Buchbesprechung

Winfried Köppelle

Editorial

Bernhard Siegmund & Ute Fischer:
Borreliose-Jahrbuch 2015

Taschenbuch: 136 Seiten
Verlag: Books on Demand; Auflage: 2 (4. Dezember 2014)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3735777538
ISBN-13: 978-3735777539
Preis: 12,90 Euro (Softcover), 7,49 Euro (Kindle Edition)

Editorial

Bernt-Dieter Huismans:
Die kleine Diagnostik-Therapie-Fibel bei Borrelien

Taschenbuch: 36 Seiten
Verlag: Grin Verlag Gmbh (28. November 2014)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3656824118
ISBN-13: 978-3656824114
Preis: 9,99 Euro (Softcover)


Bernt-Dieter Huismans & Wolfgang Klemann:
Antibiotika Langzeit-Therapie bei chronischer Lyme-Borreliose

Taschenbuch: 44 Seiten
Verlag: Bachelor + Master Publishing (14. Februar 2014)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3956842588
ISBN-13: 978-3956842580
Preis: 24,99 Euro (Softcover)

Im Ungewissen

Literatur über Borreliose ist entweder vergriffen oder uralt, und die wenigen Neuerscheinungen sind oftmals obskur.

Wenn Sie jetzt im Frühsommer wieder nach draußen gehen zum Botanisieren, Garteln oder Mountainbikefahren, dann lauern sie schon auf den Gräserspitzen: die Larven, Nymphen und Adulten aus der Ordnung der Ixodida alias Zecken. Deren bekanntester Vertreter ist der gemeine Holzbock (Ixodes ricinus) – speziell in Brandenburg, Sachsen und Bayern hochgradig mit Borrelien (Borrelia burgdorferi) verseucht und diese beim Blutsaugen an uns Menschen übertragend.

Gut, gegen den FSME-Virus kann man sich impfen lassen. Gegen Borreliose hingegen helfen nur eine möglichst frühzeitige, schonende Entfernung der Zecke sowie die Gabe von Antibiotika nach erfolgter (bakterieller) Infektion; eine Impfung gegen Borrelien ist bis heute nicht erhältlich. Seltsam: Bereits 1997 stand ein von deutschen Forschern (Markus Simon, Rainer Wallich und Michael Kramer) entwickelter Impfstoff zur Verfügung. Dass er jäh vom Markt verschwand, ist ein Skandal für sich, beschrieben in Laborjournal 6/2004: „Das verhinderte Vakzin“ (Seite 54).


Saugende Zecke. Foto: Navaho

Keine Lappalie, aber viele Eingebildete

Borreliose ist keine Lappalie; unbehandelt befallen die Bakterien sporadisch die Haut, das Nervensystem und die Gelenke und können ernste Komplikationen hervorrufen (Lähmungen der Hirnnerven, Seh- und Hörstörungen, Herz- und Gelenkentzündungen). Glücklicherweise erkrankt nicht jeder, den eine Zecke sticht; die Ausbildung von Symptomen ist sogar recht selten: Bei etwa fünf Prozent der Personen, die von einer Zecke gestochen worden sind, tritt laut Robert-Koch-Institut (RKI) eine Borrelien-Infektion auf (charakterisiert durch die sogenannte Serokonversion, also das Auftreten von Antikörpern im Blut) und wiederum nur rund ein Prozent der Infizierten würden Krankheitssymptome entwickeln. Das wären dann aber immer noch etwa 800 bis 2.000 Patienten jährlich, denn je nach Studie wird die Zahl der Neu­infektionen allein in Deutschland auf 80.000 bis weit über 200.000 pro Jahr geschätzt. Die allermeisten Erkrankungen wiederum nehmen laut RKI einen milden Verlauf („Wanderröte“, siehe unten) und sind mit Antibiotika gut behandelbar.

Bloß mit welchen und wie lange, in welchen Abständen und Dosierungen? Soll eine Borreliose-Behandlung zwei bis vier Wochen dauern, gemäß dem Konsens innerhalb der deutschen medizinischen Gesellschaften, oder müssen die Anti­biotika viele Monate oder gar Jahre verabreicht werden, wie die nicht als Fachgesellschaft anerkannte Deutsche Borre­liose-Gesellschaft (DBG) fordert?

Antibiotika ja – aber wie?

