Buchbesprechung

Darja Henseler

Editorial

Theodore Brown, Eugene LeMay & Bruce Bursten:
Chemie. Studieren kompakt.

Gebundene Ausgabe: 1040 Seiten
Verlag: Pearson Studium; Auflage: 10., aktualisierte Auflage (22. August 2011)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3868941223
ISBN-13: 978-3868941227
Preis: 59,95 EUR

Editorial
Chemie für Skeptiker

Chemie im Nebenfach ist noch immer keine Lappalie, doch wenigstens werden die Lehrbücher besser.

Alle Jahre aufs Neue klagt die nächste Generation hoffnungsvoller Jungbiologen, wieso sie sich im Studium ausgerechnet mit der unbelebten – nicht nur deswegen auch weithin unbeliebten – Chemie herumschlagen soll. Weite Teile der Chemie sind trocken wie Wüstensand, keine Frage. Selbst Laborjournal-Redakteur Harald Zähringer, ein Vollblutchemiker reinsten Wassers, stellt sich bis heute immer wieder mal die Sinnfrage.

Sowohl ihm als auch den allermeisten, mit Hauptquantenzahlen, Elektronegativitäten und Titrationsanalysen gequälten Vordiplomsstudenten kann ein Buch helfen, dessen äußerer Umfang zunächst abschreckend wirkt: Chemie − Studieren kompakt. Ist die Wissenschaft vom Aufbau, den Eigenschaften und der Umwandlung von Stoffen etwa doch spannender als ihr Ruf?


Früher war mehr Platz: Chemielabor anno 1669 ... (Bild: Joseph Wright of Derby)
Übergeordnete Muster

Die drei Autoren, allesamt Amerikaner, haben es mit Mustern und grundlegenden Prinzipen. Aus gutem Grund, denn gerade in der Chemie finden sich viele Prozesse und Vorgänge, die sich verallgemeinern und dadurch leichter verstehen lassen. Schnell stellt sich daher bei der Lektüre ein sicheres Gefühl für Zusammenhänge ein.

Das Buch ist in 22 Kapitel zu je 40 bis 50 Seiten einigermaßen überschaubar geglie­dert. Nach einem Kurzüberblick über die abgehandelten Themen folgt jeweils der Haupttext − gespickt zum einen durch farbige Boxen mit Übungsbeispielen, zum anderen mit erklärenden Bildern. Eine kurze Zusammenfassung am Ende des Kapitels mit verschiedenen Verständnisfragen zeigt, ob die besprochenen Konzepte verstanden wurden. Die Materie wird ausführlich erklärt und immer wieder mit Beispielen aus dem Alltag illustriert. Allerdings stammen diese größtenteils aus den USA und erscheinen hiesigen Lesern somit gelegentlich leicht merkwürdig – etwa wenn Kohlekraftwerke als größte nicht natürliche Quelle von Quecksilber angeführt werden; wenn der hierzulande unbekannte Softdrink „Seven-Up“ als Beispiel dafür dienen muss, welche Lebensmittel bis Anfang der 1950er Jahre Lithium enthielten; oder wenn saurer Regen eine Statue aus Chicago ramponiert.

Auch die Grafiken sind teils veraltet, etwa die der pH-Werte der Süßwasserquellen in den USA (von 2001) und die zur atmosphärischen CO2-Konzentration (endend im Jahr 2003 bei einem Stand von 375 ppm; längst hat dieser Wert jedoch 394 ppm, in der Arktis sogar schon die 400er-Schwelle überschritten).


... und 2013 (Foto: Hochschule Weihenstephan-Triesdorf)

Teils veraltete Darstellungen

Die ersten fünf Kapitel bieten eine gute Einführung in die Grundlagen der Chemie und erleichtern den Einstieg in die Materie, auch wenn (oder gerade weil) sie im Grunde eine Wiederholung des in der schulischen Oberstufe Gelernten darstellen. Kapitel 6 bis Kapitel 9 dienen ebenfalls dem Grundverständnis für Chemie; besonders die Besprechung der Atomorbitale, Elektronenkonfigurationen und des Periodensystems unter Gesichtspunkten der Gruppentendenzen (Atomradius, Ionisierungsenergie, Elektronenaffinität etc.) sind lesenswert.

Danach verliert sich das Buch in verschiedene Teildisziplinen der Chemie, die für den einen oder anderen interessant sein können, aber für das Studium nur bedingt von Relevanz sind (zum Beispiel Gase, Kinetik, Umweltchemie, Thermodynamik). Gerade die Sektion Gase/Thermodynamik ist sehr physiklastig. Studienrelevanter sind die Kapitel zum Thema „Säure-Base-Gleichgewichte“ und „Weitere Aspekte von Gleichgewichten in wässriger Lösung“. Kapitel 20 schließt sich dann wieder an die ersten Kapitel an und geht unter anderem auf Oxidationszahlen und Redoxgleichungen ein. Kapitel 21 behandelt die Chemie der Nichtmetalle, und das letzte Kapitel behandelt Metallkomplexe, Liganden und Chelatbildner und geht kurz auf Isomerie, Magnetismus und Kristallfeldtheorie ein.

Das Pearson-Dickschiff liefert eine gute Einführung in die allgemeine Chemie. Der Lehrstoff wird didaktisch gut vermittelt; der klare, gut strukturierte Aufbau und immer wieder anwendungs- und alltagsbezogene Beispiele animieren, sich mit der Materie zu beschäftigen. Dass das Papier dünn ist und somit die Abbildungen etwas durchscheinen, stören etwas; andererseits macht dies den Wälzer mit seinen mehr als tausend Seiten handlich.

Gute allgemeine Einführung

Das Buch ist für alle Studenten, die sich mit Chemie schwertun, ein guter Einstieg. Auch Dozenten, die auf der Suche nach Ideen sind, wie sie ihren Stoff anschaulich vermitteln, finden jede Menge Anregungen. Trotz seines Umfangs jedoch reicht es als alleinige Lektüre fürs Biologie-Grundstudium wohl nicht aus, da die organische Chemie eher dünn gesät ist (das einzige Kapitel, welches sich explizit damit beschäftigt, findet sich als eines von drei ausschließlich digitalen Bonuskapiteln auf der Homepage des Verlags).

Ihr Vorurteils-behaftetes Bild von der Chemie sollten Sie jedenfalls schon jetzt revidieren; sie hat es nicht verdient! Immerhin waren und sind Berühmtheiten wie der Anibabypillen-Erfinder Djerassi, der Friedensnobelpreisträger Pauling, der Medizinerrebell Paracelsus, der Backpulver-Erfinder von Liebig, der Mikrobenforscher Pasteur und selbst der amtierende Papst Franziskus vor allem eines: Chemiker.



Letzte Änderungen: 11.06.2013