Editorial

"Mehr Licht"

Bedrohte Spezies

von Andrea Pitzschke, Salzburg


(12.07.2016) Manchmal verteilen Gutachter in bester Absicht ein "Sehr Gut" bei der Beurteilung eines Forschungsantrags – und versetzen dem Antragsteller genau damit den Todesstoß.

Essays
Illustration: Fotolia / freshideas

Europa hat so viele schlaue Köpfe. Die kommen nicht von irgendwo. Für viele ist der Wissensdurst nach dem Abitur beziehungsweise nach der Matura längst nicht gestillt. Ein Studium bietet die optimale Möglichkeit, sein Wissen in dem – individuell definierten – spannendsten Fach zu vertiefen. Abseits von ungeliebten „Ballastfächern“, wie noch in der Schule.

Mit der Entscheidung für ein Studium wird gleichzeitig die konkrete Berufs-Entscheidung hinausgezögert. Eine ideale Zeit, die eigenen Stärken auszutesten und auszubauen, und daraus letztlich den Traumberuf zu erkennen.

Naturwissenschaftler sind in dieser Beziehung eine besondere Spezies. Nach Diplom beziehungsweise Master kommen die meisten erst so richtig auf den Geschmack. Da bietet doch die Promotion – am besten im Ausland – das perfekte Spielfeld, neues Wissen kreativ anzuwenden und seinem ausgereiften Forscherinstinkt professionell nachzugehen. Wer sonst hat schließlich so viele „Aha-Effekte“ wie jemand, der das Experiment selbst plant, durchführt und die Ergebnisse einfährt? Während der Doktorarbeit fällt meist auch der endgültige Entscheid für die berufliche Laufbahn – Industrie oder Akademie.

Während es Realisten zumeist in die Industrie zieht, streben Idealisten Richtung Uni-Karriere und damit nach einer eher ungewissen Zukunft. Unabhängige Forschung kann ein Land wirtschaftlich enorm vorantreiben und nachhaltigen Fortschritt schaffen. Das geht freilich nur, wenn die Regierung das will und entsprechend unterstützt. Reine Lippenbekenntnisse – davon gibt es reichlich – bringen da wenig.

In klarem Gegensatz zum unbestreitbaren Bedarf und Potenzial akademischer Forschung steht die Höhe (Tiefe?) der Summen, die dafür aufgebracht werden. Staatlich finanzierte Österreichische Universitäten kämpfen sich mit einem bescheidenen Budget von einer Leistungsvereinbarungsperiode zur nächsten. Es tut weh zu sehen, dass vieles nur noch auf „Maintenance“ läuft. Dies gilt sowohl für die Hardware (Geräte, Gebäude), als auch für die Software (Personal). Anzunehmen, dass die Pensionierung eines Profs eine freie Stelle für „junges Blut“ schafft, ist – in leider viel zu vielen Fällen – illusorisch.

Wenn Jungakademiker also nicht auf fixe Uni-Stellen setzen können, bleibt ihnen nur eines: Finanzierung über Drittmittel, etwa über den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF), der einzigen Förderungsorganisation für Grundlagenforschung in Österreich.

Sinkt das Angebot an fixen Uni-Stellen, kann man seine Ideale aufgeben und sollte spätestens jetzt(!) zum Sprung in die Industrie ansetzen. Oder man bleibt – so wie ich – Idealist und setzt auf Drittmitteleinwerbung. Was für Österreich der FWF, ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) für Deutschland beziehungsweise der Schweizerische Nationalfond (SNF) für die Schweiz. Der FWF vergibt Förderungen in Höhe von derzeit etwa 200 Mio. Euro, die DFG 2.7 Mrd.; der SNF etwa 850 Mio. Schweizer Franken im Jahr. Ausgedrückt in Fördervolumen pro Einwohner sind das circa: 23,6 Euro (Ö; FWF); 33,3 Euro (D; DFG); 96,6 Euro (CH; SNF). Am ­mittelärmsten ist also Österreich. Mit Abstand!

Angesichts sinkender Uni-Stellen und steigender Antragszahlen konkurrieren immer mehr Forscher um das bescheidene Budget. Betrug die ­Bewilligungsquote 2005 noch 37.5 %, waren es 2015 nur mehr 20,3 %. Tendenz fallend. Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer beträgt vier bis sechs Monate.

