Editorial

Buchbesprechung

Patrick Marcinek




Werner Müller:
Lebenswelt Meer. Reportagen aus der Meeresbiologie und Vorstellungen über die Entstehung des Lebens

Taschenbuch: 268 Seiten
Verlag: Springer (7. Oktober 2016)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3662528517
ISBN-13: 978-3662528518
Preis: 24,99 Euro (Taschenbuch), 15,76 Euro (Kindle Edition)

Das nasse Element

Wer sich im nächsten Urlaub am Meer wirklich erholen möchte, sollte sein Wischkästchen zuhause lassen und lieber dieses Buch hier ins Gepäck stecken.


Foto: Brocken Inaglory

Gehen Sie gerne auf Wattwanderungen? Fasziniert Sie der Ozean und seine unzähligen Biotope? Sind Sie auf der Suche nach einem handlichen wissenschaftlichen Führer, der Ihnen im nächsten Strandurlaub erklärt, warum manche der Tiere im Wasser so merkwürdige Formen haben? Dann ist Lebenswelt Meer von Werner Müller das Buch für Sie!

Müller ist emeritierter Professor der Physiologie und Entwicklungsbiologie und hat einen großen Teil seiner fast dreißig Jahre als Leiter des Instituts für Zoologie Heidelberg auch meeresbiologisch gearbeitet. Zudem ist er Herausgeber der Lehrbücher Tier- und Humanphysiologie (besprochen in Laborjournal 6/2016) sowie Entwicklungsbiologie, beide inzwischen in fünfter Auflage nachgedruckt. Müllers Erfahrung, sowohl wissenschaftlich als auch publizistisch, ist auch an seinem jüngsten Werk deutlich erkennbar. Die Überschriften wecken Interesse, und jedes Kapitel beginnt mit einer kurzen Zusammenfassung des Folgenden, die stets Lust auf mehr macht. Die Fotografien sind hochwertig, und die Abbildungen verleihen dem Geschriebenen einen deutlichen Mehrwert. Dieser wird regelmäßig durch diverse sprachliche Perlen weiter veredelt, wie etwa folgendermaßen:

Die Evolution ist eine zielblinde Künstlerin, die aufs Geratewohl Baupläne abändert, aber in ihrem Spieltrieb von den vorhandenen [...] ausgehen muss.

Der Inhalt von Lebenswelt Meer besticht durch seinen thematischen Umfang. Das Buch wird auf dem Umschlag als Begleiter für Wattwanderungen, Urlaub am Meer, Besuch im Aquarium und so weiter angepriesen. Und in der Tat, es gibt wohl kaum eine Tätigkeit mit Bezug zum Meer, die sich nicht, wissenschaftlich fundiert, durch ein oder zwei Kapitel aus diesem sehr handlichen Buch aufwerten ließe.

Allerdings ergibt sich hieraus auch der erste kleinere Kritikpunkt: Manchmal dürfte der Inhalt für Laien zu dicht sein, für Leser mit Vorkenntnissen aber vielleicht nicht tiefgreifend genug. Ein gutes Beispiel hierfür ist die „Laterne des Aristoteles“. Der poetisch benannte Kauapparat von Stachelhäutern wie Seeigel und Seestern wird mit einem komplexen Schaubild beschrieben, das auch gut in ein Lehrbuch zur Meeresbiologie passen würde. Einerseits dürften Beschriftungen wie „Pedicellarie“ oder „Ambulacralfüße“ auf die wattwandernde Familie eher abschreckend wirken. Andererseits beschreibt Müller kaum bis gar nicht, wie dieser Kauapparat aufgebaut ist und wie er funktioniert, was sein Buch wiederum für Leute mit wissenschaftlichen Vorkenntnissen eher enttäuschend macht. Beispiele wie dieses lassen den Rezensenten die Zielgruppe von Lebenswelt Meer unter den passionierten Laien, die sich ein wissenschaftlich fundamentiertes Wissen anlesen wollen, einordnen.

Zielgruppe: Passionierte Laien

All jene, die in diese Zielgruppe fallen, kommen jedoch auf ihre Kosten. Dem Rezensenten etwa haben es insbesondere die Kapitel vier und dreizehn angetan. Ersteres beschäftigt sich dem Phänomen „Schall im Meer“ und wie die moderne Öl-Erschließung diesen beeinflusst. Es ist schlichtweg faszinierend, wie laut es unter Wasser sein kann! Und wie hell, denn Kapitel dreizehn befasst sich mit dem Thema „Biogenes Licht“. Sei es zur Kommunikation, zum Beutefang oder sogar zur Tarnung; es erstaunt, wie vielseitig einsetzbar Licht in einer Umgebung sein kann, die so außerordentlich arm daran ist.

Leider sticht gerade das letzte Kapitel, „Vorstellungen über die Entstehung des Lebens auf der Erde“ im negativen Sinne hervor. Es scheint etwas abgesetzt vom Rest des Buches, die einzige Verknüpfung ist eben das Meer als Ursprung des Lebens. Das Kapitel liest sich ein wenig trocken und gleicht mehr einer Aufzählung des aktuellen Wissensstands, statt diesen in einen interessanten gemeinsamen Kontext zu bringen. Zudem fehlt eine einfache Erklärung dafür, was RNA denn genau ist, und was sie von der gemeinhin bekannteren DNA, jenseits der Verwendung von Uracil statt Thymin, unterscheidet. Die Intention dieses letzten Teils des Buches ist klar: Ein sehr komplexes Thema soll einem Laienpublikum möglichst verständlich nähergebracht werden. Leider reichen sechzehn Seiten und drei Abbildungen dafür nicht annähernd aus, und Leser ohne Vorkenntnisse dürften mit mehr Fragen zurückgelassen werden, als sie beantwortet bekommen.

Fazit: Unterhaltsame Urlaubslektüre

Trotzdem, Werner Müllers Lebenswelt Meer ist eine unterhaltsame Einführung in das sehr komplexe Thema Meeresbiologie. Insbesondere die ersten Kapitel – in denen dem Leser das Thema über das Konzept Strandurlaub nahegebracht wird – sind thematisch attraktiv gestaltet. Die leichte Sprache und die einfach, jedoch informativ gestalteten Abbildungen führen problemlos in die Materie ein, zu der man sich bei Interesse dann andernorts noch umfassender informieren kann. Der Rezensent jedenfalls wird das Buch beim nächsten Strandurlaub auf jeden Fall dabei haben.




Letzte Änderungen: 29.03.2017