Editorial

Buchbesprechung

Sigrid März




Autorengruppe:
Purves Biologie
Herausgeber: Springer Spektrum; 10. Aufl. (entspricht der 11. englischen Ausgabe), 2019 Edition (29. Mai 2019)
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe: 2186 Seiten
ISBN-10: 366258171X
ISBN-13: 978-3662581711
Preis: 79,99 Euro (E-Book), 99,99 Euro (kartoniert, Set mit diversen Artikeln)



Autorengruppe:
Campbell Biologie
Herausgeber: Pearson Studium; 11., aktualisierte Edition (1. August 2019)
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe: 1824 Seiten
ISBN-10: 3868943668
ISBN-13: 978-3868943665
Preis: 79,99 Euro (E-Book), 99,95 Euro (gebunden, Set mit diversen Artikeln)

Ein Stückchen Vogelhimmel

(10.03.2022) Lehrbücher, wir alle haben sie im Studium oder während der Ausbildung genutzt. Mal „kleinere“ mit „nur“ 500 Seiten, oder die großen Brummer. Heute treten gegeneinander an: die Standardwerke fürs Bio-Studium, „Campbell“ und „Purves“.

Beachtlich sind allein die Maße und Massen. Der Campbell kommt mit seinen 1.824 Seiten auf eine Dicke von 6,8 Zentimeter, der Purves mit gut 350 Seiten mehr sogar auf 7,9 Zentimeter. Wie schwer die Bücher sind, konnte die Rezensentin nicht exakt feststellen, denn die Küchenwaage streikte bei mehr als zwei Kilogramm. Eine provisorisch erbaute Schwerlastwaage ergab ein Gewicht zwischen vier und fünf H-Milch-Tetrapacks.

Aber wir streiten nicht um Grämmchen, Fakt ist: Die Geräte sind zu schwer, um sie jeden Tag im Rucksack durch die Uni oder das Labor zu schleppen. Da kommt es gelegen, dass beide Exemplare mit digitalen Inhalten locken. Abgesehen davon, dass es beide Bücher als E-Books gibt, liegt dem Print-Purves ein Code bei, mit dem man die digitale Version im Springer-Shop für null Euro kaufen und dann herunterladen kann. Im Buch selbst finden sich für die auf dem Cover angekündigten „Extras online“ Weblinks für Animationen, Media-Clips und sogenannte Activities. Die Rezensentin testete einige der Links, alle liefen ins Leere. Auf Nachfrage teilte Springer Spektrum mit, die Online-Materialien können zwischenzeitlich über den Link abgerufen werden, der im Erratum angegeben ist (lehrbuch-biologie.springer.com/errata/5191).

Beim Campbell gibt es ebenfalls einen Zugangscode, mit dem man nach einer Registrierung aber nicht nur auf den gesamten Buchinhalt zugreifen kann, sondern ebenso auf Erklärfilmchen, Interviews mit Experten oder Übungsaufgaben. Sogar Flashcards, also digitale Karteikarten, gibt es dort. Was ist Glykogen? Kurz drüber nachdenken, im Kopf – oder auch laut – erklären, aufdecken: „Reich verzweigte, hochpolymere Speicherform der Glucose (Polyglucosid) in der Leber und im Muskelgewebe von Tieren. Häufig als Einschlüsse bei Bakterien.“ Zum Lernen vor Klausuren ist das definitiv hilfreich.

Ansonsten sind die Inhalte vergleichbar, denn Biologie ist Biologie. Keiner der Herausgeber, Autoren oder Fachlektorinnen hat die Naturgesetze neu erfunden. Beide Bücher sind das, was man als klassisches Lehrbuch bezeichnet, und – ja, beide machen ihre Sache gut. Wir starten mit chemischen Grundlagen, gehen über Zellen, Gene und Genome zur Evolution, schauen uns Pflanzen und Tiere an und enden in der Ökologie.

Flippiges Synapsenfutter

Angenehmer ist beim „Campbell“, dass es zu Beginn eine grobe Inhaltsübersicht zur Orientierung gibt, gefolgt von einem detaillierten Inhaltsverzeichnis; „Purves“ hat nur Letzteres. Dafür stellt der gleich zu Beginn klar, welche Neuerungen der Leser in der 11. Auflage erwarten darf, beispielsweise aktualisierte Studien, um die Evolution der Eukaryoten aus den Archaeen zu erklären. Optisch sind beide Bände ansprechend, mit erklärenden Abbildungen, Diagrammen und Fotos. Vielleicht ist der Purves einen Ticken bunter, um nicht zu sagen: flippiger.

Am Ende jedes Kapitels finden sich bei beiden Lehrbüchern eine Zusammenfassung sowie Übungsaufgaben (die beim Purves liebevoll „Synapsenfutter“ heißen), in den Kapiteln immer wieder Lernanker in Form von Kurzwiederholungen.

Unterschiedlich in Detailliertheit und dementsprechend Umfang sind die Anhänge. Beide haben mehr oder weniger kompakte Statistik-Exkurse und ein Sach- beziehungsweise Stichwortverzeichnis. Letzteres ist beim Purves aber deutlich umfangreicher, was die Suche nach bestimmten Begriffen erleichtert. So wollte die Rezensentin wissen, wie es um die Aktualität der Werke bestellt ist, und durchforstete die Verzeichnisse nach CRISPR-Cas. Beim Purves wurde sie schnell fündig (Verweis auf Seite 555), im Campbell aber fehlt der Begriff. Ein Biologie-Lehrbuch ohne CRISPR? Nein, denn nach kurzem Direktcheck im Kapitel „Gen- und Biotechnologie“ fand sich die Technik auch dort auf Seite 556, allerdings eben ohne den entsprechenden Verweis im Stichwortverzeichnis.

Der Purves wartet zudem mit dem Stammbaum des Lebens auf, mit – nun ja – Stammbäumen und Kurzerklärungen der Astenden, also was etwa Amöbozoen oder Loricifera sind. Außerdem gibt es ein umfassendes Glossar sowie die Lösungen der im Buch gestellten Aufgaben. Letztere können „Campbell“-Leser online abrufen.

Welches der beiden Werke nun den Weg ins Regal schafft, ist wie so oft eine Glaubensfrage (ja, sogar in den Naturwissenschaften). Wo es im Fachbereich Biochemie „Stryer“-, „Nelson/Cox“- oder „Löffler/Petrides“-Fans gibt, teilt sich die Biologie in Purves- und Campbell-Hörige. Mit je knapp 100 Euro Anschaffungspreis sind beide Bücher keine Schnäppchen, aber es steht ja nunmal echt ne Menge drin.

Es sind Bücher, die man auch nach dem Studium nicht einfach wegräumt, sondern gern immer mal wieder nach Grundlagen durchforstet. Anders als bei fokussierten Internet-Suchen kommt der interessierte Leser hier von Höcksken auf Stöcksken, blättert hier, schmökert dort. So etwas offenbart mitunter ungeahnte Zusammenhänge – und damit auch Lösungsoptionen für Probleme, derer man sich zu diesem Zeitpunkt eventuell noch gar nicht gewahr ward. Davon profitieren auch Doktoranden und Postdocs. Denn wie heißt es so schön: Think outside the box. Dafür muss man manchmal aber eben auch seine Gedanken schweifen lassen. Der Purves und der Campbell sind – wenn man so will – die kommunikative Kaffeepause für das kreative Forscherhirn, und auch nach dem Ende des Studiums ein echter Gewinn.





Letzte Änderungen: 10.03.2022