Buchbesprechung

Juliet Merz

Editorial

Markus Egert und Frank Thadeusz:
Ein Keim kommt selten allein
Ullstein (2018)
Sprache: Deutsch, 256 Seiten
Preis: 15 Euro (Paperback), 10 Euro (Taschenbuch), 14,99 Euro (E-Book)
Editorial
Die Welt der Winzlinge

Milliarden Mikroben leben in und um uns – zum Glück. Denn die meisten dieser winzigen Mitbewohner sind uns gut gesinnt. Andere wiederum können uns das Fürchten lehren. Einen Einblick gibt’s in „Ein Keim kommt selten allein“..

„Wenn ich von ‚Bakterien’ höre, denke ich nicht zuerst an Probleme, sondern an eine famose Gemeinschaft von Lebewesen.“ (Seite 9)

Markus Egert, Professor für Mikrobiologie und Hygiene an der Hochschule Furtwangen, und Spiegel-Redakteur Frank Thadeusz möchten in ihrem Buch „Ein Keim kommt selten allein“ den Leser in die Welt der Mikroben entführen. Damit dieser nach 252 Seiten endlich erfährt, „wie Mikroben unser Leben bestimmen und wir uns vor ihnen schützen“. Um das einem besonders großen Leserkreis zu ermöglichen, haben sich die beiden Autoren für eine einfache und humorvolle Sprache entschieden, sodass „Ein Keim kommt selten allein“ auch für Jugendliche und Erwachsene ohne Medizin- oder Biologie-Studium geeignet ist. Dennoch muten Egert und Thadeusz dem Leser ab und an wissenschaftliche Fachbegriffe zu, die dann stets erklärt werden. Ein absoluter Pluspunkt ist die Literaturliste ganz am Ende des Werkes. Dort sind alle Publikationen aufgeführt, die im Text erwähnt sind. Leider ist es manchmal etwas schwierig, die Referenz für eine bestimmte Textstelle zu finden, denn eine Nummerierung fehlt.

Schlag auf Schlag

Neben der Untergliederung in vier Kapitel, die sich jedoch kaum unterscheiden, ist das Buch in viele kleine Unterkapitel geteilt. Diese wirken wie angenehme Lese-Häppchen und laden dazu ein, das Buch auch mal zwischendurch in die Hand zu nehmen und darin zu schmökern. Wird das Buch in einem Rutsch „verspeist“, können die Unterkapitel teilweise stakkatoartig wirken und regelrecht verwirren. Denn manche Gedanken sind von den beiden Schreibern noch gar nicht zu Ende gedacht und dennoch taucht plötzlich eine neue Überschrift auf.

Ähnliches passiert Egert und Thadeusz auch vereinzelt bei Geschichten, die durch viele offene Fragen unfertig wirken. Ein Beispiel gefällig: Ab Seite 215 berichtet das Autorenduo über den Fall einer Frau aus Dresden, die sich mit dem hawaiianischen Ratten-Lungenwurm (Angiostrongylus cantonensis) infiziert hatte. Der „Horror-Parasit“ hatte sich im Gehirn der Frau eingenistet und das Zentralnervensystem angegriffen. Die Autoren beenden den Absatz mit der Bemerkung, dass Menschen mit einem gesunden Immunsystem kaum etwas zu befürchten haben, im Fall einer Hirn-Einnistung gegen den Wurm jedoch „kaum ein Kraut gewachsen“ sei. Wie es mit der Dresdnerin ausgegangen ist, erwähnen sie nicht. Ganz zu schweigen von der Frage, was das Beispiel eines Wurms in einem Buch über Mikroben und Keime zu suchen hat.

Derweil überzeugt „Ein Keim kommt selten allein“ mit viel Witz. Etwa als Egert die Kontroverse in Deutschland aufgreift, ob Schneidebrettchen aus Holz oder Kunststoff die bessere Wahl wären. Schließlich ordnet er dann richtig ein: „Ich weiß, dieser Streit wird noch viele Jahrzehnte weitergehen – selbst wenn ich hier im Brustton der Überzeugung verkünde: Aus der Sicht des Hygienikers ist die Beschaffenheit des Brettchens völlig wurscht“ (Seite 107).

Das persönliche Lieblingszitat der Rezensentin folgt im Anschluss an Egerts Einschätzung, die mikrobielle Heimflora solle mehr Respekt und Wertschätzung von uns erfahren. „Seien wir also weniger Donald Trump und versuchen wir nicht, unsere vermeintlichen Hygiene-Probleme daheim mit dem Zünden der Atombombe zu lösen“ (Seite 83).

Nicht mit und nicht ohne

Leider kommt es im Laufe des gesamten Buches immer wieder zu nervigen Wiederholungen, nicht nur sprachlich, auch inhaltlich. Möglicherweise versuchen die Autoren, den Leser immer wieder ins Bild zu setzen. Denn wie schon zu Beginn vermutet, ist das Buch eher dafür gedacht, Häppchen-weise konsumiert zu werden, da kann der Leser schon mal vergesslich werden. Dennoch: Etwa die Aussage, dass das enterohämorrhagische E.coli (EHEC)-Bakterium 2011 auf kontaminierten Sprossen aus Bockshornkleesamen zu finden war, wiederholen die Autoren immer wieder und spätestens nach der dritten Wiederholung ruft die Rezensentin den Seiten genervt entgegen: „Ja, ich hab‘s jetzt verstanden!“

Besonders interessant hingegen sind die unterschiedlichen Forschungsergebnisse rund um das Thema Mikroben, welche die Autoren gekonnt in den Text einweben. Das gibt Egert die Möglichkeit, aus seinem eigenen Forschungs-Nähkästchen zu plaudern. In seinen prominentesten Publikationen untersuchte der Furtwanger Mikrobiologe, wie stark Küchenschwämme, Smartphone-Oberflächen und die Weihwasserbecken in katholischen Kirchen im Schwarzwald-Baar-Kreis mit Keimen verunreinigt waren.

Obwohl die beiden Autoren Mikroben nicht verdammen wollen, schüren sie die Angst im Kopf der Leser durch unzählige Horrorgeschichten. Die negativ behafteten „Killer-Keime“ bleiben durch ihre Kuriosität und teilweise grausamen Krankheitsverläufe stark im Gedächtnis. Während es eine Liste der „meistgesuchten Schurken aus dem Reich der Mikroben“ gibt (ab Seite 54), hätte eine vergleichbare Aufzählung der für den Menschen nützlichsten Mikroorganismen den zu Unrecht verteufelten Bakterien einen Gefallen getan.

„Ein Keim kommt selten allein“ ist angenehm leichter Lesestoff. Die skurrilen und brutalen Erzählungen über einzelne Vertreter des Mikroben-Universums machen das Buch natürlich spannend, wirken teilweise aber wie Sensationshascherei. Die Rezensentin kann dennoch einen Blick ins Werk der beiden Autoren empfehlen, weil sie an den richtigen Stellen stets betonen, dass Mikroben unsere Bewunderung verdienen und wir ohne sie nicht leben können. Denn wie Egert und Thadeusz auf den letzten Seiten in den neun Thesen zum gesunden Umgang mit Mikroben noch einmal völlig richtig zusammenfassen: „Mikroben sind keine Untermieter bei uns, sondern wir bei ihnen.“



Letzte Änderungen: 10.10.2019