Bei der Antragstellung kommen Vollblutforschern ihre meist gut entwickelten strategischen Fähigkeiten zugute. Die mathematisch logische Antwort, trotz geringer Bewilligungsquoten überhaupt eine Chance zu haben, heißt: Mehrere Anträge schreiben und diese gleichzeitig oder gestaffelt einreichen. Und zwar einige Monate vor Ablaufzeit des aktuellen, wie-auch-immer-finanzierten Projekts. Dass man unverhofft mit drei bewilligten Projekten dasteht, die sich räumlich und organisatorisch niemals gleichzeitig bearbeiten lassen, ist ein absolutes Luxusproblem – mir ist kein Forscher bekannt, der dieses Problem hatte.

Paralleles Einreichen mehrerer Anträge macht es dem FWF allerdings zusätzlich schwer: Gutachter sind schwer zu finden – sie werden für ihre Aufgabe schließlich nicht bezahlt. Die Rücklaufquote von Gutachten in 2015 betrug 32.9 %. Das heißt durchschnittlich müssen pro Gutachten drei Personen mit relevanter Qualifikation gefunden und angeschrieben werden. Und selbst wenn mühsam aufgespürte, hochgeschätzte Gutachter zustimmen und pünktlich ihre Kritiken sowie Kommentare abliefern, kann es Verzögerungen geben. Nämlich dann, wenn die Gutachten „untergriffig“ sind und somit nicht gewertet werden können. Dann heißt es für den FWF „Zurück auf Start“, die Suche nach fachrelevanten Gutachtern beginnt erneut.

Für den Kandidaten bedeutet dies weitere Monate lang warten, Zukunftsängste verdrängen, cool bleiben. Ein Beispiel untergriffiger, nicht wertbarer Gutachten ist mir von einer Kollegin bekannt. Zitat sinngemäß: „…weist der Antrag einige offensichtliche Schwachstellen auf, aber mehr ist von einer Frau ja auch nicht zu erwarten…“. Die Gutachter bleiben für den Antragsteller anonym; im genannten Beispiel ist zumindest das Geschlecht zu erraten. Untergriffige Gutachten sind zum Glück die Ausnahme.

Sind ein bis zwei Anträge erst einmal abgeschickt (das geht elektronisch via ELANE; das einzige physische Formular ist jenes mit der Unterschrift der Forschungsstätte), darf man hier gern kurz (!) verschnaufen. Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen. Und weiter! Ich habe meist nur die erste Hälfte der Atemübung durchgehalten, für die zweite fehlte mir die innere Ruhe. Als Ausgleichsbeschäftigung lockten stattdessen: Nägelkauen, Haareraufen, Zähneknirschen. Daraus lässt sich wunderbar ein 24-Stunden-Trainingsprogramm kombinieren. Wer Raucher ist, qualmt halt ein paar Schachteln mehr. Der Kopf raucht so oder so.

Die Monate bis zum Urteil, der FWF-Kuratoriumssitzung, hinterlassen entsprechende Spuren: brüchige Nägel, Albert-Einstein-Frisur, durchgebissene Knirscherschiene und/oder geteerte Lunge. Endlich weiß man, was externe Gutachter von den Forschungsplänen halten. Netterweise erfährt der Antragsteller neben „Bewilligt“ oder „Abgelehnt“ auch konkret, was die Externen als löblich beziehungsweise kritikwürdig angesehen haben. Zwei Gutachter sind das Minimum (bis 350.000 Euro); je nach Antragsvolumen steigt ihre Anzahl. Klarerweise ist man bescheiden und versucht, die beantragte Summe hinzubiegen. Also nicht etwa 351.000 Euro beantragen und somit auf drei, uneingeschränkt lobpreisende Gutachter angewiesen zu sein. Ein Sechser im Lotto ist ähnlich wahrscheinlich.

Und dann so was: Entscheid: „Abgelehnt“. Zwei Gutachter – zwei Meinungen. Das ist gar nicht so selten. Konkretes Beispiel: Gutachter A: „…This is a highly innovative project…. Some risky aspects…“. Gutachter B: „…This is well-trodden ground. It is obvious that (the hypothesized) connection between molecule X and Y exists…“. Da lässt sich nichts anfechten. Da hilft nur Kopfschütteln und zurück auf Start, also: Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen. Nächster Antrag!

In meinem Fall war dieser dann wirklich gründlich konzipiert. Ich hatte alles hineingesteckt – eine Einzelautor-Publikation in einem renommierten Journal, darauf aufbauende reichlich experimentelle Vorarbeiten, Risikoabwägung, Plan-B-Vorschläge. ­Kooperationen. Alles. Gutachter A: „I really like this proposal…“; Gutachter B: „…is worth exploring“. Gesamturteil zweimal „very good = high priority for funding“.

