Editorial

Buchbesprechung

Darja Henseler




Andreas Stolz:
Extremophile Mikroorganismen: von der Anpassung zur Anwendung

Taschenbuch: 188 Seiten
Verlag: Springer Spektrum; Auflage: 1. Aufl. 2017 (19. März 2018)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3662555948
ISBN-13: 978-3662555941
Preis: 34,99 Euro (Taschenbuch)

Mikroorganismen extrem

Mikroorganismen sind wahre Anpassungskünstler – einige Beispiele stellt der Autor Andreas Stolz in seinem Lehrbuch vor, welches eine viel unterhaltsamere Lektüre ist, als anfangs angenommen.

Wie extrem dürfen Umgebungen und Umwelteinflüsse sein, dass Leben noch eine Chance hat? – Und welcher Nutzen lässt sich für uns aus diesen Anpassungen ziehen? Andreas Stolz, Mikrobiologe und Autor des Buches Extremophile Mikroorganismen: von der Anpassung zur Anwendung, gibt uns dazu Einblicke in die Welt der Mikroorganismen. Direkt zu Beginn stellt er klar, dass extreme Lebensräume relativ zu sehen sind: Während wir beispielsweise eine Umgebungstemperatur von achtzig Grad Celsius als extrem warm bezeichnen, würde ein Organismus, der an diese hohen Temperaturen angepasst ist, unsere durchschnittliche Temperatur als extrem kalt empfinden.

Von hyperthermophil bis psychrophil, von acidophil bis alkaliphil und von halophil und piezophil bis hin zu Strahlungsresistenz; jedem dieser Gebiete wird ein eigenes kleines Kapitel gewidmet. Die Kapitel sind derweil alle gleich strukturiert. Das vereinfacht das Lesen und ist auch bei späterem Nachschlagen dienlich. Zunächst beschreibt der Autor in jedem Kapitel die jeweiligen Lebensräume. So erfährt der Leser beispielsweise, dass in der Tiefsee Hydrothermalquellen mit bis zu 350 Grad Celsius heißem Wasser existieren, die afrikanischen Sodaseen von allen alkalischen Biotopen am intensivsten untersucht werden und der Fluss „Rio Tinto“ in Spanien auf einer Länge von hundert Kilometern pH-Werte zwischen 1,5 und 2,1 aufweist. Ein Pluspunkt der Lektüre: Andreas Stolz zeigt auch entsprechende Farbfotos der extremen Lebensräume.

Direkt im Anschluss geht Stolz auf die Mikroorganismen ein. Dazu werden Archaea, Bakteria und Eukarya jeweils separat besprochen. Elektronenmikroskopische und lichtmikroskopische Aufnahmen lockern den Text zusätzlich auf. Besonders ins Auge fällt dabei ein salzliebendes Archaeon, das Haloquadratum walsbyi. Wie der Name schon vermuten lässt, ist es nicht nur salzliebend (halos = Salz), sondern auch quadratisch (quadratum = Quadrat). Eine ungewöhnliche Form, die allerdings zu einem hohen Oberflächen-Volumen-Verhältnis führt und damit die Nährstoffaufnahme aus dem nährstoffarmen Biotop begünstigen könnte – das ist zumindest die gängige Vermutung.

Zerstörte DNA nachbilden...

Auch wenn bei Weitem nicht alle Anpassungsstrategien geklärt sind, ist es doch spannend zu lesen, was sich die Natur so einfallen ließ. So gibt es beispielsweise eine mRNA, die indirekt als Thermometer fungiert. Diese mRNA codiert für ein Kälteschockprotein und ist bei kühleren Temperaturen stabiler als bei Körpertemperatur. Somit wird bei Kälte automatisch mehr des benötigten Kälteschockproteins synthetisiert.