In den Wartezimmer-Faltblättern der Allgemeinärzte und den Schaufenstern der Apotheken ist die Zecke und die Warnung vor FSME und Borreliose allgegenwärtig, doch in Sachen Therapie scheinen die Herren Mediziner und auch die Wissenschaftler auf der Stelle zu treten: Nirgendwo existiert ein wissenschaftlicher Konsens, nirgendwo ist man sich über die Handlungsweise nach einer Borreliosediagnose einig, und so kursieren je nach Arzt die unterschiedlichsten Behandlungsstrategien. Seriöse Langzeitstudien, in denen die gebräuchlichsten Konzepte an einer hohen Probandenzahl doppelblind verglichen werden? Gibt es nicht. Dafür jede Menge Scharlatane, die den Patienten ihre ganz individuellen Heilversprechen aufschwätzen. Einige davon sind unter dem Dach der Deutschen Borreliose-Gesellschaft (DBG) organisiert – einem seltsamen Verein mit einem noch seltsameren 1. Vorsitzenden, der in seiner Arztpraxis pseudomedizinischen Humbug wie Homöopathie und Holopathie anbietet.

Nicht alles, was dieser Verein treibt, ist jedoch Humbug; die folgende, aus den „Leitlinien der DBG zur Diagnostik und Therapie der Lyme-Borreliose“ stammende Passage ist sicherlich zutreffend:

Die wissenschaftliche Basis für die antibiotische Behandlung der (Borreliose) ist (...) immer noch unzureichend. Die erheblichen Defizite der wissenschaftlich-klinischen Analyse spiegeln sich in therapeutischen Leitlinien wider, deren (...) Evidenzbasis deutlich begrenzt (ist) und den Anforderungen unter medizinischen (...) Aspekten nicht genügt.

Schon die korrekte Diagnose einer Borreliose ist ein Problem. Die Liste der klinischen Störungen, die der Borreliose zugeordnet werden, ist beinahe endlos; doch nur ein einziges Symptom ist, selbst ohne Labordiagnostik, spezifisch genug für eine sichere Diagnose: die sogenannte Wanderröte (Erythema migrans) – ein geröteter Haut­ausschlag, der sich frühestens sieben Tage nach dem Zeckenstich auf der Körperoberfläche ausbreitet.

Alle anderen gerne von Patienten ins Feld geführten Symptome, etwa Schmerzen ohne mechanische Ursache, wiederkehrende Arthritis, Kopfschmerzen, Fatigue oder kognitive Schwierigkeiten können durch Borrelien hervorgerufen sein. Sie können aber auch ganz andere Ursachen haben.

Als Biologe beziehungsweise Mediziner würde man sich gerne einen Überblick über den aktuellen Stand der Borrelioseforschung verschaffen: Wie steht‘s um einen Impfstoff? Welche Therapieansätze sind seriös, welche experimentell, welche abstrus? Was weiß man über die Borrelien-Verbreitung in Mitteleuropa?


Foto: André Karwath
Aktuelle Literatur? Fehlanzeige.

Will man zur Klärung dieser Fragen nicht tagelang die Medline durchforsten und anschließend schwer verständliche Fachartikel wälzen, so böte sich ein gutes Lehrbuch an. Doch diesbezüglich sieht es zappenduster aus. In den Verlagskatalogen findet sich zwar manch esoterischer Bull­shit, erdichtet zum Beispiel vom „Ethnobotaniker“ Wolf-Dieter Storl (Borreliose natürlich heilen). Dieser Zeitgenosse ähnelt einer verschärften Version von Heidis Alp-Öhi und schwadroniert gerne von den „Gruppenseelen der Bakterien“, dem „syphilitischen Miasma Hahnemanns“, über das „Ende des Antibiotika-Zeitalters“ und andere Hirngespinste überspannter Naturheilkundler.

Ein halbwegs aktuelles, seriöses Standardwerk zur Borreliose hingegen? Fehlanzeige. Als der Rezensent zum Beispiel beim Springer-Verlag wegen einer Neuauflage von Wolfgang Kristoferitschs Neuropathien bei Lyme-Borreliose (erschienen 1989) anfragte, erhielt er zur Antwort: Gibt es nicht! Lediglich ein dünnes Taschenbüchlein namens Borreliose-Jahrbuch 2015 sowie zwei noch viel dünnere Heftchen waren die magere Ausbeute nach stundenlangem Recherchieren nach Borreliose-Fachliteratur. Wobei, Fachliteratur? Diese drei sind, zumindest teilweise, höchst fragwürdig.

