Editorial

Der Antikörper – Evolution eines Forschungswerkzeugs

Von Caroline Odenwald, Heidelberg


(15.07.2019) Moderne immunologische Methoden für Nachweis, Quantifizierung und Aufreinigung von Proteinen erweitern den Einsatzbereich von Antikörpern an der Laborbank.

Essays
Illustr. : iStock / MHJ

Seit nahezu einem Jahrhundert wird die Fähigkeit von Antikörpern zur überaus präzisen und zuverlässigen Erkennung von Antigenen von Wissenschaftlern genutzt, um Patienten zu therapieren oder Proteine und ihre Beziehungsgeflechte zu studieren. Bis heute basiert das Gros der Publikationen in der Zellbiologie auf immunologischen Daten. Eine Vielzahl von Herstellern bietet mittlerweile Forschungsantikörper in einem Massenmarkt für den breiten Einsatz an, zum Beispiel in der Immunfluoreszenz (IF), der Immunohistochemie (IHC) oder im Western Blot (WB). Neben diesen klassischen Anwendungsfeldern ermöglichen neue Technologien zur Herstellung von Antikörpern sowie innovative immunologische Testkits die Optimierung gängiger Arbeitsprozesse im Forschungslabor zum Nachweis, der Quantifizierung oder der Aufreinigung von Proteinen.

Der erste Literaturhinweis zum Antikörper stammt aus dem Jahr 1890. Emil von Behring und Shibasaburō Kitasato beschrieben in ihrer weichenstellenden Publikation [1], dass der Transfer von Serum aus immunisierten Tieren eine therapeutische Wirkung in nicht-immunisierten Tieren zeigte. Erst etwa siebzig Jahre später postulierten Frank Macfarlane Burnet und David Talmage ihre klonale Selektionstheorie, welche die Funktion der Immunzellen als Antwort auf spezifische Antigene beschreibt [2]. Kurze Zeit später gelang Gerald Edelman und Rodney Porter die erste Beschreibung der Molekularstruktur eines Antikörpers [3]. Mit der Entwicklung der Hybridom-Technologie von Georges Köhler und César Milstein 1975 wurde der Weg des monoklonalen Antikörpers als mittlerweile etabliertes Forschungswerkzeug in die akademischen Labore weltweit geebnet [4]. Nur vier Jahre später wurde die wohl bekannteste immunologische Methode, der Western Blot, als eine der ersten Antikörper-basierten Detektionsmethoden entwickelt.

Zu dieser Zeit gaben Forscher die in akademischen Laboren erzeugten Antikörper weiter oder tauschten sie untereinander. Doch der Bedarf an verlässlich erhältlichen immunologischen Werkzeugen wuchs in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts stetig. Ausgründungen aus Forschungseinrichtungen für die kommerzielle Nutzung der Reagenzien waren eine logische Folge, und so entstand auch die Firma PROGEN Biotechnik GmbH 1983 als Ableger des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und der Universität Heidelberg. Als eines der ersten Biotechnologieunternehmen in Deutschland startete die Firma mit dem Ziel, die an diesen Instituten erzeugten Antikörper und daraus entwickelten immunologischen Tests weltweit für Forschung und Diagnostik zu produzieren und zu vermarkten.

Die Vor- und Nachteile der Verwendung mono- und polyklonaler Antikörper werden häufig diskutiert (siehe Tabelle). Polyklonale Antikörper (pAK) sind Gemische von mehreren Antikörpern mit Affinität für unterschiedliche Epitope desselben Antigens, während monoklonale (mAK) aus Klonen einer Immunzelle erzeugt werden und somit idealerweise nur ein Epitop erkennen. Diese Tatsache spielt zum Beispiel in der pharmazeutischen Entwicklung eine Rolle, bei der große Mengen eines identischen Antikörpers benötigt werden. In der Grundlagenforschung haben sich sowohl monoklonale als auch polyklonale Antikörper in verschiedenen Methoden bewährt. Durch Affinitätsaufreinigung eines polyklonalen Serums über ein immobilisiertes Zielepitop kann die unspezifische Bindung an andere Proteine minimiert werden.