Auch die hohe Reparaturfähigkeit von Deinococcus radiodurans ist bemerkenswert. Die Mikrobe überlebt eine Strahlungsdosis von mehr als 4000 Gray (für den Menschen ist bereits eine akute Ganzkörperbestrahlung über vier Gray tödlich). Nach einer vollständigen Zerstörung der DNA durch γ-Strahlung kann das Bakterium diese innerhalb von drei bis vier Stunden wieder komplett nachbilden.

Häufig sind die Mikroorganismen auch nicht nur an ein Extrem, sondern an eine Kombination von Extrembedingungen angepasst. Strahlungsresistente Bakterien wie Deinococcus radiodurans etwa sind häufig gleichzeitig recht unempfindlich gegen Austrocknung. Und einzellige rote Algen (Cyanidium caldarium und Galdiera sulphuraria) wachsen bei einem extrem sauren pH-Wert von 0,05 und sind gleichzeitig tolerant gegenüber einer erhöhten Salzkonzentration, hohen Temperaturen und sogar gegenüber lebensfeindlichen Schwermetallkonzentrationen.

Wie extrem die Lebensbedingungen tatsächlich sein dürfen, zeigen einzelne Beispiele: Nach dem derzeitigen Wissensstand können sich einzelne Mikroorganismen noch bei Temperaturen von -15 Grad Celsius (zum Beispiel Planococcus halocryophilus Or1) bis 122 Grad Celsius (zum Beispiel Methanopyrus kandleri) vermehren. Ebenso ist Wachstum in sehr saurem (etwa Cyanidium caldarium) und sehr basischen Milieu (etwa: Bacillis marmarensis bei pH 12,5) möglich. Und auch aus Salzlagerstätten, die durch die Austrocknung prähistorischer Meere entstanden sind, wurden noch lebensfähige, halophile Mikroben isoliert.

Doch es geht nicht nur um die Anpassung der Mikroorganismen. Das Interesse von Andreas Stolz liegt auch auf den potentiellen Nutzungsmöglichkeiten, der angepassten Mikroorganismen. Als Arbeitsgruppenleiter im Stuttgarter Institut für Mikroorganismen setzt er seinen Forschungsschwerpunkt auf die Gewinnung von „Wertstoffen“ aus Bakterien (L-Phenylalanin, L-Tryptophan et cetera), überwiegend aus genetisch modifizierten E. coli.

... und Gold gewinnen.

Gerade die Nutzung extremophiler Mikroorganismen ist für Labore und Großindustrie interessant: So wird beispielsweise bei der Herstellung lactosefreier Milch ß-Galactosidase aus einem psychrophilen (kälteliebenden) Bakterium verwendet. Dadurch hydrolisiert die Lactose bei niedrigen Temperaturen und es kommt nicht zu unerwünschten Geschmacksänderungen, die häufig nach Erwärmung auftreten. Stolz zählt viele der bereits existierenden industriellen Anwendungen auf. Darunter auch weniger bekannte Strategien, wie die Nutzung zur Goldgewinnung. Immerhin: Fünf Prozent des weltweit gewonnenen Goldes wird mithilfe der Bio-Oxidation durch thermophile oder acidophile und mesophile Mikroorganismen erzeugt.

Obwohl Extremophile Mikroorganismen: von der Anpassung zur Anwendung ein Lehrbuch ist, ist es eine unterhaltsame Lektüre – und das nicht nur für Mikrobiologen. Durch die recht kurzen Kapitel und Abschnitte erhält der Leser die Informationen in gut verdaulichen Häppchen. Zudem reiht Stolz nicht nur Wissen aneinander, sondern erklärt viele Sachverhalte, auch mithilfe von verständlichen, farbigen Abbildungen. Generell lockern die vielen Abbildungen und Fotos den Text auf. Besonders spannend fand die Rezensentin die elektronenmikroskopischen Aufnahmen der Bakterien und Archaeen, die man dann tatsächlich auch mal zu Gesicht bekommt.





Letzte Änderungen: 05.06.2018