Editorial

Buchbesprechung

Darja Henseler




Lynn Margulis:
Der symbiotische Planet oder: Wie die Evolution wirklich verlief

Gebundene Ausgabe: 208 Seiten
Verlag: Westend; Auflage: 1 (9. Februar 2018)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3864892104
ISBN-13: 978-3864892103
Preis: 20,– Euro (Hardcover), 15,99 Euro (eBook)

Das grundlegende Prinzip der Artentstehung

Eine Entdeckungsreise durch den Symbiotischen Planeten – mit dem Fazit, dass Dogmen für die Katz sind.

Dass es die Originalausgabe von Symbiotic Planet nach zwanzig Jahren auch als deutsche Übersetzung auf den Markt geschafft hat, zeigt, dass das Thema Evolution immer noch brandaktuell ist. Die Autorin und ehemalige Professorin für Biologie an der University of Massachusetts, Lynn Margulis, schildert hier ihre Sicht auf die Evolution. Ihr tief verwurzeltes Interesse an der Biologie und der Entwicklung des Lebens ist dabei das ganze Buch hindurch spürbar.

Sie verdeutlicht, dass die Symbiose ein grundlegendes Prinzip ist, welches notwendig war, um den Großteil des uns heute bekannten Lebens erst zu ermöglichen. Die komplette Pflanzen- und Tierwelt sowie die Welt der Pilze und Protisten geht auf symbiotische Beziehungen zurück: Ehemalige Prokaryoten fristen ihr Dasein nun als Zellorganellen.

Doch sie geht noch einen Schritt weiter: Margulis ist überzeugt, dass die Symbiose das grundlegende Prinzip bei der Entstehung neuer Arten sei.

Entgegen der Lehrmeinung

Als ein Indiz wertet sie Berichte, wonach die Entstehung einer neuen Art im Labor gezeigt werden kann. Einem Team gelang es etwa, durch stetige Temperatursteigerung und Selektion eine Drosophila-Population zu erzeugen, die mit ihren „ursprünglichen“ Verwandten keine Nachkommen mehr zeugen konnte. Der Grund dafür war jedoch ein symbiotisches Bakterium, das in bei höheren Temperaturen aufgezogenen Drosophilas abhandenkam. Während dies für Margulis eine Untermauerung ihrer These darstellte, war es für andere Kollegen fraglich, ob von einer neuen Art gesprochen werden könne – eben weil der Verursacher ein Bakterium war.

Doch was ist dran an dem Dogma, dass bei der Entstehung einer neuen Art nur die eigene DNA relevant ist und nicht die von vorhandenen Symbionten?

Lynn Margulis wiederholt im Laufe des Buches mehrfach die Botschaft, nicht in Dogmen zu denken. Zu jeder Zeit gibt es Theorien, die als „Wahrheit“ gehandelt werden, davon abweichende Gedanken und Theorien werden allzu schnell belächelt. Sie ist sich durchaus bewusst, dass ihr Ansatz zur Entstehung neuer Arten eine Form von Lamarckismus darstellt. Denn Symbiogenese ändert nicht unbedingt die „eigene“ DNA, vielmehr werden zusätzliche Merkmale erworben – genaugenommen sogar mit zusätzlichem Genmaterial.

Die erste Hälfte von „Der Symbiotische Planet“ ist tatsächlich sehr spannend. Margulis’ Gedankengänge sind logisch, gut nachvollziehbar und sie weigert sich, gängigen Thesen zu folgen, wenn sie keinen Sinn für sie ergeben. Dies führte am Ende zu ihrer Entwicklung der seriellen Endosymbiontentheorie. Von den vier zugrunde liegenden Postulaten – damals hoch umstritten, denn Bakterien waren hauptsächlich als pathogene Keime bekannt – gelten zumindest drei heutzutage als bestätigt und anerkannt: Unsere Zellen sind aus Archaeen hervorgegangen, Mitochondrien stammen von sogenannten Purpurbakterien ab und Chloroplasten haben als Vorfahren frei lebende photosynthetisch aktive Cyanobakterien. Bleibt abzuwarten, ob sich auch die vierte These – die Verschmelzung von Archaeen mit Spirochäten, die als allererstes stattgefunden haben soll – irgendwann bestätigen lässt.

In der zweiten Hälfte des Buches greift Lynn Margulis noch andere Themen auf. Sie diskutiert die Probleme, die bei taxonomischen Einteilungen der Lebewesen aufkamen und immer wieder aufkommen werden. Sie geht zurück zum Ursprung des Lebens und macht sich Gedanken, wie es entstanden sein könnte. Und sie beleuchtet Sex und Meiose im Hinblick auf die Evolution. Die einzelnen Kapitel wirken mehr wie Ergänzungen und lassen die zweite Hälfte des Buches dadurch etwas inhomogener erscheinen.

Außerdem zeigt sie, wie vielfältig die symbiotischen Beziehungen um uns herum aussehen. Verschiedene, kleine Ökosysteme, in denen Lebewesen miteinander interagieren und voneinander abhängig sind. Teilweise mit großer, aber unterschätzter Bedeutung – so wie die Lebensgemeinschaft zwischen Pilz und Pflanze bei der Mykorrhiza. Durch die vielen symbiotischen Beziehungen begreift Lynn Margulis die Evolution letztlich als ein symbiotisches Konzept.

Im letzten Kapitel fasst Margulis die Bedeutung dieses Konzepts und die Interaktion der vielen kleinen Ökosysteme zusammen. Dazu bedient sie sich der Gaia-Hypothese. Der Name Gaia entstammt der griechischen Mythologie und bezeichnet dort die Mutter aller Götter, die „Große Erdenmutter“. Durch die Wahl dieses Begriffs ergibt sich schnell das Risiko des Vorwurfs von „Nichtwissenschaftlichkeit“ oder von Fehlinterpretationen. Doch Gaia ist nicht als ein einzelnes Lebewesen oder eine Person zu sehen. Gaia ist ein einziges riesiges Ökosystem, dass aus der Summe vieler kleinerer Ökosysteme entsteht. Oder, um es mit den Worten von Greg Hinkel, einem ehemaligen Studenten von Lynn Margulis zu sagen: „Gaia ist Symbiose aus dem Weltraum betrachtet.“

Insgesamt ein lohnenswertes Buch, voller Beobachtungsgabe und Scharfsinn der Autorin. Durch die Einblicke in ihr privates und wissenschaftliches Leben fühlt sich der Leser wie auf einer eigenen kleinen Entdeckungsreise. „Der Symbiotische Planet“ macht Lust, sich mehr mit symbiotischen Beziehungen und vor allem mit den daran beteiligten Mikroorganismen zu beschäftigen, und motiviert dazu, offen auf Fragestellungen zuzugehen und bestehende Dogmen auch mal zu hinterfragen.





Letzte Änderungen: 05.06.2018