Einsatzgebiete Herstellungsaufwand Besonderheiten
pAK Forschung,
Diagnostik
Leicht Erkennung mehrerer Epitope, vorteilhaft beim Einsatz für verschiedene Methoden, Immunisierung von Tieren, variable Qualität und Spezifität
mAK Forschung,
Diagnostik
Mittel bis
hoch
Meist hohe Spezifität, definiertes Epitop, Einsatz für verschiedene Methoden muss geprüft werden, reproduzierbare Herstellung
rAK Forschung,
Diagnostik,
Immuntherapie
Mittel bis
hoch
Hohe Spezifität, definiertes Epitop, Einsatz für verschiedene Methoden muss geprüft werden, reproduzierbare Herstellung, hohe Lot-zu-Lot-Konsistenz, Herstellung humaner Antikörper
Tabelle: PROGEN

Maßgeschneiderte rekombinante Antikörper (rAK) aus tierfreier Herstellung bieten sich als Lösung an, um eine gleichbleibende verlässliche Qualität zu gewährleisten und dabei eine außerordentliche Vielfalt an Antigenen abzudecken. Die Methode der Wahl ist hierfür die Phagendisplay-Technologie, die bereits Ende der Achtzigerjahre entwickelt und im letzten Jahr mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde.

In einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekt entwickelt PROGEN mit der Firma YUMAB GmbH, der Technischen Universität Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover spezielle Antikörper mithilfe der Hyperphagen-Technologie, einer Weiterentwicklung des klassischen Phagendisplays aus dem Labor von Stefan Dübel an der Technischen Universität Braunschweig. Das Grundprinzip dieser virusbasierten Technologie ist simpel: Ein Phage wird in einer Escherichia-coli-Zelle exprimiert, die mit einer Antikörperbibliothek beladen wurde. Jeder Phage, der produziert wird, enthält ein Gen für einen Antikörper und exprimiert gleichzeitig auf seiner Oberfläche das Antikörperfragment, das letztlich für die Bindung zuständig ist. Durch mehrfache Wiederholung der Selektion (Panning) erhält man den gewünschten Phagen samt DNA, sodass man anschießend diesen spezifischen Antikörper in zellulären Systemen produzieren kann.

Der Hauptvorteil der Technologie besteht darin, dass durch die tierfreie Herstellung die Wahl des Antigens wesentlich freier ist. So können beispielsweise Antikörper gegen natürliche und nicht-natürliche Peptide erzeugt werden – oder gegen Moleküle, die in Tieren nur schwer beziehungsweise gar keine Immunreaktion auslösen beziehungsweise zu toxisch sind. Diese Vielfalt der Möglichkeiten eröffnet neue Forschungsansätze. Zudem lässt sich der Fc-Teil eines Antikörpers beliebig austauschen, was bei der Produktion von Sekundärantikörpern mit unterschiedlicher Wirtsspezifität besonders praktisch ist und die Kombinationsmöglichkeiten für Mehrfachfärbungen erhöht. Demgegenüber steht allerdings die aufwändigere und somit teurere Herstellung rekombinanter Antikörper, die sich für den normalen Wissenschaftsbetrieb nur selten rechtfertigen lässt. Wohl auch deshalb haben sich rekombinante Antikörper bisher noch nicht in der Forschung etabliert und sind in Publikationen seltener zu finden. In immuntherapeutischen Anwendungen hingegen können praktisch nur rekombinante Antikörper eingesetzt werden, also keine direkt aus Seren oder Hybridoma gereinigten, da in diesem regulierten Umfeld Reproduzierbarkeit, Sicherheit, Ausbeute sowie noch weitere Herstellungsparameter standardisiert sein müssen.

Daneben gibt es einige Ansätze, die Methode zur Isolierung von Hybridomen bei der Herstellung monoklonaler Antikörper zu verbessern. Die klassische Methode der Fusion von Antikörper-produzierenden B-Zellen mit Tumorzellen zu Hybridomzellen liefert üblicherweise nur wenige hundert Einzelklone, womit das eigentlich verfügbare Potenzial des tierischen Immunsystems mit Millionen potenzieller Klone nicht ausgeschöpft wird. Ein Beispiel hierfür ist der Einsatz von Mikrofluidik für die Selektion von B-Zellen. Durch mikrofluidische Techniken können einzelne B-Zellen nach der Immunisierung in Tröpfchen auf die Produktion von Target-spezifischen Antikörpern hin untersucht, sortiert und durch Sequenzierung der mRNA der jeweiligen Zelle die entsprechende Antikörpersequenz identifiziert werden. Dadurch kann man sehr viel mehr Kandidaten mit unterschiedlichen Eigenschaften erhalten und muss sich nicht mit den Zellen begnügen, die zufällig die Fusion zum Hybridom überstehen.

