Editorial

Überdenken

„Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert...“

Von Björn Brembs, regensburg


Essays
Illustr.: iStock / Akindo

(12.07.2017) An den Universitäten wächst das Prekariat der befristet angestellten wissenschaftlichen Mitarbeiter. Der Wille, mit mehr unbefristeten Stellen gegenzusteuern, ist erkennbar – doch die bisherigen Reförmchen greifen nicht. Folglich müssen ganz neue Ansätze her.

Kürzlich kam mein Doktorand von einem sehr erfolgreich verlaufenen Forschungsaufenthalt an der Harvard-Universität zurück, den er sich selbst eingeworben hatte. Bis zum Anlaufen einer DFG-Beihilfe klaffte jetzt aber eine Lücke von ein paar Monaten. Zum Glück gab es noch ein Projekt, in dem ein paar Mittel übrig waren, mit denen man die Lücke hätte stopfen können. Nun will es aber die jüngste Version des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG), dass die Mindestlaufzeit eines Vertrages der Projektlaufzeit entspricht. Somit mussten wir unseren so verdienten Mitarbeiter statt für drei Monate à etwa 1.600 Euro netto für zehn Monate à 480 Euro netto einstellen. Drei Monate mit 480 Euro zu überleben, war sicherlich nicht leicht – doch was sollten wir machen?

Solche Fälle sind im Wissenschaftsbetrieb mittlerweile gar nicht mehr selten, aber das WissZeitVG unterscheidet natürlich nicht zwischen Überbrückungen und ausbeuterischen Verhältnissen. De facto jedoch bewirkt das WissZeitVG auf diese Art manchmal Ausbeutungs-ähnliche Verhältnisse, die es ohne gar nicht geben würde.

Genauso wenig unterscheidet das WissZeitVG zwischen Projekt-geförderten Stellen und Haushaltsstellen. Im Zeitraum der „Exzellenz-Initiative“ wurden für jede unbefristete Wissenschaftler-Stelle zehn befristete Stellen geschaffen. Dies führte dazu, dass sich über die vergangenen Jahre hinweg der Befristungsanteil des wissenschaftlichen Personals an den deutschen Hochschulen immer stärker erhöht hat. Dabei verwundert es nicht, dass über 95 Prozent der Drittmittel-Stellen befristet sind – eben aufgrund der Projektlaufzeit.

Bei den Hausstellen wurde jedoch auch umgeschichtet. Waren im Jahr 2000 noch über ein Drittel aller grundfinanzierten Mitarbeiterstellen unbefristet, waren es 2014 nicht einmal mehr ein Viertel. Gründe dafür gibt es einige. Zum einen sind unbefristete Stellen bei den Arbeitgebern, also Professoren und Universitätsleitungen, nicht sehr beliebt: erstere fürchten arbeitsscheue Klötze am Bein – letztere Altlasten bei der Emeritierung der Professoren, die die freiwerdende Stelle unattraktiv machen könnten. Zum anderen sind befristete Stellen billiger als unbefristete, so dass mit dem gleichen Geld mehr befristete Stellen geschaffen werden können. Und drittens führt die gestiegene Drittmittelfinanzierung zu erhöhten Verwaltungs-Kosten, die zulasten des Gesamt-Etats gehen. Erkennbar ist dies an der Zunahme der Verwaltungsstellen um 17 Prozent im Zeitraum der „Exzellenz-Initiative“. Folglich stellen daher die Verwaltungen die einzige Angestellten-Gruppe, die nachweislich von der „Exzellenz-Initiative“ profitierte – alle anderen sind schlechter gestellt als vorher.

Während also der Verwaltungsapparat aufgebläht wird und das Prekariat der Befristeten wächst, schrumpft auch noch der Anteil an denjenigen Stellen, auf denen das Prekariat unbefristet angestellt werden könnte. Diesen Trend hat mittlerweile auch die Bundesregierung erkannt und versucht daher mit der eingangs erwähnten Novelle des WissZeitVG gegenzusteuern.

Ein löbliches Unterfangen, das jedoch zum Scheitern verurteilt ist. Zum einen ist der Hauptzuwachs an befristeten Stellen vornehmlich aus den Projektstellen zu erklären, auf die man nicht unbefristet angestellt werden kann. Da diese Mittel aber ebenfalls vom Bund stammen, muss einem das WissZeitVG zwangsläufig merkwürdig anmuten: Mit der einen Hand vergibt der Bund freigiebig immer mehr Projekte mit befristeten Laufzeiten, während er mit der anderen Hand verbietet, jemanden befristet einzustellen.

Die Anzahl an Projektstellen ist so stark gewachsen, dass sie heute bereits die Anzahl der Hausstellen übertrifft – und damit das Gros des Problems darstellen. Zudem sind die meisten Hausstellen (mittlerweile über 75 Prozent) finanziell gar nicht auf Entfristung ausgelegt. Wenn ich versuchen würde, dem WissZeitVG gerecht zu werden und meine Postdocs unbefristet anzustellen, bräche in der (zu drei Vierteln unbefristet angestellten) Verwaltung schallendes Gelächter aus. Nein, wenn ich möchte, dass meine Verwaltung überhaupt einen Mitarbeiter einstellt, muss ich in den Formularen kreativ werden, um einen Befristungsgrund zu erfinden, der dem neuen WissZeitVG genügt – oder es gibt kein OK von der Verwaltung.

