Editorial

Buchbesprechung

Larissa Tetsch




Joe Miller mit Özlem Türeci und Uğur Şahin:
Projekt Lightspeed - Der Weg zum BioNTech-Impfstoff – und zu einer Medizin von morgen
Herausgeber: Rowohlt Buchverlag; 3. Edition (14. September 2021)
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe: 352 Seiten
ISBN-10: 3498002775
ISBN-13: 978-3498002770
Preis: 22 Euro (gebunden), 19,99 Euro (E-Book)

Ein Stück Weltgeschichte

(13.05.2022) Der Corona-Impfstoff Comirnaty wurde in Rekordzeit entwickelt und machte BioNTech weltweit berühmt. Ein erstes Buch widmet sich nun seiner Entwicklungsgeschichte.

Die Corona-Pandemie ist etwas, wovon die meisten von uns wahrscheinlich noch ihren Enkeln erzählen werden. Dass wir gerade „Geschichte“ erleben, wird besonders augenfällig, wenn erste Bücher auf den Markt kommen, die die Geschehnisse der vergangenen Jahre verarbeiten.

„Projekt Lightspeed“ ist ein solches Buch und allein schon deshalb absolut lesenswert. Vordergründig erzählt es die Geschichte der Entwicklung des mRNA-Impfstoffs Comirnaty und des dadurch begründeten Aufstiegs von BioNTech – einem vormals kleinen und weitgehend unbekannten Mainzer Biotech-Unternehmen, das durch seinen Erfolgsimpfstoff zu einem milliardenschweren Global Player aufstieg. Daneben vermittelt uns der Autor Joe Miller aber auch Einblicke in den Alltag des Gründer-Ehepaars Uğur Şahin und Özlem Türeci, lässt uns noch einmal die Ausbreitung von SARS-CoV-2 und die ersten Pandemiewellen miterleben und erklärt, wie Produktionsabläufe in einem Biotech-Unternehmen funktionieren.

Der Buchtitel „Projekt Lightspeed“ ist der interne Name für das von Şahin entwickelte Impfstoffprojekt und bezieht sich auf die größte Herausforderung, vor der die Forscher standen: Von Anfang an war die Entwicklung von Comirnaty in erster Linie ein Wettlauf gegen die Zeit. Noch nie zuvor wurde ein Impfstoff in so kurzer Zeit designt, durch klinische Studien sowie auf den Markt gebracht wie Comirnaty. Und noch nie wurden so viele Menschen innerhalb so kurzer Zeit mit dem gleichen Impfstoff immunisiert – Superlativen einer weltweiten Pandemie!

Umfangreiche Recherchen

Miller, der englische Literatur studierte und als Frankfurter Korrespondent bei der Financial Times arbeitet, schreibt sehr lebendig und hat für sein Buch gründlich recherchiert. Insgesamt hat er mit mehr als fünfzig Menschen gesprochen, deren Sichtweisen und Erfahrungen in „Projekt Lightspeed“ eingeflossen sind. An erster Stelle stehen dabei natürlich die BioNTech-Gründer, mit denen Miller eng zusammengearbeitet hat, doch auch Angestellte aus den verschiedenen Abteilungen von BioNTech werden vorgestellt und kommen oft selbst zu Wort. Statements und Bewertungen von externen Wissenschaftlern, Vertretern des amerikanischen Partnerunternehmens Pfizer und von Behörden sowie von einzelnen Politikern runden das Bild ab. Durch Millers Insiderwissen bekommt der Leser einen tiefen Einblick hinter die Kulissen von BioNTech und in das (Privat)leben der Ärzte Türeci und Şahin, die beide als Kinder türkischer Einwanderer in Deutschland aufgewachsen sind und sich auf einer onkologischen Krankenhausstation kennengelernt haben.

Besonders spannend wird „Projekt Lightspeed“, wenn Miller die Verhandlungen zur Kooperation mit Pfizer und die Aushandlung der Verträge mit der EU zur Impfstofflieferung nachvollzieht – Themen, bei denen der Autor seinen finanzpolitischen Hintergrund als Korrespondent der Financial Times einbringen kann. „Projekt Lightspeed“ ist weitgehend wie eine Reportage, fast wie ein Wissenschaftskrimi geschrieben, der den Leser zu fesseln vermag. Fachausdrücke vermeidet Miller überwiegend oder erklärt sie verständlich. Damit richtet sich das Buch in erster Linie an Menschen, die aus Zeitung und Fernsehen gut informiert, aber molekularbiologisch nicht unbedingt vorgebildet sind.

Lesenswert mit Abstrichen

Biowissenschaftler werden dagegen vor allem am Anfang versucht sein, einige Passagen zu überspringen. Zum einen weil ihnen viele Fakten rund um die Anfänge der Pandemie, die Funktionsweise von Impfstoffen und Eigenschaften der mRNA bekannt sind. Zum anderen weil Miller sich häufig wiederholt. So wird in jedem Kapitel aufs Neue betont, dass BioNTech mRNA-Medikamente ursprünglich für die individuelle Krebstherapie entwickelt und erst später an die Bekämpfung einer Viruskrankheit angepasst hat. Da der Autor keinen biowissenschaftlichen Hintergrund hat, fällt es ihm oft schwer, wissenschaftliche Kenntnisse auf den Punkt zu bringen und in ihrer Bedeutung einzuordnen. So bleibt manche Erklärung für Wissenschaftler unbefriedigend, wenn auch nichts Falsches gesagt wird.

Schade ist auch, dass ein Buch über ein deutsches Gründer-Ehepaar und sein deutsches Unternehmen in englischer Sprache geschrieben und zurück ins Deutsche übersetzt werden musste. Hätte man einen (deutschen) Wissenschaftsjournalisten mit in das ohnehin große Team aus Miller, Şahin, Türeci und sieben Übersetzern (!) geholt, wäre das für „Projekt Lightspeed“ bestimmt ein Gewinn gewesen. Aber auch so lohnt sich die Lektüre. Schon alleine, weil man viel darüber lernt, wie sich alle Hürden überwinden lassen, wenn man die Augen fest auf ein Ziel gerichtet hält.





Letzte Änderungen: 13.05.2022