Die Gutachter werden in einer Fußzeile hingewiesen: „Please note that the FWF places high demands on the quality of the projects it funds and thus predominantly supports projects rated as ‘very good’ or ‘excellent’.” Kreuzen sie also – in bester Absicht – ‘very good = high‘, nicht aber eben ‘excellent = highest priority‘ an, bedeutet das den Todesstoß für den Kandidaten. Nun gut, „tot“ ist man hinterher nicht – schwer getroffen aber allemal.

Bei Paper-Einreichungen lässt sich ja mit Gutachtern bekanntlich diskutieren, man kann Daten nachliefern, Fragen stellen, Ungereimtheiten klären. Bei Forschungsanträgen gibt es diese Option nicht – zumindest nicht in Österreich. Anders ist dies zum Beispiel in Slowenien.

Wer kein Teflon-beschichtetes Selbstbewusstsein hat, wird einige Ego-Kratzer davontragen und an seinen Forscherkompetenzen zweifeln. Auch wenn Kollegen einem das vehement ausreden. Also aufgeben? Mitnichten!! Drei oder vier Ablehnungen hintereinander zehren an der Substanz. Stellt sich die Frage, ob die eigene Substanz (sprich Hirnmasse) nicht woanders besser eingesetzt ist.

Nach Habilitation, 15 Jahren Akademia und unersättlichem Forscherdrang in die Industrie wechseln? Alles bisher erreichte (Know-how, Daten, Publikationen, Uni-Netzwerke) aufgeben? Es müsste schon eine sehr attraktive Stelle sein. Eine, die bisherige Qualifikationen aktiv weiterlebt. In diesem Selbstfindungsprozess habe ich festgestellt, welch hartes Vorurteil in der Industrie über uns „Uni-Leute“ herrscht. Zwischen und manchmal auch aus den Zeilen ging hervor, auf der Uni sei „easy life“: kein Zeitdruck, keine Vorgaben, eben ein bisschen „Herumforscherei“. Nichts á la „publish or perish“. Dass wir Non-stop einen Existenzkampf führen ist den meisten Auswärtigen fremd.

Die Kunst besteht darin, geeignete Nischen zu finden. Industriepartner, die mit der konkreten Expertise des Uni-Forschers unmittelbar etwas anfangen können. Das bewahrt auch davor, die eigenen Ideale zu verraten. Für mich konkret heißt dies: Themen zu Umweltschutz, Biodiversität, Pflanzenstress treu zu bleiben, mein Wissen aber anwendungsorientiert, unkonventionell sowie in neue Richtungen einzusetzen. Es geht nicht mehr um Modellorganismen und Co-Immunopräzipitation, sondern um Klimawandel-angepasste Pflanzen für die Landwirtschaft. Im Vordergrund stehen nicht mehr Superoxid und Enzymassays, sondern Antioxidantien-reiche Keimlinge als „Super-Foods“.

Die Suche nach Projektpartnern und relevanten Förderungsmöglichkeiten, etwa die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) verlangt Geduld. Aber wer bis hierher gekommen ist, hat eine hohe Frustrationsschwelle und somit eben auch den nötigen laaaangen Atem. Unglaublich, wie viele potenzielle Industriepartner nach einer ersten, persönlichen(!) Projektplan-Vorstellung ihr unbedingtes Interesse bekunden. Und dann nichts mehr von sich hören lassen, auch nicht nach wiederholtem Nachfragen. Ein österreichisches Phänomen scheint dabei das „Einfach aussitzen“ zu sein. Selbst ein „Letter of Intent“ ist unter Umständen wertlos; zumindest musste ich dies erfahren.

Und dennoch: Mein Tipp für alle „Mitbetroffenen“: Halten Sie an Ihren Idealen fest! Verlassen Sie die Forschung nicht! Suchen Sie einen verlässlichen Industriepartner für ein erstes Projekt, und sei es noch so klein (zum Beispiel der FFG-Innovationsscheck 5000). Darauf lässt sich eventuell aufbauen. Ein paar Monate Arbeitslosigkeit kann man abfedern. Wichtig ist, eine Perspektive zu haben oder unermüdlich an ihrer Entwicklung zu feilen. Dazu braucht es Durchhaltekraft, eine kreative Ader und ein soziales Umfeld, das von Nägelkauen, Haareraufen und Zähneknirschen abhält. Die Zeit dazwischen lässt sich wunderbar füllen – zum Beispiel mit dem Verfassen von Beiträgen fürs Laborjournal.