Die Qualität der für den Massenmarkt produzierten Antikörper variiert häufig. Hierbei liegt das eigentliche Problem darin, dass der angebotene Antikörper sich oft nicht für alle vom Hersteller angegebenen Anwendungszwecke (zum Beispiel IF, IHC oder WB) eignet. Daher kaufen viele Wissenschaftler Produkte von mehreren Anbietern und testen dann, welches für die eigenen Versuchszwecke am besten passt. Wie eine Umfrage unter PROGEN-Kunden ergab, wird Publikationen und Empfehlungen im Kollegenkreis mehr vertraut als den Herstellerangaben.

Um hier mehr Verlässlichkeit zu schaffen, hat PROGEN daher in den letzten Jahren eine Qualitätsoffensive gestartet, die neben der lückenlosen Herstellungskontrolle auch eine umfassende Validierung und Charakterisierung des 800+-Antikörperportfolios umfasst. Die externe Testung der Produkte in klassischen Einsatzgebieten erfolgt im akademischen Umfeld. Der Fokus liegt auf der Kontrolle der Reproduzierbarkeit der Daten in typischen Anwendungen sowie der Ermittlung einzelner Applikationsparameter.

Insbesondere Informationen zu Spezifität und Selektivität sind laut einer Kundenbefragung entscheidende Kriterien für die Bewertung von Antikörpern. PROGEN setzt zu deren Ermittlung moderne Technologien ein. Im Rahmen der Antikörpervalidierung hat sich der Heidelberger Biotechnologie-Cluster als hilfreich erwiesen: In Kooperation mit der benachbarten PEPperPRINT GmbH nutzt PROGEN deren firmeneigene Plattform für Peptid-Microarrays, um Epitop-spezifische Daten mit einer sehr hohen Genauigkeit zu ermitteln. Beim Epitop-Mapping wird die gesamte Aminosäuresequenz von einem oder mehreren Proteinen in Form eines Peptidarrays ­(15-mer) synthetisiert und die Bindung eines Antikörpers an diese Peptide getestet. Diese Methode ermöglicht die Identifizierung der bindenden Aminosäuresequenz in diesem Protein und eventuell sogar in ähnlichen Sequenzen anderer Proteinen auf dem Array. Somit lassen sich sowohl das Epitop als auch mögliche Kreuzreaktivitäten eines Antikörpers erkennen.

Das Antikörper-Suchportal „CiteAb“ hat die Validierung mittels Epitop-Mapping im vergangenen Jahr als empfehlenswert anerkannt („Highly Commended“). Allerdings ist neben der verlässlichen Performance eines kommerziellen Antikörpers auch die Validierung für die gewünschte Methode im Labor von zentraler Bedeutung für die Qualität der erzeugten Daten.

Antikörper sind ideale Instrumente, um Proteine zu identifizieren, zu quantifizieren und aufzureinigen. Daher gehören immunologische Technologien zum Standardrepertoire der proteinbiochemischen Forschung. Aus Kombination und Weiterentwicklung bestehender Methoden haben sich in den letzten Jahren neue Antikörper-basierte Testsysteme für das Forschungslabor entwickelt. So entstehen beispielsweise durch die Kombination von Single-Domain-Antikörpern (sdAK), bestehend aus monomeren, variablen Antikörperdomänen von Kameliden und unterschiedlichen Farbstoffen, sehr kleine, robuste immunologische Werkzeuge. Bei einigen Fragestellungen in der Mikroskopie oder in Aufreinigungsprozessen sind diese sdAKs den herkömmlichen Antikörpern überlegen.