Bleibt also nur der verschwindend kleine Anteil an potentiell unbefristeten Hausstellen, von denen die meisten natürlich bereits vergeben sind und die, wenn sie frei werden, zum Großteil auch wieder unbefristet vergeben werden – WissZeitVG-Novelle hin oder her.

So gesehen gibt es folglich zwei Hauptursachen für die wachsende Konkurrenz im wissenschaftlichen Prekariat:

  1. Da ist erstens die Unfähigkeit von Bundes- und Landespolitikern, das föderale System so zu nutzen, dass die Mittel, die der Bund so gerne in Forschung und Entwicklung stecken möchte, auch tatsächlich bei den Landes-Beschäftigten ankommen – Stichwort: Kooperationsverbot. Der Bund möchte gerne fördern, konnte dies, solange das Kooperationsverbot galt, jedoch nur im Rahmen von Projekten, die zwangsläufig zum Aufblähen des Prekariats und der Verwaltung führten. Um diesen system-immanenten Fehler zu korrigieren, erliess der Bund das WissZeitVG, das lediglich eine Intentionsbekundung bleiben muss, da es nicht die Ursache des Fehlers angeht und folglich weitgehend erfolglos bleiben muss.
  2. Ferner sind da die Institute und ihre Leitungen, die gerne den riesigen Pool an Nachwuchs durchprobieren möchten, bis der oder die Beste gefunden worden ist. Zudem stehen sie unter dem Druck, viele Stellen schaffen zu müssen. Denn schließlich bedeuten mehr Stellen nicht nur mehr Prestige, beziehungsweise attraktive Professuren, sondern auch mehr Daten für den nächsten Antrag. Und sie lassen sich überdies noch in mehr Lehrstunden umrechnen, um das politisch gewollt miserable Betreuungsverhältnis (Stichwort: Kapazitätsberechnung!) wenigstens ein bisschen zu verbessern.

Jeder Akteur versucht also, für sich das Beste aus der Konstellation zu machen, und verschlechtert damit zunehmend die Gesamtsituation. Man kann weder dem Bund vorwerfen, sich an die Verfassung zu halten, noch den Instituten, das Beste aus einer finanziellen Unterversorgung zu machen. Wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, wird es jedoch weiter bergab gehen mit der Situation der Wissenschaftler in Deutschland. Mehrere Knoten müssen dafür platzen, manche davon haben inzwischen gordische Ausmaße.

Zunächst einmal dürften an den Instituten grundsätzlich keine Stellen mehr geschaffen werden, die nicht mit hinreichenden Mitteln zur Verdauerung ausgestattet sind. Das kann nur mit einer Aufstockung der Grundfinanzierung geschehen. Diese Mittel (oder zumindest der politische Wille) sind offensichtlich beim Bund stärker vorhanden als bei den Ländern – also sollten hier Wege gesucht werden, wie man Bundesmittel verwenden kann, um Landesstellen zu entfristen. Die neue Version des Artikel 91b des Grundgesetzes („Kooperationsverbot“) eröffnet nun solche Wege. Hier einer, der mir gefallen würde: Ich persönlich würde gerne einen Antrag schreiben, der es mir ermöglichte, meine Postdoc-Stelle zu entfristen. Wenn es diese Möglichkeit gäbe, wäre der Schwarze Peter eindeutig bei den Instituten, die nun im Zugzwang wären und sich nicht mehr herausreden könnten, was die Anzahl unbefristeter Stellen angeht.

Insgesamt beträfe diese Situation zurzeit immerhin gut die Hälfte des wissenschaftlichen Mittelbaus. Die andere Hälfte ist Projekt-finanziert und daher schwieriger zu entfristen. Würde der Bund hier unmittelbar Stellen unbefristet anbieten, würden die Institute sicherlich gleich alle eigenen Stellen abschaffen. Bundesstellen – Professuren oder Mittelbau – sind also keine Lösung. Eine von mehreren denkbaren Lösungen wäre aber, grundsätzlich nur noch Doktoranden-Stellen über Projektmittel zu finanzieren. Mittelbau-Stellen könnten nur noch als Entfristung zu einer bestehenden Hausstelle hinzu beantragt werden. Auch wenn dies die Gefahr birgt, dass mehr Menschen promovieren und das Prekariat wieder auffüllen, würde eine solche Lösung gleichzeitig auch den politischen Druck erhöhen, neue Stellen im Mittelbau wie auch bei den Professuren zu schaffen (die ja dann für die Universitäten billiger würden).

Wie die veränderten Rahmenbedingungen auch aussehen mögen – es müssen neue Ansätze her, nicht nur Reförmchen. Momentan sieht es so aus, als müsse der Bund Mittel und Wege finden, projektunabhängig unbefristete Stellen an den Instituten zu fördern, ohne den Anreiz zu schaffen, Haushaltsstellen zu streichen. Über das WissZeitVG alleine wird er diese Stellen nicht bekommen. Bestehende, befristete Stellen statt über ein Gesetz zusätzlich auch mit Geld zu fördern, könnte zielführender sein – Zuckerbrot und Peitsche. Die bisherigen Lösungen sind zwar erkennbar wohl intendiert, wirken in der Praxis aber offensichtlich kontraproduktiv.



Zum Autor

Björn Brembs ist Professor für Neurogenetik an der Universität Regensburg und bloggt auf seinem bjoern.brembs.blog gerne über wissenschaftspolitische Themen.


Letzte Änderungen: 12.07.2017