppler nerven zusätzlich, wenn manche Fakten darin plötzlich variieren, zum Beispiel bei der Zahl der Insektenarten (Seite 13 beziehungsweise 50) oder der ersten schriftlichen Erwähnung der Schabe (Seite 82 beziehungsweise 147). Diese nicht gerade seltenen Schnitzer erzeugten auch Zweifel am Inhalt von Sprados Recherchen.

Legenden und Schnitzer

Die angebliche Verbreitung von SARS-Viren durch Schaben entpuppt sich bei näherem Besehen als bloße Meinung eines Hongkonger Beamten aus dem Jahre 2003, weithin von der Presse aufgegriffen und seitdem fest im Internet verankert. Dass sich keine Bestätigung dieser Aussage findet, sollte selbst Autoren stutzig machen, deren einziges Recherchemittel die Suchmaske von Google darstellt. Oder die Cerci (Hinterleibsanhänge) der Schaben, die empfindlich auf Luftbewegung reagieren: Sprado schreibt von einem Fortsatz und „das Cerci“ – es scheint, als habe er sich nie eine Schabe in einem Fachbuch angesehen.

Die humorvoll gewähnte Formulierung zu Kurt Harz, „eine erstklassige Adresse, wenn es um Kakerlakenkunde großen Stils geht“, ist im wörtlichen Sinne abgestanden, denn Harz ist bereits 1996 verstorben (was selbst in Wikipedia nachzulesen gewesen wäre). Ähnlich der Hinweis auf die angeblich seit 2006 publizierten Cockroach Studies der britischen Blattodea Culture Group: Dieses Fachmagazin existierte nur ganze zwei Jahre lang; die letzte Ausgabe erschien bereits 2007, was Sprado anscheinend nicht bemerkt hat.

Ein Lektorat durch eine entomologisch versierte Person hätte dem Buch gut getan.

Zweifelhafte Anekdotensammlung

Über weite Strecken ist das Buch eine hastig zusammengeschriebene, unterhalten-wollende und mit zahlreichen Mängeln behaftete Anekdotensammlung wissenschaftlicher Ergebnisse. Anspruchslosen Lesern mag das reichen. Der Rezensent jedoch stellt sich die Frage, wie weit die Bringschuld der Wissenschaft gehen muss, wenn die Holtätigkeit eines Sachbuchautors nur bis zu den Online-Ausgaben von Spiegel, GEO und FAZ reicht und notdürftig umformulierte Mythen („Schaben überleben als fast einzige Tiere einen Atomschlag“) in Buchformat abgedruckt werden.

Wer wenig über Schaben weiß und die vielen Ungereimtheiten ignorieren mag, wird Sprados Buch unterhaltsam und wissenswert finden, besonders das mit „Anatomie“ überschriebene Kapitel zur Biologie der Krabbelviecher. Ein „Thriller“, wie Sprado sein Werk ankündigt, ist es aber keineswegs. Legt man die Messlatte des Autors an, so müssen die von ihm verfassten Kriminalromane stinklangweilig sein.

Wer sich wirklich näher für Kakerlaken interessiert, der möge zu einem anderen Buch greifen: zu Cockroach von Marion Copeland (Reaktion Books, 2004). Frau Copeland ist zwar auch keine Fachfrau (sie ist emeritierte Englischprofessorin), dafür aber hat das, was sie schreibt, Hand und Fuß.




Letzte Änderungen: 11.05.2013