Antikörper werden nicht nur bei Methoden eingesetzt, die mehrere Stunden in Anspruch nehmen, sondern sie ermöglichen auch die Entwicklung von Schnelltests für Forschung und Diagnostik. Beispielsweise kann man mithilfe von spezifischen Antikörpern auf Gold- oder farbigen Latex-Nanopartikeln Lateral-Flow-Teststreifen herstellen, die in wenigen Minuten die Anwesenheit oder die Konzentration von bestimmten Antigenen in Patientenproben oder Lebensmittelextrakten nachweisen können.

Der Vollständigkeit halber soll erwähnt werden, dass das Prinzip der Selektion einer spezifischen Bindung nicht auf die natürlich vorkommenden Antikörpermoleküle aus dem Immunsystem verschiedener Tiere beschränkt ist. Es gibt zahlreiche andere Proteinmoleküle, deren Struktur eine hohe Zahl an Mutationen aushält und somit eine hohe Variabilität der Oberfläche bietet, die eine Voraussetzung für die Bindung an ein Zielmolekül ist. Beispiele hierfür sind DARPins (Designed Ankyrin Repeat Proteins), Affibodies, Anticalins und Monobodies.

Die breite Verfügbarkeit und Anwendung dieser neuen Bindemoleküle in der Forschung wird davon abhängig sein, ob die Eigenschaften im Vergleich zu den verfügbaren Antikörpern so viel besser sind, um die Entwicklung für den Forschungsmarkt zu rechtfertigen. Für bestimmte therapeutische Anwendungen könnten sich diese in den nächsten Jahren durchaus als Alternative zu Antikörpern etablieren. Beispielsweise wäre die im Allgemeinen deutlich kürzere Halbwertszeit (wenige Stunden) im Körper bei Behandlungen von Vorteil, bei denen eine kurze Verweildauer des Moleküls im Körper erforderlich ist.

In einigen Forschungsbereichen werden Antikörper vermutlich in den kommenden fünf bis zehn Jahren durch andere Technologien abgelöst. In der Diagnostik sind bereits Entwicklungen zu beobachten, die eine Ergänzung und langfristig auch eine Ablösung der Antikörper als Detektionsreagenzien ermöglichen könnten. Ein Beispiel ist die Analyse von Gewebeproben, die derzeit mit einer zeitlichen Verzögerung von mehreren Stunden bis zu Tagen per IHC mit Antikörpern gegen Krebsmarker durchgeführt wird und künftig durch massenspektrometrische Diagnostik abgelöst werden könnte. So verfolgt ein Teilprojekt des M2OLIE-Konsortiums (Mannheim Molecular Intervention Environment), in dem auch PROGEN Mitglied ist, an der Uniklinik in Mannheim das Ziel, bei der Diagnostik von metastasierenden Leberkarzinomen die Wartezeit von der Biopsie zur Diagnose auf wenige Stunden zu verkürzen, um eine zeitnahe Therapie noch während der Narkose einzuleiten. Ein ähnlicher Ansatz bei der Echtzeit-Diagnostik von Gewebeproben während einer OP wurde auch bei der Entwicklung des MasSpec Pens verfolgt, mit dem man in kurzer Zeit Krebsgewebe anhand des Metabolitenprofils identifizieren kann [5]. Neue Ansätze mit schnelleren Methoden und höherem Durchsatz sind jedoch häufig mit erheblichen Kosten für Geräte verbunden, sodass etablierte und robuste Antikörper-basierte Techniken wohl noch eine ganze Weile eingesetzt werden.



Referenzen

[1] von Behring, Emil; Kitasato, Shibasaburō: „Ueber das Zustandekommen der Diphtherie-Immunitat und der Tetanus-Immunitat bei Thieren“

[2] Aust. J. Sci. 20: 67-9; Annu. Rev. Med. 8: 239-57

[3] Science 180: 713-6; Science 180: 830-40

[4] Nature 256: 495-7

[5] www.masspecpen.com/technology



Zur Autorin

Caroline Odenwald hat an den Universitäten Marburg sowie Heidelberg Biologie studiert und promovierte schließlich am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Seit mehr als einem Jahr arbeitet sie bei PROGEN in Heidelberg als Junior-Managerin für Produkt- und Marketingkommunikation.


Letzte Änderungen: 15.07.2019