Editorial

Buchbesprechung

Juliet Merz




Joel Sartore:
Artenreich: Eine Hommage an die Vielfalt

Gebundene Ausgabe: 400 Seiten
Verlag: NG Buchverlag GmbH; Auflage: 1 (16. Oktober 2017)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3866906390
ISBN-13: 978-3866906396
Preis: 60,– Euro (gebunden)

Die Spiegel der Seelen

Der amerikanische Tierfotograf Joel Sartore möchte mit seinen Aufnahmen einen ganz eigenen Beitrag zum Artenschutz leisten. Im Bildband „Artenreich“ stellt er seine Arbeit vor.

„Um die Geschichte dieses Buchs zu erzählen, muss ich an dem Tag beginnen, an dem bei meiner Frau Kathy Brustkrebs diagnostiziert wurde.“ (Seite 31)

Die Worte, mit denen Joel Sartore seinen Bildband „Artenreich – Eine Hommage an die Vielfalt“ einleitet, sind bewegend. Seit 25 Jahren arbeitet der Amerikaner als Fotograph für National Geographic – und „kam nur selten zur Ruhe“ (Seite 31). Mit dem Tod vor Augen wollte Sartore etwas erschaffen, etwas bewegen. Seitdem hat er insgesamt 8.754 Tierarten fotografiert. Das Projekt mit dem Namen Foto-Arche soll den Natur- und Artenschutz stärken und gegenüber der schwindenden Biodiversität sensibilisieren. Das Buch „Artenreich“ gibt einen Einblick in seine Arbeit.

Der Bildband ist groß und schwer (circa dreißig auf dreißig Zentimeter und drei Kilogramm) und umfasst insgesamt 400 Seiten. In etwa ebenso viele Tierporträts stellt Sartore in seinen gestochen scharfen Aufnahmen auf glänzendem, starkem Papier vor. Besonders interessant sind die Gefährdungsstufen der International Union for Conservation of Nature (IUCN), die hinter jedem Artnamen stehen. Diese befördern den in erster Linie schönen Bildband zu einem Buch mit wissenschaftlichem Mehrwert. Für die Rezensentin ist es zumindest auf jeder Seite eine Freude, wenn sie dort die Bezeichnung „nicht gefährdet“ liest. Leider ist es genauso entmutigend, sollte das abgebildete Tier laut IUCN „stark gefährdet“ oder gar „vom Aussterben bedroht“ sein.

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Foto: NG Buchverlag / Joel Sartore

Ein besonderes Exemplar stellt Sartore nicht im Buch, sondern auf seiner Webseite vor. Dort können sich Interessierte alle bisher fotografierten Arten anschauen, sogar im Video-Format. Wenn Sie dort den Namen Ecnomiohyla rabborum eingeben, blicken Sie in die großen Augen von „Toughie“, einem alten männlichen Laubfrosch, auch bekannt als Rabbs’ fringe-limbed treefrog, vom Botanischen Garten in Atlanta (USA). In freier Wildbahn sind keine Populationen bekannt und Toughie ist der letzte seiner Art in Gefangenschaft. Oder vielmehr „war“, denn 2016 ist Toughie gestorben.

„Artenreich“ ist unterteilt in insgesamt fünf Kapitel. Eines der interessantesten ist wohl Kapitel Nummer vier – „Kuriositäten“. Dort verbergen sich die faszinierenden Fotographien von beispielsweise dem Barton-Langschnabel­igel (Seite 265), dem Afrikanischen Mondspinner (Seite 268) und dem Buschschliefer (Seite 286). Während sich in den anderen Kapiteln der Große Streifenbeutler (Seite 71), der Kanadische Luchs (Seite 164) und der Liebling der Rezensentin, ein flugunfähiger Papagei mit dem Trivialnamen Kakapo (Seite 385f), reihen, bietet Sartore immer wieder kleine Zusatzinformationen an. So erfahren wir etwa in Kapitel drei („Gegenüber“), dass der Kaninchenkauz eine interessante Dreiecksbeziehung pflegt. Der kleine Vogel, der in etwa so schwer ist wie zwei Tafeln Schokolade, haust gerne in den Erdhöhlen des Präriehundes. Um sich andere Beutegreifer und den ursprünglichen Hausbesitzer vom Hals zu halten, ahmt der kleine Kauz das Geräusch einer Klapperschlange nach und verjagt dabei jeden Störenfried (Geschichte Seite 205, Bilder Seite 224f).

Helden des Artenschutzes

Zwischendurch stellt der Autor seine persönlichen Helden vor: Menschen, die sich in ihrer ganz eigenen Art und Weise dem Naturschutz verpflichtet haben. Mit dabei sind auch zwei deutsche Vertreter: Ludwig Siefert, der sich im Uganda Large Predator Project damit beschäftigt, „die Konflikte zwischen Mensch und Löwe, Leopard sowie Hyäne zu entschärfen“ (Seite 254), und Tilo Nadler, der in Vietnam die illegale Jagd auf wilde Tiere wie den Weißwangen-Schopfgibbon und andere Primaten stoppen möchte (Seite 276f).

Alle abgelichteten Tiere leben entweder in Zoos, Auffangstationen, Nationalparks oder bei privaten Züchtern. Das in der Öffentlichkeit oftmals kritisch betrachtete Thema Zoo kommentiert der Wildbiologe Douglas Chadwick als Mitwirkender des Bildbandes auf Seite 21 wie folgt: „Die Qualität der Tiergärten schwankt [...] enorm, denn dazu werden auch Touristenattraktionen am Straßenrand gezählt, die kaum den Namen Hundehütte verdient haben. Deshalb fotografiert Joel fast ausschließlich in Zoos, die entweder der US-Organisation AZA (Association of Zoos and Aquariums) oder der WAZA (World Association of Zoos and Aquariums) angehören. Sie alle arbeiten mit anerkannten Pflegestandards und behandeln die Tiere mit Respekt.“

Doch es hat sich auch ein Fotomodell ins Buch geschlichen, welches sich nicht in menschlicher Obhut befindet. Auf Seite 246 ist ein Halbfinger-Gecko abgebildet – mit abgerissenem Schwanz. In einer Randnotiz erfährt der Leser, dass das kleine Reptil Sartore nachts in Westafrika übers Gesicht gekrabbelt sei. Vor lauter Schreck hatte der Fotograf nach dem Tier gegriffen und es von sich geworfen.

Joel Sartore schafft es in seinem Buch „Artenreich“ die unterschiedlichsten Tiere ins rechte Licht zu rücken. Besonders die dominierenden Nahaufnahmen wirken gewaltig und lassen jede Schuppe, jedes Haar und jede Feder erkennen. Und obwohl die Posen der Porträtierten sogar manchmal witzig daherkommen, ist jede Fotografie beeindruckend und gewollt dramatisch. Das jedoch wirkt nie übertrieben oder anstrengend. Sartore versucht mit seiner Arbeit den Betrachter zu erreichen, zu berühren und zu überzeugen. Denn eine wichtigere Aufgabe als den Artenschutz gebe es für den Amerikaner nicht.

Die Rezensentin empfiehlt das Buch all jenen, die nicht viel lesen, sondern sich von wunderschönen hoch aufgelösten Bildern faszinieren lassen möchten. Denn genau das bietet „Artenreich“. Übrigens: Sartores Frau Kathy geht es mittlerweile wieder gut.





Letzte Änderungen: 06.12.2018