Ab und an überfallen einen jedoch auch trübe Gedanken. Was wird aus Österreich langfristig, wenn es weiter an der Forschung spart? Oder anders herum: Wie weit könnte Österreich, verglichen mit anderen europäischen Ländern, heute schon sein, wenn es in die relevanten Forschungszweige und Köpfe investiert hätte? An der Akzeptanz in der Bevölkerung, für „so etwas“ Steuergelder auszugeben, liegt es sicher nicht. Mit welcher Begeisterung ist doch die Öffentlichkeit bei der „Langen Nacht der Forschung“, bei „Kinder-Unis“, Volkshochschul-Vorträgen („University meets Public“) und anderen auf sie zugeschnittenen Veranstaltungen dabei.

Wir Wissenschaftler mögen eine „besondere Spezies“ sein, doch das Klischee vom Elfenbeinturm ist überholt. Beflügelt uns doch allein schon ein anerkennendes „Danke“ aus dem Publikum. Es verleiht die nötige Motivation, ähnliche Aktivitäten genauso engagiert erneut mitzugestalten. Doch trotz alledem sind wir kein Perpetuum Mobile. Irgendwo muss der Sprit herkommen – es muss überzeugend viel Sprit sein, um den Wagen langfristig ins Rollen zu bringen. Sonst sind die einzigen Gewinner ein paar Maniküristen, Friseure, Dentallabors und die Tabakindustrie.

Von Kollegen und aus eigener Erfahrung weiß ich, wie sehr Zukunftsängste an Nerven, Kreativität und Produktivität zehren. Mir ist beispielsweise aktuell die Lust am Paper-Schreiben vergangen, obwohl genügend „heiße Daten“ vorliegen und ich konkrete Lösungsansätze etwa für eine klimawandelangepasste, nachhaltige Landwirtschaft wüsste. Ticken andere Wissenschaftler in Österreich genauso – ich kenne einige bei denen dies der Fall ist –, dann entgehen dem Land nicht nur etliche Publikationen, sondern auch das entsprechende Wissenspotenzial für die Wirtschaft. Unterm Strich verliert auch Europa. Ein Teufelskreis: Niedrige Forschungsförderung = niedriger Output = Stillstand = geringes Staatsbudget = wenig Mittel für Forschungsförderung.

Es gilt, diesen Kreis zu durchbrechen, mit entsprechend hohen Investitionen. Nun ja, ein Bundespräsident mit akademischer Laufbahn, ein neuer Kanzler mit Kalkül und eine Molekularbiologin als neue Wirtschaftsministerin könnten hier schon einiges bewirken – wenn sie dies wollen und das Potenzial erkennen. Für Österreich, den FWF und die „Generation Forschung“ hoffe ich auf baldige ­Kursänderung. Langfristig ist das für alle ein Gewinn. Ansonsten wird es schwer fallen, Studenten in Vorlesungen für Wissenschaft zu faszinieren und die nächste Generation schlauer Köpfe heranzuziehen.

Mancher Leser mag dies alles für eine pessimistische, einseitige Betrachtungsweise halten. Für die Notwendigkeit einer ­Kursänderung gibt es aber harte, überzeugende Fakten. Nehmen wir zum Beispiel die jüngst veröffentlichte Studie des Volkswirts Klaus Weyerstraß vom Institut für höhere Studien (IHS) zur „Analyse der Produktivität Österreichs im internationalen Vergleich“.

Darin ist zu lesen, dass „Bildung, Innovation und Forschung für Österreich als rohstoffarmes Land mit im internationalen Vergleich hohen Löhnen essentiell für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit sind. Die Arbeitsproduktivität (das Verhältnis aus der mengenmäßigen Leistung und dem mengenmäßigen Arbeitseinsatz) ist ein Maß für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Die totale Faktorproduktivität (TFP; ein wesentlicher Einflussfaktor der Arbeitsproduktivität) gilt wiederum allgemein als makroökonomischer Indikator für den technischen Fortschritt. Beim Wachstum der TFP ist Österreich in letzter Zeit deutlich hinter den EU-Durchschnitt und hinter Deutschland und die Schweiz zurückgefallen, was Reformbedarf zur Steigerung der Innovationskraft signalisiert. Bildung, Forschung und Innovation sowie ein funktionierender Wettbewerb sind wichtige Faktoren zur Förderung des Produktivitätsfortschritts.“

Bleibt also zu hoffen, dass diese Warnsignale auf die richtigen Rezeptoren (in der Regierung) stoßen und nachhaltig die nötigen Anpassungsmechanismen stimulieren.

Andrea Pitzschke ist Projektleiterin im Fachbereich Zellbiologie der Universität Salzburg.


Letzte Änderungen: 12.07.2016