Editorial

Buchbesprechung

Daniel Weber





James Lovelock:
Gaias Rache. Warum die Erde sich wehrt
(im Original: The Revenge of Gaia: Why the Earth is Fighting Back − and How We Can Still Save Humanity.)

Taschenbuch: 256 Seiten
Verlag: Ullstein Taschenbuch (12. Juni 2008)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3548372104
ISBN-13: 978-3548372105
Preis: Gebraucht ab ca. 1 Euro (gebundene Ausgabe und Taschenbuch)

Klassiker der Wissenschaftsliteratur (11): Gaias Rache. Warum die Erde sich wehrt
Atomkraft – Ja bitte?

Es gereicht einem Wissenschaftler nicht zur Ehre, wenn er permanent unliebsame Fakten ausblendet, um sein theoretisches Gedankengebäude nicht zu gefährden.


Der britische Chemiker, Mediziner, Biophysiker und Geräte-Entwickler James Lovelock wurde als Erfinder der umstrittenen „Gaia-­Hypothese“ zur Physiologie der Erde bekannt. Foto: Bruno Comby

James Lovelock, geboren 1919, ist ein britischer Chemiker mit Publikationen in Science und Nature. 1957, also bereits vor einem halben Jahrhundert, hat er den sogenannten „Elektroneneinfangdetektor“ (ECD) entwickelt; in Kombination mit der Gaschromato­graphie wird dieser zum Nachweis schwefelhaltiger, nitrierter und halogenierter Verbindungen wie PCB oder DDT eingesetzt. Der Allgemeinheit eher bekannt ist Lovelock durch die zusammen mit Lynn Margulis Ende der 1960er-Jahre entwickelte Gaia-Theorie (The Quest for Gaia, New Scientist, 6. Februar 1975, zusammen mit Sidney Epton). Diese besagt, dass die Erde („Gaia“) ein sich selbst regulierendes System ist, das aus der Gesamtheit der Organismen, Oberfläche und Atmosphäre besteht. Durch die globale Klimaerwärmung, erzeugt durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe und den damit verbundenen Kohlendioxid-Ausstoß, sei Gaia nun aber bedroht und stehe vor dem Untergang.

In seinem 2006 erstmals erschienenen Klassiker Gaias Rache − Warum die Erde sich wehrt möchte Lovelock Wege aus der Klimakatstrophe aufzeigen. Dazu stellt er bereits im ersten Kapitel wiederholt die seiner Ansicht nach einzige Lösung vor: die Kernenergie. Im gesamten Buch preist er ausführlich und unkritisch deren Vorteile, ohne auf die unbestreitbaren Pferdefüße einzugehen. Erneuerbare Energien als Alternativen zur Rettung der Erde umreißt Lovelock hingegen nur kurz. Er stellt dabei stets eindringlich deren Unzulänglichkeiten in den Vordergrund, um sie abschließend zu verwerfen. Dies erfolgt in der Regel mit dem Verweis darauf, dass die Technik noch nicht weit genug entwickelt sei.

Hierzu sei angemerkt: Zum Zeitpunkt des Erscheinens von Gaias Rache, 2006, betrug die Nennleistung aller in Deutschland installierten Photovoltaikanlagen immerhin bereits knapp drei Gigawatt, die aller Atomkraftwerke zusammen rund 20 Gigawatt. Heute, zehn Jahre später, hat sich dieses Verhältnis sogar umgekehrt (Solarstromkapazität: 41 GW; Kernkraft: 11 GW).

Einseitige Sichtweise...

Die einerseits fehlende Vorstellungskraft des Autors bezüglich des technischen Fortschritts kommt immer wieder zum Vorschein, wenn er ausschweifend über Sonnenschutzschilde im Weltall und synthetisch erzeugtes Essen fabuliert, deren Realisierung für ihn weitaus weniger problematisch zu sein scheint. Diese janus­köpfige Argumentation zieht sich wie ein roter Faden durch Lovelocks Buch. Mag derlei schlicht ärgerlich sein, ist es hingegen unentschuldbar, dass Lovelock oft mit nachweislich fehlerhaften Informationen argumentiert. So seien in Folge der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl nur 75 Personen gestorben. Es gibt zwar bis heute keine endgültig valide Anzahl der Todesopfer − doch muss man als Kernenergie-Befürworter keineswegs Alexej Yablokow bemühen, der in seiner Studie 2009 von mehreren hunderttausend Toten ausgeht; selbst konservative Quellen wie Elizabeth Cardis schätzten bereits 1996 auf der Internationalen Tschernobyl-Konferenz die Zahl der Todesopfer auf rund 9.000. Das ist eine um den Faktor 120 höhere Zahl als die von Lovelock angegebene, die aber unerwähnt bleibt. Es spricht nicht gerade für Lovelocks Seriosität, dass er für seine Beweisführung unpassende Argumente verschweigt.

Auch schreibt er, dass rund um das zerstörte Atomkraftwerk blühende Landschaften entstanden seien. Hier bedient sich der Autor einer weit verbreiteten Meinung, die aber dadurch nicht richtiger wird. So zeigte Anders Møller 2007 in einer Studie an Waldvögeln, dass mit steigendem Strahlungs­niveau Artenvielfalt und Populationsdichte deutlich sinken (Biology Letters 3(5): 483). Eine derart kritiklose Übernahme moderner Mythen verwundert gerade bei Lovelock, der ja ein seriöser Wissenschaftler sein möchte.

Kopfschüttelnd liest man weiter, dass radioaktiver Abfall keine Gefahr darstelle und der Autor gerne bereit wäre, solchen in seinem Garten endzulagern. Der Rezensent weiß zwar nicht, was Lovelocks Frau zu diesem Vorschlag zu sagen hätte, aber als demnächst 98-jähriger Greis braucht sich der Honorary Visiting Fellow am Green Templeton College der Universität Oxford mit Sicherheit nicht um die Spätfolgen einer radioaktiven Verstrahlung zu kümmern.

... erstickt jedes Lesevergnügen

Sie ahnen es vermutlich längst: Dem Rezensenten gingen die durchweg einseitige Argumentation und die wider besseres Wissen aufgeführten fehlerhaften Informationen gewaltig auf die Nerven. Damit untergräbt man als namhafter Wissenschaftler nachhaltig die eigene Glaubwürdigkeit. Das gesamte Buch geriet daher zu einem zwiespältigen Lesevergnügen. Zwar versteht es Lovelock, sich klar auszudrücken und Zusammenhänge gut aufzuarbeiten, andererseits betet der Autor sein Kernen­ergie-Mantra so stupide herunter, dass man sich an das legendäre Plädoyer Jürgen Großmanns, des Vorstandvorsitzenden von RWE, gegen die Abschaltung der Kernkraftwerke erinnert fühlt. Lovelock hat aufgrund seiner geschliffenen Sprache eindeutig das Potential, populärwissenschaftliche Bücher zu schreiben. Der Rezensent wird dennoch künftig einen weiten Bogen um die Werke des Briten machen. Lieber verwendet er das Geld für den Zuschlag seines örtlichen Stromanbieters auf den Ökostromvertrag.




Letzte Änderungen: 29.03.2017