Das Borreliose-Jahrbuch 2015, herausgegeben von Ute Fischer und Bernhard Siegmund, ist untertitelt mit „ungefiltert, erschütternd, wissenswert“. Wir erfahren, dass „Antibiotika doch dick machen“; dass eine obst- und gemüsereiche Diät und sorgfältiges Kauen – alternativ auch Dauerbrausen, Leberwickel und Fußreflexzonenmassagen – genauso gut gegen Borreliose wirken wie Antibiotika (aber viel billiger seien!). Wir lesen, dass Journalisten den gemeinen Holzbock nicht von der „Dermacentor-Zecke“ unterscheiden können und sowieso größtenteils unfähig sind, genauso wie die obrigkeitstreuen Mitarbeiter des RKI. Immer wieder erwähnen die Autoren eine mysteriöse „Anti-Borreliose-Lobby“, die offenbar alles daransetzt, die notleidenden Patienten für dumm zu verkaufen, ihnen nicht-wirkende Therapien anzudrehen und sie als Hypochonder abzuwimmeln (was sich diese geheimnisvolle „Lobby“ davon verspricht, wird nicht thematisiert); und ein TCM-Arzt aus der Oberpfalz propagiert unwidersprochen, dass Akupunktur, Kräuter und Achtsamkeitsmeditation „effektiv gegen Borreliose wirksam“ seien, Antibiotika hingegen nicht.

Dauerbrausen gegen Borreliose

Es fällt somit schwer, das im Borreliose-Jahrbuch 2015 dargebotene Potpourri aus wenig Fakten, viel Halbwissen und noch mehr Polemik ernstzunehmen, zumal das Layout grauenhaft-schülerzeitungsmäßig ist und die Abstracts mutmaßlich seriöser, aktueller Fachartikel direkt neben allerlei verschwörungs­theoretischem Nonsens abgedruckt sind. Die Chancen stehen übrigens gut, dass Laborjournal im nächsten „Jahrbuch 2016“ an prominenter Stelle erwähnt wird: Wer anderer Meinung als die Autoren ist, wird von diesen als „dumm“ abgewatscht; im vorliegenden Jahrbuch waren dies: eine „mediengeile Parasitologin“ ohne Namen, sämtliche RKI-Mitarbeiter sowie Kollegen von der DPA, dem Spiegel, der Süddeutschen Zeitung und ganz vielen anderen Journalisten, die nach Meinung der Jahrbuch-Autoren regelmäßig „Schrott mit Soße“ über die Borreliose verbreiten.

Kommen wir am Ende noch zu zwei dünnen Heftchen, herausgegeben von dem Crailsheimer Internisten Bernt-Dieter Huismans, teils in Zusammenarbeit mit seinem Pforzheimer Kollegen Wolfgang Klemann. Sie sind untertitelt mit „Wissenschaftliche Studie“ beziehungsweise „Wissenschaftlicher Aufsatz“ und als „Books on Demand“ erschienen.

Die kleine Diagnostik-Therapie-Fibel versammelt auf netto knapp 20 Seiten all das, was Huismans in punkto Borreliose im Internet gefunden und als irgendwie „wichtig“ erachtet hat. In der dargebotenen Form (Internet-Links, abgedruckt auf Papier) mag das Heftchen dem einen oder anderen anspruchslosen Arzt in der täglichen Praxis als schnelles Nachschlagewerk ausreichen. Für alle anderen ist es unbrauchbar.

Langzeitbehandlung studiert

Antibiotika Langzeit-Therapie bei chronischer Lyme-Borreliose ist die Niederschrift einer verblindeten Anwendungsbeobachtung an 90 Borreliose-Patienten, die sich nach der leitlinien­konformen, zwei- bis dreiwöchigen Antibiotikatherapie weiterhin krank fühlten. Die Autoren, so schreiben sie, hätten mittels PCR in den Körpern dieser Patienten Borrelien-DNA nachgewiesen; die Standard-Behandlung hatte bei ihnen also nicht funktioniert. Huis­mans und Klemann verabreichten allen 90 daraufhin zunächst ein halbes Jahr lang erneut Antibiotika, später „in Intervallen streng an den Symptomen der Patienten orientiert“. 34 Patienten seien hinterher dauerhaft symptomfrei gewesen; 51 hätten sich „wesentlich besser“ gefühlt; bei den restlichen 5 habe auch die Langzeitgabe von Antibiotika nichts gebracht: Sie waren offenbar therapieresistent. Dennoch: ein bemerkenswerter Erfolg bei scheinbar „unheilbar“ Borreliosekranken.

Einen gravierenden Mangel hat diese Anwendungsbeobachtung allerdings: Warum haben die Autoren, zumindest bei den 34 „geheilten“ Patienten, nicht auch hinterher nach Borrelien-DNA Ausschau gehalten? Ohne eine solche Verifizierung der Abwesenheit der Erreger ist die Studie nur die Hälfte wert.




Letzte Änderungen: 02.06.2015